Traunstein:Sexuelle Gewalt vor Gericht: "Einem Mann passiert so was nicht"

  • Ein 37-jähriger Landwirt soll vier junge Männer sexuell genötigt und einen Mann vergewaltigt haben.
  • Das 22-jährige Opfer erstattete nicht Anzeige und fürchtete, dass ihm nicht geglaubt würde.
  • Die Vorfälle sollen im Umfeld von Kirchenfesten oder Feuerwehr- und Burschenvereinsfeiern im Landkreis Traunstein stattgefunden haben.
  • Im Burschenverein soll die Vorliebe des Angeklagten für junge Männer bekannt gewesen sein.

Von Lisa Schnell, Traunstein

"Die reinigende Kraft der Musik" ist das einzige, was Johannes E. wirklich hilft. Wenn er Orgel spielt, kann er der Erinnerung entkommen, die ihn nicht schlafen lässt, die ihn an Suizid denken ließ. Der Erinnerung an den Mann, der E. am Montag im Landgericht Traunstein gegenüber sitzt, Günther Sch.

Der 37-jährige Landwirt soll E. vergewaltigt und vier weitere junge Männer sexuell genötigt haben, alles im Umfeld von Kirchenfesten oder Feuerwehr- und Burschenvereinsfeiern im Landkreis Traunstein.

E., 22 Jahre, blickt Sch. nie an, erzählt leise. Zum ersten Mal habe er ihn bei einer Faschingsfeier gesehen. "Was red' der eigentlich?" hatten er und seine Freunde sich damals gedacht, weil Sch. mit ihnen über "sexuelle Sachen" sprechen wollte. Danach sah er ihn jahrelang nicht, E. geht nicht viel aus.

Am 1. Mai 2013 aber überredete ihn seine Mutter, zum Helferfest der Kirche zu gehen. Auf der Heimfahrt nahm er Sch. im Auto mit. Der lotste ihn in ein dunkles Waldstück, sagte, er solle nicht so verklemmt sein und forderte ihn auf, sich auszuziehen. E. weigerte sich, Sch. wurde forscher. E. dachte an Flucht. Doch es war dunkel, niemand würde ihn hören.

Schädigung für das Geschäft

Sch. ist fast zwei Meter groß, er selbst sei damals ein Krischperl gewesen, 70 Kilo bei 1,80 Meter. E. vermutete ein Messer in Sch.s Hostentasche. "An dem Tag sterbe ich, wenn ich nicht mach', was er sagt", dachte er sich damals. Trotzdem stemmte er sich gegen ihn, doch Sch. war stärker, soll ihn vergewaltigt haben. Danach musste E. ihn nach Hause fahren. Ihm würde nichts passieren, wenn er den Mund halte, soll Sch. noch gedroht haben.

So erzählt es E. vor Gericht. "Ich hab' mich wehrlos gefühlt, nicht mehr als Mann", sagt er. Dass die Gesellschaft ihn als Opfer akzeptieren würde, glaubte er nicht. Einem Mann passiere so etwas doch nicht. E. vertraute sich seiner Familie an, Anzeige erstattete er nicht. "Dann weiß es die Öffentlichkeit, dann wird der Ruf vom Geschäft geschädigt", das waren die Bedenken in der Unternehmerfamilie, sagt seine Schwester vor Gericht.

Ein paar Mal war E. beim Psychologen, viel half es nicht. Er schlief nicht, hatte Albträume. Doch seit zwei Jahren hat er eine Freundin, "der einzige Anker, den ich habe", sagt er. Und eben seine Musik, die Orgel. Ausgerechnet dort, beim Orgelspiel in der Kirche, traf er im Mai 2015 Sch. wieder. E. spürte sein Schnaufen, als er hinter ihm ging. Alles kam wieder. "Er hat keinen Sinn mehr fürs Leben gehabt", sagt seine Schwester vor Gericht. Einen Monat später verließ E. seine Vorlesung in Rosenheim, ging zu den Gleisen.

Das Holzbau-Studium hat er aufgehört

Doch dann dachte er an seine Familie, seine Freundin und daran, dass er sich sein Leben nicht kaputt machen lässt. Das Erlebte habe er aber noch lange nicht verarbeitet, sagt E. Von Psychotherapien hält er nicht viel. Er macht die Dinge eher mit sich selbst aus. "Nicht das Reden, sondern die Musik" helfe ihm. Sein Holzbau-Studium hat er aufgehört, jetzt macht er eine Ausbildung zum Organisten.

Der Angeklagte ließ erklären, nicht beim Helferfest, sondern an Fasching 2013 hätte E. ihn im Auto mitgenommen. Sie hätten an einem Feldweg sexuelle Handlungen an sich durchgeführt, aber keinen großen Gefallen daran gefunden. E. bestreitet das. Sch. dagegen will nicht auf dem Fest gewesen sein, nach dem er E. vergewaltigt haben soll, sondern bei einem Familientreffen.

Sein Bruder bestätigte dies. Zeitlich hätte der Angeklagte allerdings noch zum Fest fahren können, auf dem ihn ein Zeuge gesehen hat. Sein Bruder gab an, nichts von den Gerüchten um seinen Bruder gehört zu haben. Im Burschenverein soll seine Vorliebe für junge Männer bekannt gewesen sein. Das Urteil wird am 18. April erwartet.

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