Therapie für Priester:"Die Not vieler Seelsorger ist groß"

Immer mehr Priester und Ordensleute fühlen sich überfordert. Der Therapeut Wunibald Müller hilft ihnen, ihre Lebenskrise zu bewältigen.

Matthias Drobinski

Seit 20 Jahren besteht das Recollectio-Haus der Abtei Münsterschwarzach in Unterfranken. Priester, Ordensleute und hauptamtliche Kirchenmitarbeiter, die ein Burn-out haben oder sich in einer persönlichen Lebenskrise befinden, können dort eine Auszeit unter therapeutischer Begleitung nehmen. Am Wochenende wurde bei einem Symposium Rückschau gehalten auf die Arbeit der Einrichtung. Wir sprachen darüber mit Wunibald Müller, dem Leiter des Hauses.

Jahresrückblick 2010 - Missbrauchsfälle in der Kirche

Das Personal der katholischen Kirche, das sich verheizt fühlt oder von tiefen Depressionen geplagt wird, findet in Münsterschwarzach Hilfe.

(Foto: dpa)

SZ: Können Sie sich an Ihren ersten Kurs erinnern?

Vor allem an unsere Unsicherheit. Wir wussten nicht, ob die Bischöfe, die Ordensoberen, unsere Arbeit akzeptieren würden. Was würde sein, wenn nach einem Kurs ein Priester sein Amt aufgibt, eine Nonne den Orden verlässt?

SZ: Wunibald Müller hilft ihnen, ihre Lebenskrise zu bewältigen.Weil Sie ihnen das geraten haben.

Wir raten nicht zu diesem oder jenem Schritt, wir möchten, dass die Teilnehmer unserer Kurse nach drei Monaten eigene Entscheidungen treffen. Die meisten, die kommen, wollen auch gar nicht austreten, sondern sich etwas Gutes tun. Aber es gibt immer wieder Priester und Ordensleute, die in einer tiefen seelischen Krise sind und sich im Recollectio-Haus entscheiden, ob sie weiter ihren Dienst tun wollen oder den Orden, den Priesterberuf verlassen, in Verantwortung vor sich, vor Gott, der Kirche.

SZ: Das akzeptieren die Personalchefs?

Ja, weil sie ja wissen, dass es keinen Sinn hat, jemanden mit moralischem Druck zu halten, der eine bestimmte Lebensform nicht mehr leben kann. Da hat sich das Bewusstsein geändert.

SZ: Einer Ihrer Teilnehmer hat gesagt: "Meine Seele hat Muskelkater." Seelsorger sollen aber nach landläufiger Meinung keinen Seelen-Muskelkater haben.

Muskelkater entsteht, wenn man seine Muskeln zu sehr belastet. Genau das tun viele Seelsorger: Sie überlasten ihre Seele. Sie wollen, wie der Apostel Paulus sagt, "allen alles sein". Das ist ein hohes Ideal, das in den Kirchen, aber auch von den Seelsorgern selbst, oft ungut überhöht wird: Du musst allen alles sein, bis du nicht mehr kannst. Dann hat die Seele Muskelkater und braucht Erholung.

SZ: Dass so viele Mitarbeiter diesen Muskelkater haben, ist doch ein Zeichen großer Not.

Ja, die Not vieler Seelsorger ist groß. Sie hat ihre Ursachen in der zu hohen Idealisierung des Berufs, aber auch in der zunehmenden Arbeitsbelastung. Und natürlich hängt sie auch mit der Persönlichkeit zusammen: Wer ein gutes Selbstwertgefühl hat, kann auf sich achten, der kann auch einmal Nein sagen und sich abgrenzen, auch mal gegenüber dem Bischof. Wem das fehlt, der neigt dazu, zu allem Ja zu sagen, sich als unnützer Knecht zu sehen, auf dessen Bedürfnisse es nicht ankommt. Das ist aber letztlich verantwortungslos. Das haben inzwischen auch viele Personalchefs und Ordensobere erkannt und empfehlen daher einen Aufenthalt im Recollectio-Haus.

SZ: Wie haben sich die Menschen verändert, die zu Ihnen kommen?

Am Anfang kamen vor allem die aggressiven Typen, die sich auspowerten, die alles machen und nichts loslassen wollten, die sich in Konflikten verheizten. Inzwischen überwiegen die depressiven Typen, denen alles zu viel wird, die zum Rückzug neigen, sich mit anderen Menschen schwertun.

SZ: Das klingt nicht sehr positiv.

Das hat gute und schlechte Seiten. Vor 20 Jahren konnten viele Priester nur schwer akzeptieren, dass sie Grenzen haben und Hilfe brauchen. Inzwischen trauen sie sich, zu ihren Schwächen zu stehen und Hilfe in Anspruch zu nehmen.

SZ: Brauchen sie dringender Hilfe als früher?

Priester drohen häufiger als früher auszubrennen. Ihre Arbeitsbelastung ist gestiegen; überall werden Gemeinden zusammengelegt. Sie leiden unter der Kirchenkrise, weil sie sich zunehmend als Außenseiter sehen oder weil sie selbst vieles nicht mehr vertreten können, was ihre Kirche lehrt. Viele leben nach dem Satz des Schriftstellers Ödön von Horváth: Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme selten dazu.

SZ: Die landläufige Antwort auf die Krise der Priester ist: Der Zölibat ist schuld. Erleben Sie das so?

Der Zölibat ist ein Thema, ich glaube aber, dass eine andere Frage wichtiger ist: Gelingt es Priestern, persönlich tiefe und damit intime Beziehungen aufzubauen und zu unterhalten? Priester brauchen solche intimen Beziehungen zu Frauen und Männern, in denen sie sich zu Hause fühlen und sich vorbehaltlos öffnen können. Dann können sie sehr wohl den Zölibat leben.

SZ: Haben Sie den Eindruck, dass das Priestern gelingt?

Ja. Aber es stimmt: Priester haben zunehmend Schwierigkeiten, solche intimen Beziehungen aufzubauen und den Zölibat erfüllend zu leben. In unserer täglichen Arbeit erleben wir auch, dass Leute Priester werden, die eigentlich unfähig zu tieferen Beziehungen sind und die hoffen, mit der Priesterweihe das Thema zu erledigen. Das funktioniert natürlich nicht.

SZ: Wie haben die Missbrauchsskandale die Priester verändert?

Viele haben sich sehr selbstkritisch gefragt, wie es kommen konnte, dass doch mehr Mitbrüder als gedacht Kindern und Jugendlichen sexuelle Gewalt angetan haben. Viele fühlten sich aber auch ungerecht in die Ecke gedrängt und verdächtigt. Ein Priester hat mir erzählt, wie er auf der Straße angespuckt wurde, einfach weil er als Priester erkennbar war. Wer das erlebt, ist nicht mehr der Gleiche wie vorher. Positiv fällt mir auf, dass viele Priester bewusster überlegen: Wie wollen, wie können wir unsere Lebensform leben? Und klarer wahrnehmen, was in ihrer Kirche im Argen liegt.

SZ: Da haben Sie vor einem Jahr auf dem Ökumenischen Kirchentag in München klar gesagt: Die katholische Kirche braucht dringend Reformen.

Wir sehen, wie gut es wäre, auch verheirateten Männern und Frauen Wege zur Weihe zu ermöglichen; wie wichtig es wäre, dass die katholische Kirche anders und offener über Sexualität redet. Das zu sagen gehört auch zu unserer Verantwortung im Recollectio-Haus.

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