Traditionelles Handwerk:Die bayerische Tupperware

Monika Baumgartner bemalt in Berchtesgaden Spanholzschachteln. Die sind auch in Husum gefragt

Von Markus Wolf, Oberau/Marktschellenberg

Sie sitzt mittendrin, die Frau mit ihren kurzen braunen Haaren und Brille, gebückt über einem kleinen Schächtelchen. Konzentriert ist sie und ruhig. Fast lässig gleiten ihre Pinselstriche über das Spanholz. Im Sekundentakt zieht sie die Striche. Keine zwei Minuten dauert es, bis ein filigraner, weißer Zierkranz entstanden ist. Die Schnelligkeit, mit der sie ihre Kunstwerke zaubert, ist nicht verwunderlich, immerhin macht sie die Arbeit schon seit 35 Jahren.

Hier in der kleinen Werkstatt mit Blick auf den Untersberg stapeln sich hölzerne Schachteln aller Art: große und kleine, runde und eckige, bemalte und unbemalte. Monika Baumgartner ist eine der letzten Spanschachtelmalerinnen. In Oberau, einem Dorf in der Nähe von Berchtesgaden, hat sie ihre Werkstatt. "Für mich ist das wie ein Lottogewinn", sagt Baumgartner und lacht. Auch wenn das Handwerk selten geworden ist, gefragt ist es allemal noch. Baumgartners Auftragsbücher sind jedenfalls voll.

Als sie vor 35 Jahren mit dem Spanschachtelmalen begann, gab es noch Konkurrenz. Damals arbeitete sie noch für das Landratsamt, erst später machte sie sich selbständig. Heute hat sie ihre eigene Werkstatt, in der sie alles selbst macht. Tagsüber bemalt sie die Schachteln, denn da ist das Licht am besten. "Die Buchhaltung mach ich auf'd Nacht", erzählt Baumgartner. Dazu kommen Aufträge annehmen, Rechnungen senden, Pakete zur Post bringen. Nur eines macht sie nicht: "Ich mache keine Werbung und kein Marketing", beteuert sie. Und die Internetseite von Holzkunsthandwerk Baumgartner? "Ich weiß nicht, wo die herkommt, die muss irgendwer angelegt haben. Ich war's jedenfalls nicht", sagt sie.

Ihre Bekanntheit reicht auch ohne Werbung weit. Anfragen bekommt sie aus ganz Deutschland. Ein Museum aus Husum an der Nordseeküste sei einer ihrer Hauptauftraggeber, wie Baumgartner erzählt. Die meisten Aufträge kommen freilich aus der Region. Denn hier sind die Spanschachteln sozusagen daheim.

Die Spanschachteln sind sogenannte "Berchtesgadener War": Holzhandwerkskunst, die es bereits seit mehreren Jahrhunderten in der Berchtesgadener Gegend gibt. Schnitzer, Drechsler, Spielzeugmacher und eben auch Spanschachtelmacher und -bemaler. Weitbekannt wurde die Berchtesgadener War durch die Hausierer, die mit ihrer Kraxen - einem Rucksack mit Holzgestell - durch die Lande zogen und die Artikel aus Berchtesgaden verkauften. Früher wurden Spanschachteln als Verpackungsmaterial benutzt. Sie waren gewissermaßen die Urväter der Tupperware und Plastikboxen. Empfindlich, aber immerhin biologisch voll abbaubar. Heute werden die Spanschachteln, die Baumgartner bemalt, oft als Behälter für die traditionelle Berchtesgadener Tracht verwendet oder als Geschenk zur Hochzeit oder zur Kommunion. Ministerpräsident Horst Seehofer hat eine bekommen, als er Berchtesgaden besuchte: Eine Spezialanfertigung mit seinen Initialen.

Gefertigt werden die Schachtel von Josef Hölzl. Er lebt ein paar Kilometer von Oberau entfernt, etwas außerhalb von Marktschellenberg hat er seine Werkstatt. Malerisch am Hang liegt sein Hof, der Blick schweift weit ins Tal, wo Berchtesgaden liegt. Aber Hölzl ist gerade nicht nach bayerischer Bergromantik. Er muss heute noch ins Holz. Vorher noch schnell in die Werkstatt, seine Spanschachteln prüfen. Hölzl kramt im Schrank und zieht eine kleine Schachtel hervor. Der Holzrahmen ist gerissen, das Spanholz zerborsten. "Schlechte Qualität ist das. Industriell gefertigt mit billigem Holz", sagt Hölzl.

Das macht ihn fuchsig, das merkt man. Er selbst stellt die Spanschachteln Schritt für Schritt unter hohem Aufwand her. Erst die langen Holzstücke - genannt Zargen - vom Baum ziehen, kochen, in Form bringen und dann ruhen lassen. Hölzl nimmt eine der unfertigen Schachteln, die in seiner Werkstatt liegen. Um einen viereckigen Holzblock mit runden Ecken wird das nach dem Kochen weiche Holz gelegt. Er entfernt den Block, das Holz behält die für die Spanschachteln typische Form.

Während Baumgartner seit 35 Jahren die Spanschachteln hauptberuflich bemalt, hat Hölzl immer nebenbei die Spanschachteln gefertigt. Früher arbeitete er als Bergmann im Salzbergwerk Berchtesgaden und als Landwirt. Das Handwerk hat er von seinem Vater gelernt, der es wiederum vom Großvater gelernt hat. Inzwischen ist er im Ruhestand, seine Kinder und Enkel haben den Hof übernommen.

So unterschiedlich sich die Arbeit bei Baumgartner und Hölzl gestaltet, eines haben sie gemeinsam: Nachfolger sind nicht in Sicht. Und ob es überhaupt welche geben wird, ist fraglich. Ein paar Interessenten gebe es schon immer wieder, erzählt Baumgartner. Aber niemand mehr, der das als Beruf machen wolle. "Das wird wahrscheinlich verschwinden", meint Monika Baumgartner.

Hölzl ist optimistischer, sieht aber auch die Probleme: "Es rentiert sich halt nicht", sagt er. Deswegen sei das mit dem Nachwuchs auch "schwierig", auch wenn es ein paar Interessenten gibt. Als Meister der Holzhandwerkerzunft Berchtesgaden hat er sich auf die Fahnen geschrieben, das Handwerk zu erhalten. Einen Hoffnungsschimmer gibt es für ihn: "Das war ja damals ein Nothandwerk für die armen Leute", erzählt Hölzl.

Für schwere Zeiten ist das Spanschachtelhandwerk also gewappnet.

Für den Tipp bedanken wir uns bei Christa Münzner aus Pullach

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