Tradition:Das Wirtshaus als perfekte Kulisse

Wirtshaus Schönmühl

Klassiker in Oberbayern: Die historische Gaststube des Wirtshauses in Schönmühl bei Penzberg. Das Mobiliar ist von Renovierungen verschont geblieben.

(Foto: Sebastian Beck)

Dunkle Holzvertäfelungen, umlaufende Sitzbank, ein Herrgottswinkel: So muss ein bayerisches Wirtshaus aussehen. Doch dieses urige Bild entstammt keiner langen Tradition, sondern dem Brauerei-Marketing des 19. Jahrhunderts.

Von Matthias Köpf

Wie ein klassisches bayerisches Wirtshaus auszusehen hat, das ist praktisch jedem klar, der schon einmal eins von innen gesehen hat: holzvertäfelte Wände, umlaufende Sitzbank, schweres dunkles Mobiliar, Herrgottswinkel, Kachelofen, ein Hirschgeweih oder wenigstens ein paar Rehkrickerl und dazu vielleicht ein bisschen Landschaftsmalerei oder ein Genrebild aus dem alten Wirtshausleben, auf dem es dann ungefähr genauso ausschaut wie in der Gaststube, in der es hängt.

In solchen Arrangements gehen Bayern und das Bier, das Bauernland und seine urwüchsige Lebensart jene mythische Verbindung ein, wie sie die Werbeleute von heute nicht besser erfinden könnten. Doch das haben ihre Vorgänger ohnehin schon erledigt. Denn das heutige Idealbild des bayerischen Wirtshauses entstammt weniger einer jahrhundertelangen Tradition, sondern eher dem Brauerei-Marketing des 19. Jahrhunderts. Als sein eigentlicher Erfinder gilt manchen der Münchner Architekt Gabriel von Seidl.

Dass sich ihr Bier in bajuwarisierendem Ambiente noch besser verkaufen lässt, das haben die großen Münchner Brauereien fern der Heimat erfahren: Auf der zweiten Pariser Weltausstellung 1867 machte die Gastronomie der Spatenbrauerei Furore, die der in Düsseldorf geborene Maler und Grafiker Otto Hupp mit großformatigen Landschaftsbildern ausgestattet hat.

Bei der Expo 1891 in London fügt dann die Pschorr-Brauerei der Verbindung noch die alpenländisch-musikalische Komponente hinzu, indem sie eine Tiroler Sängergesellschaft auftreten lässt. So schildert Richard Loibl vom Haus der bayerischen Geschichte die Entwicklung in seinem Katalog-Beitrag zur laufenden Landesausstellung "Bier in Bayern".

Während im 19. Jahrhundert die allgegenwärtige Industrialisierung auch viele Brauereien zu Bierfabriken machte, verbanden die Brauereibesitzer ihr Produkt mit einem Heimatbild, an das sich auch die durch die grassierende Veränderung verunsicherten Menschen gerne hielten. Die zur gleichen Zeit für den aufkommenden Tourismus entdeckten Alpen galten ohnehin als heile Welt, in der das unverfälschte Leben noch zu finden sein könnte.

Das Urbild des Wirtshauses

Zugleich förderten die Wittelsbacher das Trachtenwesen nach Kräften, um das Nationalbewusstsein ihrer Untertanen zu stärken. 1883 gründete der Lehrer Hans Vogl in Bayrischzell den ersten Trachtenverein. Und so, wie die vermeintlich authentische Miesbacher Tracht im 19. Jahrhundert zum verbindlichen Vorbild für ganz Bayern wurde, so wurde die ebenfalls stark idealisierte Bauernstube des oberbayerischen Voralpenlands zum Urbild aller als bayerisch empfundenen Wirtshäuser - gerne garniert mit musizierenden, singenden oder, besser noch, jodelnden Menschen in Lederhose, Trachtenjoppe oder Dirndlkleid.

In München hatte sich die Brauerdynastie Sedlmayr von ihrem Verwandten Gabriel von Seidl den Bierpalast als zeitgemäße Großgastronomie erfinden lassen. Die Ausstattung stammt von Künstlern wie wiederum Hupp oder Franz von Lenbach. Andere Brauereien zogen nach und exportieren mit ihrem Bier auch den Architekturtyp Bierpalast etwa nach Berlin, Straßburg und Stockholm. Diese Bierpaläste blieben großstädtische Orte, denn nur dort gab es genügend Publikum, um Tausende Sitzplätze zu füllen.

Der "Giebe-Gabi" und seine Bauten

Doch auch für die Gastronomie im kleineren Maßstab war die zentrale Figur Gabriel von Seidl, der einer der prägenden Münchner Architekten war und durch seine vielen Bauten immer noch ist. In seinem historisierenden Heimatstil hat Seidl auch die giebelreichen Fassaden der Tölzer Marktstraße gestaltet und wurde dafür gern der "Giebe-Gabi" genannt.

Seidls erste beispielhafte Wirtshaus-Neuschöpfung aus dem Geist seines Heimatstils war 1894 der "Bauerngirgl" an der Münchner Residenzstraße. Das außen neubarock gestaltete Haus wurde bei Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und Mitte der Fünfzigerjahre abgerissen, doch die Inneneinrichtung ist noch auf alten Postkarten zu sehen. Im Bauerngirgl haben sie also zusammengefunden, die mannshohe Wandvertäfelung aus dunklem Holz und die schweren Stühle, die Hirschgeweihe und das Kruzifix, die weiß-blauen Rauten und das Königsportrait, die scheinbare Heimat und die tröstliche Heimeligkeit. So lautet jedenfalls die These des Historikers Richard Loibl.

Wirtshäuser, Schänken, Herbergen und Poststationen hatte es in Bayern bis dahin natürlich auch schon gegeben, und auch deren Betreiber werden schon bemüht gewesen sein, die Gäste zum Bleiben und zum Wiederkommen zu motivieren. Doch die Gasthaus-Gemütlichkeit in ihrer kanonisierten Form sieht Loibl als Seidls Werk, an dem sich dann viele andere orientiert haben - nicht zuletzt die Brauereien, die dann einige Jahrzehnte später damit begannen, ihre Wirte und Pächter nicht nur mit ihren Getränken zu beliefern, sondern sie auch mit der weitgehend standardisierten Inneneinrichtung auszustatten.

Von den Sechzigerjahren an hielten zwischenzeitlich hellere Furniere, Resopal und PVC Einzug in viele Gaststuben, doch das 21. Jahrhundert ist längst wieder bei Seidls Idealtypus angekommen. Wirtshäuser, die gleich dabei geblieben sind, dürfen mit einer lobenden Erwähnung vom Landesamt für Denkmalpflege rechnen, das im Volk-Verlag einen eigenen Sammelband mit dem Titel "Genuss mit Geschichte" über denkmalgeschützte Gaststätten aller Art herausgegeben hat.

Dem Seidl-Typus entspricht daraus zum Beispiel der Gasthof zur Post in Söllhuben im Chiemgau, in dem auch das stets heimatverbundene Bayerische Fernsehen seine "Wirtshausmusikanten beim Hirzinger" auftreten lässt und so die klassische Gaststube wieder mit Musikanten in Trachten komplettiert.

Kulissenbauer könnten die Orte nicht besser schaffen

Zur Kulisse fürs Fernsehen ist auch das Gasthaus Schönmühl schon geworden, das in einer engen Loisachschleife bei Penzberg liegt. Hier gibt es seit mindestens der erste Hälfte des 18. Jahrhunderts eine "bierzapflerei", wie aus dem Stiftsbuch des Klosters Benediktbeuern hervorgeht. Wer von dem langen Hausgang mit der gewölbten Decke nach rechts in die Gaststube abbiegt, der kann froh sein, dass die Schwelle ziemlich ausgetreten ist, so niedrig ist der Türrahmen.

Drinnen ist fast alles da: der Boden aus breiten Eichenbalken, die umlaufende Holzbank, die dunklen Möbel, die Stellagen mit irdenen Bierkrügen, die Geweihe, der Kachelofen und ein abblätterndes Kruzifix in der gegenüberliegenden Ecke, wo der Herrgottswinkel eben hingehört. Allein die Holztäfelung fehlt. Von Teilen des Mobiliars einmal abgesehen, datieren die Denkmalschützern die Stube in ihrer gesamten Erscheinung ungefähr auf das Jahr 1800, weit vor Gabriel von Seidl und dem Heimatstil. Er hat das Idealbild des bayerischen Wirtshauses bis heute geprägt - ganz aus dem Nichts erschaffen, hat aber auch Seidl das Wirtshaus nicht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: