Traunstein:Angeklagte beteuern ihre Unschuld

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Auftakt im Prozess zum Halleneinsturz von Bad Reichenhall: Die Verteidiger machen die Stadt für das verheerende Unglück verantwortlich.

Heiner Effern

Eine Mutter nimmt die Hände vors Gesicht und stützt ihren Kopf mit den Ellenbogen ab. Eine andere tupft mit einem Papiertaschentuch ihre Tränen aus den Augen. Auch die etwa 40 Journalisten haben das Flüstern eingestellt. Die Angeklagten sitzen mit gesenkten Köpfen da, als Oberstaatsanwalt Günther Hammerdinger die Namen der 15 Todesopfer vorträgt und die furchtbaren Verletzungen nennt, die ihnen das einstürzende Dach zugefügt hat.

Bauingineur Walter G., einer von drei Angeklagten, verdeckt im Saal des Landgerichts Traunstein sein Gesicht. (Foto: Foto: dpa)

Das Umblättern der Seite schwillt in diesen Sekunden zu einem unheimlich lauten Rauschen an. Die Spannung löst sich erst ein wenig, als Hammerdinger die Anklage auf fahrlässige Tötung und Körperverletzung komplett verlesen hat.

Zwei Jahre und knapp einen Monat, nachdem am 2. Januar 2006 nach langen Schneefällen die Eishalle von Bad Reichenhall zusammengebrochen war, beginnt vor dem Landgericht Traunstein die strafrechtliche Aufarbeitung des Unglücks.

Gleich die ersten Minuten bringen eine Überraschung: Horst P., 71, ehemaliger Leiter der Hochbauabteilung der Stadt Bad Reichenhall, sitzt im Saal 33 des Gerichtsgebäudes nicht auf der Anklagebank. Der Vorsitzende Richter Karl Niedermeier hat eine Abtrennung des Verfahrens angeordnet, weil Horst P. Anfang Februar wegen eines Tumors operiert werden muss.

Die drei verbliebenen Angeklagten - ein weiterer ist Ende Dezember gestorben - haben sich mit ihren Verteidigern links vor dem erhöhten Tisch der drei Berufsrichter und der beiden Schöffen niedergelassen: Es sind der Statiker Walter G., 67, der Architekt Rolf R., 63, und der Bauingenieur Rüdiger S., 54. Ihnen gegenüber sitzen die beiden Vertreter der Staatsanwaltschaft. In drei dichtgedrängten Reihen mit acht bis neun Plätzen verfolgen die Hinterbliebenen als Nebenkläger mit ihren Anwälten das Geschehen direkt vor dem Zuschauerraum.

Sie müssen nur wenige Meter nach links blicken, um den Angeklagten ins Gesicht sehen zu können. Und umgekehrt. Auch deswegen sei sie trotz der enormen psychischen Belastung nach Traunstein gekommen, hat Dagmar Schmidbauer vor Prozessbeginn gesagt. Sie hat zwei Töchter bei dem Unglück verloren. Ihr Mann Robert hofft "in jedem Fall auf eine Verurteilung".

Schon lange bevor sie gegen 8.30 Uhr vor die Kameras treten, erhellen Scheinwerfer der Fernsehteams die Morgendämmerung vor dem Gerichtsgebäude. Jeder, der einen Satz in ein Mikrofon sagt, wird sofort von einer gierigen Traube umringt. Im Saal dagegen verlieren sich 20 Zuschauer zwischen unbesetzten Plätzen hinter den etwa 40 Medienvertretern.

Schon der Einmarsch der drei Angeklagten spiegelt ihr Selbstverständnis. Während sich Rolf R. und Rüdiger S. mit erhobenem Kopf zwischen den Journalisten ihren Weg bahnen, zieht Walter G. seine Jacke über den Kopf, bis die Kameras den Raum verlassen haben. Unsicher sitzt er später neben seinem Verteidiger Harald Baumgärtl.

Die Vorwürfe nagen an ihm, er ist wegen Selbstmordgefahr behandelt worden. Der verantwortliche Statiker für das eingestürzte Dach gesteht dann, die Berechnung der sogenannten Schwerpunktspannung vergessen zu haben. "Da ist mir ein Fehler unterlaufen." Als er von seiner Schuld spricht, bricht ihm einmal die Stimme. Fühlt er sich ungerecht behandelt, klingt seine Stimme durch die Mikrofonanlage auch mal bellend. Die Höhe der Hauptträger von 2,87 Metern, die nach den gültigen Vorschriften in der Hohlkastenbauweise maximal 1,2 Meter betragen durfte, habe er so geplant.

Vorwurf fehlender Statistiken

Mit dieser Begrenzung hat er es nach eigener Aussage nicht so genau genommen. "Ich habe auch schon eine Kirche im Bodenseeraum gebaut, in der die Träger höher als 1,2 Meter waren." Nur das Fehlen einer Prüftstatik für das Hallendach streitet er ab: "Ich hätte die Montage nie begonnen, wenn die nicht vorhanden gewesen wäre."

Die anderen beiden Angeklagten schlagen eine andere Strategie ein. Architekt Rolf R., graues Haar, im schwarzen Sakko über einem olivgrünen Hemd, sagt: "Ich jedenfalls, und das weiß ich genau, sitze hier als völlig Unschuldiger auf der Anklagebank." Die Staatsanwaltschaft wirft ihm ebenfalls vor, dass eine geprüften Statik gefehlt habe.

Ruhig und selbstsicher trägt er in einer schriftlich vorbereiteten Erklärung vor, dass dies nicht in seinem Aufgabengebiet gelegen habe. Zum Ärger der Staatsanwälte lässt er Detailfragen zu seiner Aussage nicht zu.

Auch die Anwälte von Rüdiger S. zweifeln an, dass der Bauingenieur mit seinem Gutachten aus dem Jahr 2003, in dem er der Eis- und Schwimmhalle einen guten Zustand bescheinigte, Schuld für das Unglück auf sich geladen habe: "Die verantwortlichen Amtsträger und Behördenmitarbeiter der Stadt Bad Reichenhall haben Anfang der 70er Jahre die gemeindeeigene Sporthalle - mangels vorhandener Prüfstatik für das Eishallendach - praktisch als Schwarzbau errichtet und über 30 Jahre betrieben."

Ihr Mandant Rüdiger S. sei nie mit einer Überprüfung der Dachkonstruktion der Eishalle beauftragt worden. Er stehe hier "stellvertretend für das Versagen der Gemeindeverantwortlichen" der Stadt Bad Reichenhall.

Unter den Angehörigen herrscht Uneinigkeit darüber, ob die Richtigen auf der Anklagebank sitzen. "Das ist korrekt", sagt Norbert Schmidbauer. "Das Zentrum der Verantwortung ist ganz woanders zu suchen. Das haben die ersten Prozessstunden in überraschender Deutlichkeit gezeigt", sagt dagegen Robert Schromm, der seine Frau in der Eishalle verloren hat, mit Blick auf die Stadt Bad Reichenhall.

Den Eindruck vieler Prozessbeobachter, Zeuge einer umfassenden Schlamperei zu werden, fasst Staatsanwalt Volker Ziegler zusammen. "Es ist hier schon öfter vorgetragen worden, dass sich jeder auf den anderen verlässt, weil er so toll ist." Der Prozess wird am 4.Februar mit Zeugenvernehmungen fortgesetzt.

© SZ vom 29.01.2008/bica - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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