Umstrittenes Projekt "Zeitungszeugen":Zensur als Werbung

Herausgeber Peter McGee führt sein umstrittenes Projekt Zeitungszeugen in Deutschland weiter - und wirbt mit der "Zensur" der Zeitschrift.

Cornelius Pollmer

Der Verleger Peter McGee ist ein Mann von Welt, einer von europäischem Format. 48 Jahre ist der Brite alt, er hat in seiner Heimat lange für den renommierten Independent gearbeitet, zeitweise lebte er auch in Brüssel, in Amsterdam, auch in Frankreich.

Peter McGee zeitungszeugen ap

Peter McGee während der Pressekonferenz

(Foto: Foto: AP)

McGee hat Zeitungsprojekte in acht europäischen Ländern angeschoben und diese komplett aus eigener Tasche finanziert, wie er sagt. Dass er dabei auch Gewinne eingefahren hat, darauf lässt sein Gesichtsausdruck nicht schließen, den er an diesem Donnerstag in München aufgesetzt hat. Sieben Tage Regenwetter wäre wohl der passende Begriff für seine Miene.

Zu einer Pressekonferenz hat McGee in ein nobles Hotel geladen, just an jenem Tag, an dem die dritte Ausgabe seines Projekts Zeitungszeugen erscheint.

Es ist, so steht es auf dem Cover, eine "Sondernummer" - ohne die ursprünglich geplanten Faksimile, namentlich Ausgaben der Frankfurter Zeitung und von Der Angriff aus dem Jahr 1933. Ein eher fades Hauptgericht ohne Beilagen, dafür mit Protestnoten der Beteiligten.

Etwas mehr sein darf's hingegen auf dem Cover, das aussehen soll, als wäre es nach Druck abgestempelt worden: "1,00 €" steht links oben, ein Sonderpreis wegen der fehlenden Beilagen. Schräg darunter prangt in roten Lettern das Wort "zensiert" auf dem Cover.

So groß, dass man den Blattmachern nicht ganz abnehmen möchte, dass es sich dabei einzig um eine Protestnote gegen das Vorgehen der Bayerischen Staatsregierung handelt.

So groß, dass man vermuten darf, mit dem öffentlichen Aufruhr um die ersten Ausgaben der Zeitungszeugen solle nun der Verkauf der kommenden Nummern beworben werden, nach dem Motto: Es gibt nichts zu sehen, bitte sehen Sie her!

Um die Lage der Dinge aus seiner Sicht und der seiner Mitstreiter darzulegen, hat McGee zur Pressekonferenz geladen.

Er beginnt mit einer nüchternen Bestandsaufnahme: Mehr als 80 Prozent der Zeitungsverkäufer in Deutschland hätten infolge des Beschlusses zur Beschlagnahme der zweiten Zeitungszeugen-Ausgabe durch das Amtsgericht München Besuch von der Polizei bekommen.

Zwischen 10.000 und 30.000 Exemplare seien bundesweit beschlagnahmt worden, beklagt McGee, genaue Zahlen kenne er nicht. Die erste Ausgabe sei mit 200.000 verkauften Kopien hervorragend gelaufen, die zweite mit etwas mehr als 100.000 ebenfalls - bis zur Konfiszierung.

Mit der dritten Ausgabe, so McGee, werde er nun Verlust machen.

Etwas komplizierter sind die rechtlichen Fragen, die im Kern des Konflikts zwischen McGee und dem Bayerischen Staatsministerium der Finanzen stehen.

Das überlässt der Verleger denn auch lieber seinem Rechtsbeistand Ulrich Michel. Dieser sagt, er sei gebeten worden, den Sachverhalt "für Nichtjuristen verständlich zu erklären", was für einen Rechtsanwalt keine einfache Sache sei.

Die Rechtsfragen seien zivil- und strafrechtlicher Natur. Der Freistaat Bayern beruft sich auf die Urheberrechte unter anderem von Adolf Hitler und Joseph Goebbels und sieht im nichtgenehmigten Nachdruck von NS-Zeitungen wie dem Völkischen Beobachter eine Verletzung dieser Rechte.

Michel beruft sich auf die Zitierfreiheit, die ebenfalls im Urhebergesetz festgeschrieben ist und nach seiner Auffassung im Fall der Zeitungszeugen greift.

Verfahren automatisch eingeleitet

Der Freistaat Bayern hat die angekündigten zivilrechtlichen Schritte offenbar noch nicht eingeleitet. "Wir haben bis heute keine Kenntnis von einer Einleitung eines entsprechenden Verfahrens", sagt Michel.

Die Nachricht von Judith Steiner, Pressesprecherin des Finanzministeriums, wird daran nicht viel ändern: "Wir haben angekündigt, Strafantrag zu stellen und zivilrechtliche Schritte einzuleiten. Deswegen gibt es jetzt ein laufendes Verfahren und mit Blick darauf möchte ich mich nicht zu der Sache äußern", sagt sie zu sueddeutsche.de.

Ein Verfahren im strafrechtlichen Sinn ist mit dem Einspruch Michels gegen den Beschluss auf Beschlagnahme automatisch eingeleitet worden. "Es kann damit gerechnet werden, dass die Beschwerde in den nächsten Tagen beim Landgericht vorgelegt wird", sagt Anwalt Michel. Er rechnet damit, dass das Verfahren erst in der nächsten Instanz geklärt wird, also am Bundesverfassungsgericht.

Zentralrat unterstützt Regierung

Die Linie der Staatsregierung wird indes vom Zentralrat der Juden unterstützt. Dessen Präsidentin Charlotte Knobloch kritisierte, dass der Herausgeber "trotzig jede sachliche Kritik an der Umsetzung seines Projekts" ignoriere.

Über die harschen Worte seitens des Zentralrats wundert sich die Zeitungszeugen-Chefredakteurin Sandra Paweronschitz. Sie habe im Vorfeld des Projekts mehrmals mit dem Zentralrat telefoniert, das Vorhaben ausführlich erläutert und ihm vor Erscheinen sogar eine Nullnummer der ersten Ausgabe zugeschickt. Diese Ausgabe hätte Knobloch noch differenzierter kommentiert.

Bis die Angelegenheit gerichtlich geklärt ist, will McGee weitermachen - solange er es sich leisten kann. Er finanziere die Zeitungszeugen komplett aus eigener Tasche, einen Investor gebe es nicht. Und wenn ihm gerichtlich am Ende der Nachdruck verboten würde? "Dann stoppen wir das Projekt. Das ist selbstverständlich."

Auf Material aus dem Eher-Verlag werde bis zur gerichtlichen Klärung des Streits mit der Bayerischen Staatsregierung erstmal verzichtet. Die vierte Ausgabe vier sei davon ohnehin nicht betroffen und könne wie geplant in vollem Umfang erscheinen.

Die Hoffnung scheint McGee jedenfalls noch nicht verloren zu haben. Die dritte Ausgabe enthält einen Kupon, der zum Bestellen der "vollständigen Nummer drei" auffordert. Diese werde nachgeliefert, "sobald der rechtliche Disput beigelegt wurde."

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