Türkei:Immer mehr Gülen-Anhänger suchen in Bayern Asyl

Türkei: Vier Türken erzählen, warum sie aus ihrer Heimat geflüchtet sind. Aus Angst vor Repression wollen sie ihre Gesichter nicht zeigen.

Vier Türken erzählen, warum sie aus ihrer Heimat geflüchtet sind. Aus Angst vor Repression wollen sie ihre Gesichter nicht zeigen.

(Foto: Stefanie Schoene)
  • Anhänger der türkischen Gülen-Bewegung suchen in Bayern Asyl, weil ihnen in ihrem Heimatland Gefängnisstrafen drohen.
  • Manche von ihnen werden nur wegen eines Bankkontos oder eines Zeitungsabos verfolgt - wenn die Institutionen dahinter in vermeintlicher Verbindung zu der Bewegung stehen.
  • Ein Verein in Augsburg kümmert sich um die Geflüchteten.

Von Stefanie Schoene, Augsburg

Sie standen schon mit einem Fuß im Knast: Gegen Zeynep, 34, Journalistin, ihren Mann Fatih, 33, Personalmanager, den ehemaligen Schuldirektor Hasan Hüseyin, 35, und den Augenarzt Mehmet, 43, bestehen in der Türkei Haftbefehle. Das haben sie nach ihrer Flucht erfahren. Weil türkische Denunzianten auch in Bayern aktiv sind, wollen sie anonym bleiben. Ihre Geschichten aber lassen sich in türkischen Medien überprüfen.

Zeynep ist für türkische Staatsanwälte eine Verbrecherin der "Fethullahistischen Terrororganisation" (Fetö). Sie arbeitete zehn Jahre in Istanbul als Redakteurin der Today's Zaman, einer Schwesterpublikation der größten türkischen Tageszeitung Zaman, dem Zentralorgan der islamischen Gülen-Bewegung.

Heute lebt sie mit ihrem Mann Fatih und ihrem Sohn als Flüchtling in einer Unterkunft nahe Augsburg. Ihre Redaktion wurde nach dem Putschversuch im Juli 2016 wegen "terroristischer Umtriebe" geschlossen. 300 Journalisten wurden gekündigt, Nachrichtenagentur, Druckerei und weitere Vertriebsgesellschaften des Verlags per Dekret enteignet. Eine Verhaftungswelle folgte. "Erst dachten wir, das wird schon wieder", erinnert sich die Anglistin. Im Dezember vergangenen Jahres packten sie doch die Koffer.

Jetzt, in einem Besprechungsraum des Augsburger Vereins Frohsinn, der sich ebenfalls zur Gülen-Bewegung rechnet, suchen sie und ihr Mann sowie zwei weitere Flüchtlinge die Öffentlichkeit. 253 Türken beantragten bis Ende Juni Asyl in Bayern. Sie werden zentral in einer Donauwörther Kaserne untergebracht, ihre Anhörungen finden in der Augsburger Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) statt. Im März lag die Anerkennungsquote dort laut Bamf bei 8,7 Prozent der Anträge, im April bei 28 Prozent, im Juni bei 25,7 Prozent.

Wie seine Frau, so war auch Fatih nicht eben ein kleines Licht der Bewegung. Als Personalleiter eines großen Verlages, der im Schulbuchgeschäft aktiv war und exklusiv die Bücher des islamischen Predigers Fethullah Gülen vertrieb, hatte er Verantwortung für 1500 Mitarbeiter. Teil der Bewegung zu sein, sei dort aber keine Bedingung gewesen, erklärt er. Der Vertrieb der Gülen-Bücher wurde bereits 2015 verboten. Einen Tag nach dem Putschversuch stürmte eine Spezialeinheit die Geschäftsräume in Istanbul. Alle Mitarbeiter seines Unternehmens und 2000 weitere der angegliederten 19 Firmen wurden entlassen, die Holding enteignet. Auch der Ingenieurs- und Architektenverein, den er geleitet hatte, wurde wegen Zugehörigkeit zur Fetö geschlossen.

Dem Augenarzt Mehmet wirft die türkische Polizei vor, zwei seiner vier Kinder auf eine Gülen-Privatschule geschickt zu haben. Außerdem belasten ihn ein Zaman-Abo und ein Konto bei der Bank Asya, die inzwischen ebenfalls enteignet ist. Mehmet war Beamter und hatte ein Universitätskrankenhaus nahe der syrischen Grenze geleitet. Jetzt ist er ein "Fetö-Terrorist". Dabei habe er noch nie ein Buch des Predigers gelesen, sagt er. Er tauchte unter, lebte auf der Straße. Im Januar 2017 entschied sich die Familie zur Ausreise. Dass er wegen eines Abos, einer Schule und einer Kontonummer zur Flucht gezwungen wird, kann er noch immer nicht fassen. Seine Asyl-Anhörung fand vor acht Wochen statt.

Hasan Hüseyin, ehemals Direktor einer Gülen-Schule in Bursa, erlebte den Zorn sogar innerhalb seiner Familie. "Die Verwandten zeigten auf uns. 'Ihr Verräter, ihr Putschisten', schimpften sie", berichtet er. Als die Schule geschlossen und Kollegen verhaftet wurden, beschlossen er und seine Frau zu fliehen, sie leben seit dem Frühjahr in Donauwörth.

190 Gülen-Aktivisten aus Bayern werden verfolgt

In Bayern knüpfen die vier an die Strukturen des hiesigen Netzwerks an. Der Augsburger Frohsinn-Verein kümmert sich. "Das ist unsere selbstverständliche Pflicht", erklärt Geschäftsführer Mustafa Güngör. Sogar eine neue Stelle plane der Verein für die Betreuung der Flüchtlinge. Dabei hat sich auch für das Gülen-Netzwerk in Bayern der Wind gedreht: Spenden aus Deutschland und der Türkei bleiben aus, die Schule in Würzburg und vier Nachhilfeinstitute in Augsburg mussten schließen, der Unternehmerverein Exuv in Augsburg legte seine Aktivitäten auf Eis. In Nürnberg sattelte die Gülen-Schule wegen ausbleibender Schüler auf Flüchtlingsintegrationskurse um.

Zum wirtschaftlichen Druck kommt die Verfolgung durch den türkischen Staat. 109 Gülen-Aktivisten aus Bayern stehen auf jener Liste, die der MIT-Chef seinem deutschen BND-Kollegen im Februar mit der Bitte um Auslieferung übergeben hatte. Die Betroffenen wurden vom LKA sowie der Kripo benachrichtigt und gewarnt. Unter ihnen auch Güngör und fünf weitere Augsburger sowie Abuzer Zambak, Geschäftsführer der Mindeltal-Schulen im schwäbischen Jettingen. 170 Mädchen werden hier in einer Realschule und einem Gymnasium unterrichtet. "Vom türkischen Geheimdienst gesucht zu werden, ist kein tolles Gefühl", sagt Zambak, der bis 2014 als Schulleiter der Bewegung in Berlin aktiv war.

Die Spenden aus der Region, mit denen seit sieben Jahren die für den Jettinger Schulbau aufgenommen Kredite bedient werden, seien zwar zurückgegangen, aber nicht versiegt, sagt der Geschäftsführer. Die Schule läuft. Auch die Anfeindungen hätten nachgelassen. "Direkt nach dem Putsch hatten Eltern uns als Terroristenschule bezeichnet. Die haben wir angezeigt. Seither gab es meines Wissens keine weiteren Bedrohungen."

Mustafa Güngör hat insgesamt fünf Anzeigen wegen Beleidigung und Volksverhetzung erstattet. Eine davon gegen den Imam der Gersthofener Moschee, die zum Dachverband des türkischen Religionsministeriums gehört. Der Prediger hatte - wie ein Video zeigt - bei einer Demo in Augsburg vor einem Jahr eine flammende Rede gehalten und "Gründer und Sponsoren des örtlichen Terrorvereins" beschimpft. Die Anzeige wurde wegen Geringfügigkeit eingestellt, doch das will Güngör nicht auf sich beruhen lassen. Gegen den langjährigen Vorsitzenden des Augsburger Graue-Wölfe-Vereins, der Denunziationsaufrufe auf Facebook verbreitet hatte und den Güngör ebenfalls anzeigte, verhängte das Amtsgericht indessen einen Strafbefehl über 3600 Euro.

Unumstritten ist aber auch die Gülen-Bewegung nicht. Ob Anhänger des konservativen sunnitischen Predigers in den Putschversuch verwickelt waren, ist bis heute ungeklärt. Ein Mammutprozess gegen 486 Hauptbeschuldigte lief im August in Ankara an. Fatih und Zeynep wollen nichts Kritisches über das Gülen-Netzwerk hören. Was ist mit den Staatsanwälten der Bewegung, die von 2011 an mit fingierten Beweisen türkische Oppositionelle hinter Gitter gebracht haben? "Regierungspropaganda", sagt Zeynep. Nur Augenarzt Mehmet, der nach eigenen Angaben nicht im Netzwerk aktiv war, hält dagegen: "Solche Verfehlungen gab es und sie müssen in der Bewegung diskutiert werden."

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