Tumulte in Waldkraiburg:"Die wissen nicht, was morgen ist"

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  • Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und Innenminister Joachim Herrmann kommen am Samstag in die Asylunterkunft in Waldkraiburg, in der es am Mittwoch zu Ausschreitungen gekommen war.
  • Bei den Tumulten wurden fünf Menschen verletzt, die Polizei brauchte ein massives Aufgebot an Beamten, um für Ruhe zu sorgen, und nahm fünf Verdächtige fest.

Von Matthias Köpf und Johann Osel, Waldkraiburg

Nach den Krawallen und dem massiven Polizeieinsatz in der Flüchtlingserstaufnahme in Waldkraiburg will Bürgermeister Robert Pötzsch (parteifrei) die Lage in und um die Unterkunft mit einem runden Tisch verbessern. Anfang der Woche werde man bereden, wie Anwohner entlastet und Bedingungen in der Unterkunft geändert werden können, sagte Pötzsch. Er denke hierbei zum Beispiel an bessere Treffpunkte zum Aufenthalt auf dem Areal.

Mit den Bedingungen in der Unterkunft erklärt er auch die Explosion der Stimmung am Mittwoch: "Die Leute sitzen da, sie haben nichts zu tun, die wissen nicht, was morgen ist." Die Stadt wolle sich zudem für eine Reduzierung der Bewohnerzahl einsetzen - auch mit Blick auf Anwohner und deren Ängste.

Waldkraiburg
:Explosion der Wut

In der Flüchtlingsunterkunft in Waldkraiburg eskaliert ein Streit um Kühlschränke. Es folgen stundenlange Tumulte. AfD und Freie Wähler wollen aus dem Vorfall sogleich politisches Kapital schlagen.

Von Matthias Köpf, Waldkraiburg, und Johann Osel

In dem ehemaligen Fortbildungszentrum war es am Mittwoch bis in die Nacht hinein zu Tumulten gekommen, nachdem die Regierung von Oberbayern verfügt hatte, dass aus den Zimmern alle Kühlschränke entfernt werden müssen. Sie begründet dies mit Brandgefahr. Bei den stundenlangen Konflikten wurden fünf Personen verletzt, bis zu 150 Polizisten waren am Abend im Einsatz.

Am Freitag ist auch die politische Aufarbeitung der Geschehnisse in Gang gekommen. Ministerpräsident Markus Söder kündigte an, mit Innenminister Joachim Herrmann (beide CSU) an diesem Samstag die Unterkunft zu besuchen. Man wolle sich "vor Ort bei der Polizei und der zuständigen Asylverwaltung ein Bild von der Situation machen", hieß es aus dem Innenministerium. Danach wollten sie über die Vorfälle, die Sicherheitslage "und weiteren Maßnahmen" informieren.

Die Stimmung in der Stadt richtet sich zunehmend gegen Asylbewerber

Waldkraiburgs Zweiter Bürgermeister Richard Fischer (SPD), der auch Vorsitzender des örtlichen Asyl-Arbeitskreises ist, hatte schon am Donnerstag den professionellen Einsatz der Polizei gelobt. Zugleich hatte er darauf verwiesen, dass die Enge in der Erstaufnahmen, die Zahl der Bewohner, die unsichere Perspektive und die vielen Einschränkungen in der Gestaltung des Alltags zu einer dauernden Spannung führe. Dass die sich irgendwann auf die Weise löse, sei für ihn "nicht erstaunlich".

Die Stadt Waldkraiburg hatte bei Gründung der Unterkunft durchaus Bedenken angemeldet, vor allem wegen der zunächst geplanten Größe. In dem Komplex war früher ein Bildungsheim für Umschüler mit mehr als 1000 Plätzen angesiedelt. In der Unterkunft sind jetzt 330 Bewohner untergebracht, 80 bis 90 Prozent stammen aus Nigeria. Die Stimmung in der Stadt richte sich zunehmend gegen Asylbewerber, berichtet Fischer.

Im Oktober 2017 hatten türkischstämmige Menschen gegen die Einrichtung demonstriert. Zuvor war von Belästigungen von Frauen durch Bewohner und einer regelrechten Jagdszene die Rede, was sich der ermittelnden Polizei aber anders dargestellt hatte. Erst Ende März war es zur einer "Begehung" der Einrichtung gekommen. Das Rosenheimer Polizeipräsidium lässt seit einiger Zeit routinemäßig alle größeren Unterkünfte kontrollieren und betont bei diesen Gelegenheiten zugleich immer wieder, dass sich die weitaus meisten Bewohner tadellos verhielten.

Für Debatten sorgte am Freitag weiter der offenkundige Auslöser für die Gewaltexzesse - die Entfernung der Kühlschränke. Das Gesetz gebe für die Einrichtung "das Sachleistungsprinzip" vor, teilte die Regierung von Oberbayern mit. Das bedeute, dass Bewohner nicht kochen, sondern Vollverpflegung im Speisesaal erhalten, zusätzlich gebe es Wasserspender. "Es besteht von daher kein Bedarf für eigene Kühlschränke." Grund sei eben Brandgefahr, "nicht nur theoretisch".

"Bewusst geschaffene Ausgrenzungsverhältnisse"

Im Herbst habe es etwa in der Unterkunft einen Kurzschluss mit Stromausfall auf einer ganzen Etage gegeben, da ein Bewohner nasse Wäsche über dem Kühlschrank aufgehängt habe. Andernorts hätten große Elektrogeräte in Unterkünften schon Brände verursacht. Aus dem Anlass habe man Ende vorigen Jahres bereits begonnen, die Kühlschränke "nach und nach zu entfernen". Die Geräte stammten noch aus der Zeit der früheren Nutzung als Bildungsheim. Inwiefern beim gewaltsamen Protest der Bewohner für den Erhalt der Geräte Ramadan eine Rolle gespielt hat, blieb unklar.

Der Bayerische Flüchtlingsrat rügt "bewusst geschaffene Ausgrenzungsverhältnisse". Konflikte seien "mit" Flüchtlingen und über mehr Beratung zu regeln, nicht mit Knüppeln". Sprecher Stephan Dünnwald sagt: Ihm leuchte nicht ein, wieso die Kühlschränke früher bei den Umschülern kein Sicherheitsrisiko darstellten, jetzt bei den Flüchtlingen schon. Die Erklärung der Regierung "geht als Parodie durch".

© SZ vom 09.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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