Taufkirchen:Lehre mit über 30: Zweite Chance für Späteinsteiger

Azubis mit ausländischen Wurzeln

Die bayerische Metall- und Elektroindustrie will auch junge Erwachsene, die nicht mehr im typischen Lehrlingsalter sind, für eine Ausbildung gewinnen.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)
  • Die Arbeitslosenquote in Bayern liegt bei 3,2 Prozent, im Landkreis München bei 2,6 Prozent. Nachwuchs zu finden, ist für viele Firmen schwer.
  • "Power 25+" heißt ein Umschulungsprojekt für ältere Azubis. 54 wurden seit 2015 begleitet und vermittelt.
  • 2,6 Millionen Euro kostet das Projekt, gut eine Million zahlt der bayerische Verband der Metall- und Elektroindustrie, der Rest kommt von der Bundesagentur für Arbeit.

Von Johann Osel, Taufkirchen

Hinter Lukasz Borowiak sieht alles aus wie immer: gelbe, grüne und rote Kisten hinauf bis zur Decke, mit Kameras und Objektiven. Nebenan in einem eigenen Raum, nur mit speziellen Schuhen zu betreten, liegen noch sehr staubempfindliche Sensoren. Der Mittelständler Framos in Taufkirchen bei München ist Dienstleister für automatisiertes Filmen, da geht es zum Beispiel um Mini-Kameras im OP-Saal.

Als angehender Lagerlogistiker weiß Borowiak, was zu tun ist: den Warenverkehr verwalten, einbuchen im System. Vor dem 32-Jährigen ist an dem Tag aber gar nichts wie immer. Da steht ein Tross von Gästen, Vertreter der Metall- und Elektroindustrie, der Agentur für Arbeit, Journalisten. Es dauert eine Weile, bis der junge Pole die Schüchternheit ablegt und registriert, dass er im Mittelpunkt steht. Er und die berufliche Chance, die er ergriffen hat.

"Power 25+" heißt das Projekt, das die Arbeitgeber der bayerischen Metall- und Elektroindustrie mit der Bundesagentur für Arbeit aufgelegt haben: eine begleitete Umschulung für junge Erwachsene zwischen 25 und 35 Jahren. Im Freistaat konnten seit 2015 dadurch 54 Azubis vermittelt werden, die aus dem typischen Lehrlingsalter heraus sind, die sonst wenig Aussichten auf dem Arbeitsmarkt gehabt hätten. Zwei sind es in Taufkirchen, wo bei einem Projekttag nun Bilanz gezogen werden sollte.

Es gab ein Vorgänger-Projekt: "Power me", eine Ausbildung mit Hilfestellung für Jugendliche ohne oder mit mäßigem Schulabschluss, mit Lernproblemen. Mittlerweile bieten Arbeitsagenturen eine solche assistierte Ausbildung mit zusätzlicher Nachhilfe und einem Coach fast bundesweit an. Der Impuls kam aus Bayern. Auch das Modell für die Älteren könnte Nachahmer finden.

Viele Betriebe klagen über ausbleibenden Nachwuchs in der Dualen Ausbildung und über einen Ansturm auf die Hochschulen. Zugleich hat die Wirtschaft erkannt, dass sie sich nach oben und unten öffnen muss, wenn sie junge Leute in die Lehre bringen will. Nach oben, indem man das Duale System als Alternative zum Studium attraktiver macht; nach unten, indem man nicht nach strengen Rastern auswählt, sondern schwächere Schüler mit flexibler Hilfe quasi einlädt.

Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Metall- und Elektroindustrie, sagt: Man biete somit Chancen "auch für solche, die auf den ersten Blick nicht so begabt erscheinen, aber mit Unterstützung gut untergebracht werden können und dann Leistung bringen". Es gehe bei der Fachkräftesicherung durch Ausbildung eben nicht nur um die Teenager: "Um die Über-25-Jährigen hat sich lange kein Schwein gekümmert."

Taufkirchen: Lukasz Borowiak, 32, hat Maurer gelernt. Nun macht der junge Pole eine Ausbildung zum Lagerlogistiker. Bisher hatte er in Deutschland vor allem als Paketbote gearbeitet.

Lukasz Borowiak, 32, hat Maurer gelernt. Nun macht der junge Pole eine Ausbildung zum Lagerlogistiker. Bisher hatte er in Deutschland vor allem als Paketbote gearbeitet.

(Foto: ojo)

Die Arbeitslosenquote in Bayern liegt bei 3,2 Prozent, im Landkreis München bei 2,6 Prozent. Firmen müssen da erst mal Nachwuchs finden, auch über Umwege. Wie bei Borowiak. In seiner Heimat Polen hat er Maurer gelernt. Nachdem er vor etwa acht Jahren nach Deutschland gekommen war, arbeitete er vor allem als Paketbote. Montag bis Samstag unter Strom, wie er sagt, im Alltag oft mit Ärger, "falsche Adressen und so". Er wollte eine neue Chance.

Bei der Arbeitsagentur brachte man ihn dann in das Projekt. Über Jahre werden die Azubis begleitet. Das geht los mit der ersten Beratung möglicher Teilnehmer und mit viel Vorbereitung auf die Umschulung: Man schaut, welcher Beruf passen könnte und welcher Betrieb, die Stärken werden ermittelt. In dem Zeitraum springen auch viele wieder ab. Am Anfang des Projekts waren mehr als 200 Leute bayernweit auf dem Radar, in der Lehre sind 54 geblieben. Als maue Erfolgsquote will man das bei den Machern nicht deuten.

Das wichtigste sei, dass Leute mit schlechten Perspektiven aktiviert und motiviert werden - wenn dann manche doch in einen Job statt in die Umschulung gingen, sei das gut. Generell sei Zukunftsplanung bei der Klientel kein Selbstläufer, heißt es. Man habe mit dem Projekt eine Gruppe im Fokus, die meist nicht vor Veränderungswillen strotzt, die vielleicht schon so viele Niederlagen in Schule und Beruf zu verbuchen hatte, dass die Lust am Fortkommen verloren ging.

Lust hat Lukasz, das spürt man. Er mag an seinem Beruf das Systematische, in der Logistik habe alles einen geregelten Gang. "Man kann das, was man gelernt hat, direkt umsetzen, feste Abläufe." Eher individuell ist der Fahrplan in der begleiteten Umschulung: es gibt Kurse und Nachhilfe nach Maß, Azubis haben "Begleiter", an die sie sich wenden können, auch mal mit privaten Problemen.

Die Mitschüler in der Berufsschule sind erheblich jünger

Bei Borowiak besteht diese Unterstützung vor allem aus weiteren Deutschkursen; die Firma hatte zudem einen Logistiker engagiert, der abends mit ihm lernte - die Fachbegriffe der Branche. In der Berufsschule läuft es gut, auch wenn er der Älteste ist, die Mitschüler sind meist 17 oder 18. "Da sehe ich mich in der Vergangenheit, da nimmt man im Leben alles locker", sagt der Spät-Azubi. "Jetzt bin ich einen Schritt weiter."

Die Zwischenprüfung ist bestanden, überdurchschnittlich, jetzt hat er die Gesellenprüfung als Ziel. Wieder wird er mit Begriffen kämpfen, auch in Fächern wie Sozialkunde. Es wird wieder Nachhilfe geben. "Klar, das ist stressig mit den vielen Kursen. Aber es lohnt sich doch. Und ich weiß, dass ich nicht allein bin."

2,6 Millionen Euro kostet das Umschulungsprojekt für ältere Azubis, gut eine Million davon zahlt die Industrie. "Wer Fachkräfte will, muss auch Kohle auf den Tisch legen", meint Brossardt. Und wer Nachwuchs suche, benötige "Matching-Prozesse" und "Change-Prozesse". Beim Bilanz-Tag in Taufkirchen hört man derlei Worte ständig. Lukasz Borowiak nickt eifrig, wenn die Wirtschaftsfunktionäre sprechen, manchmal lächelt er verlegen. Wird schon noch, mit all den Fachbegriffen.

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