Tierschützer gegen Viehtransporte:"Wir wollen den Irrsinn stoppen"

Tierschützer gegen Viehtransporte: Ein umgekippter Transporter auf der A 99 bei Vaterstetten, darin 700 Ferkel: Sie alle wurden notgeschlachtet. Vier Wochen ist das jetzt her.

Ein umgekippter Transporter auf der A 99 bei Vaterstetten, darin 700 Ferkel: Sie alle wurden notgeschlachtet. Vier Wochen ist das jetzt her.

(Foto: Christian Endt)

Blutroter Schnee, schrilles Quieken: Mit dem Tod von 711 Ferkeln endete ein Tiertransport bei Vaterstetten im Februar. Um gegen solche Viehtransporte quer durch Europa vorzugehen, wollen Tierschützer nicht länger nur demonstrieren dürfen. Sie fordern ein Klagerecht - doch Landtag und Agrarlobby bleiben hart.

Von Katja Riedel

Es war eine schaurige Szenerie, die sich den Rettungskräften in der Nacht zum 21. Februar auf der A 99 bei Vaterstetten bot. Sie waren ausgerückt, um verunglückte Tiere aus einem umgekippten Laster zu befreien. Schrilles Quieken, der Geruch von 711 Ferkeln, die in dem engen Transporter eingekeilt waren: ängstlich und ermattet von der Hunderte Kilometer langen Reise aus Dänemark. Und später dann, als es für keines der Tiere eine Rettung gab, als Reise und Leben statt in einem italienischen Schlachthof in Vaterstetten endeten, erinnerte blutroter Schnee an die Tiertragödie auf der Autobahn. Das Blut der notgeschlachteten Tiere hatte ihn gefärbt. Ihr Fleisch war ungenießbar geworden, weil sie vor Angst so viel Adrenalin ausgestoßen hatten.

Verbittert. Stinksauer. Wütend. Mit diesen Worten beschreibt Kurt Perlinger seine Gefühle bei Tragödien wie dieser. Da wird er verbal gern deftig. Perlinger ist Vorsitzender des Münchner Tierschutzvereins, und in dieser Funktion nimmt er kein Blatt vor den Mund, wenn es um Tierrechte geht - auch nicht bei der großen Demonstration am Mittwochabend auf dem Odeonsplatz, wo die Tierschützer gemeinsam mit dem Münchner Oberbürgermeister und SPD-Spitzenkandidaten Christian Ude auf die Straße gingen.

Denn Perlinger und seine Mitstreiter wollen künftig per Gesetz die Rolle als Anwälte der Tiere spielen. Als "Treuhänder" für Tierrechte wollten die Grünen im Landtag die Tierschutzvereine und -verbände etablieren: in einem Gesetzentwurf für ein sogenanntes Verbandsklagerecht. Den jedoch schmetterte im Februar eine Mehrheit aus CSU, FDP und Freien Wählern ab, kurz nach dem ebenso fatalen wie plakativen Unfall des Ferkeltransporters. Das Nein war deutlich, trotz einer Unterschriftenliste der Münchner Tierschützer, auf die mehr als 40 000 Menschen ihre Namen gesetzt hatten.

Ein ähnlicher Vorstoß der SPD war schon 2010 von der Landtagsmehrheit gestoppt worden. Sie alle scheiterten wohl an der starken Lobby, der sowohl Freie Wähler als auch CSU eng verbunden sind: der Bauernschaft und ihren mächtigen Verbänden. Der Deutsche Bauernverband warnt schon länger vor aufgeblähter Bürokratie. Auch Wissenschaft und Forschung, die ebenso wenig erpicht sind auf schwer kalkulierbare Eingriffe von außen, fürchten um die Zukunft der Entwicklung lebensrettender Medikamente.

Wenige Großunternehmer hinter der Masse der Bauernschaft

Die Tierschützer halten diese Befürchtungen für übertrieben. "Wenn diese Bauernschaft nur überleben kann, wenn sie gegen Tierschutzrechte verstößt, dann brauchen wir eine solche Bauernschaft nicht", wütet Perlinger. Er fürchtet, dass sich wenige Großunternehmen hinter der Masse der Bauernschaft verschanzen, um die Interessen der Industrie durchzusetzen. Denn diese Großbetriebe wären es wohl, die die Tierschützer besonders ins Visier nehmen würden, hätten sie ein Klagerecht.

Da sie ehrenamtlich organisiert seien und Klagen aus Spenden finanzieren müssten, könne man ohnehin nur bei wirklich großen Fällen die Gerichte überprüfen lassen, ob alles rechtens sei, sagt Perlinger. "Wir wollen den Irrsinn stoppen, die extremen Auswüchse von Massentierhaltung und Tiertransporten quer durch ganz Europa", sagt er.

Bisher regeln zwar das bayerische wie das bundesweite Tierschutzgesetz den groben Rahmen: Keinem Tier darf man ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Es gibt jedoch Grauzonen, denn nicht auf jeden Verstoß gegen eine Vorschrift zum Tierschutz steht auch eine Strafe.

Im Stall zur Bewegungslosigkeit verdammt

Insbesondere, so führten auch die Grünen in ihrem gescheiterten Entwurf aus, gelte dies für das Gebot einer verhaltensgerechten Unterbringung: zu einer Haltung also, in der der Stall dem Tier ein Leben ermöglicht, das den Anforderungen seiner Art entspricht und diese nicht bloß, zu Bewegungslosigkeit verdammt, zusammenpfercht. Verwaltungsgerichte könnten diese Bedingungen objektiv überprüfen. Aber wo kein Kläger, da kein Richter. Und ohne Verbandsklagerecht dürfen die Tierschützer eben keine Klage lancieren.

Das gilt auch für die toten Ferkel von Vaterstetten. Die könnte zwar auch ein Verbandsklagerecht nicht wieder zum Leben erwecken, wie es dies seit 2007 in Bremen gibt und wie es vor zwei Jahren das Saarland und Nordrhein-Westfalen eingeführt haben. In Bayern wiederum dürfen Verbände bisher nur in anderen Bereichen Klage erheben: im Umwelt- und Naturschutz, im Wettbewerbsrecht oder im Verbraucherschutz.

Tierschützer könnten mit einer Klage auch keine neuen Regelungen und Obergrenzen für Tiertransporte oder mehr Platz für Legehennen herausklagen. Bei den Tiertransporten regelt dies die EU in Brüssel. Ein spektakulärer Fall von großer medialer Wirkung gäbe den Tierschützern aber ein rechtliches Instrumentarium, um "eine Art Musterprozess zu führen", sagt Perlinger. Dies sei, wie er einräumt, "nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber ein wichtiger erster Schritt".

Nicht alle Tierschützer wollen indes diesen Weg gehen. Andere Verbände, etwa die Albert Schweitzer Stiftung, gehen in ihren Forderungen weiter und fordern, die Massentierhaltung über eine Novellierung des Tierschutzgesetzes zu stoppen. Auf dem alternativen Münchner Tollwood-Festival soll die Initiative im Sommer in dem Kunstwerk mit dem Titel "25 mal lebenswert" einen Platz finden.

"Es geht immer um das gleiche: die skandalösen Missstände in der Massentierhaltung anzuprangern", sagt Stephanie Weigel, die Umweltchefin des Festivals. "Wir sind einfach empört und beschäftigen uns bei Tollwood schon sehr lange mit Massentierhaltung und Fleischkonsum", sagt sie. Sie spreche viel mit Tierschützern. Viele Verbände seien zwar engagiert, aber auch entmutigt. "Die freuen sich schon, wenn sie für ein Tier ein paar Quadratmeter herausschlagen", sagt Weigel. Und mahnt auch die Verbraucher, zu einer Lobby für Tiere zu werden. Die seien es noch nicht gewohnt, für Lebensmittel den angemessenen Preis zu zahlen. "Wir brauchen eine Kulturänderung", sagt Weigel. "Aber das dauert."

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