Heroldsbach:Ein Ort, zerrissen in Glaubende und Zweifelnde

Heroldsbach: Mit den inzwischen morschen Kreuzen sind die Pilger losgezogen.

Mit den inzwischen morschen Kreuzen sind die Pilger losgezogen.

Vor bald 70 Jahren soll in Heroldsbach die Muttergottes erschienen sein. Die Kirche erkannte nie etwas Übernatürliches an - doch Pilger kommen noch immer.

Von Katja Auer, Heroldsbach

Edgar Büttner kann sich noch erinnern, wie der Pfarrer vor der Christmette durch die Kirche gegangen ist und die Leute aus der Messe geschickt hat. "Gehst Du nauf'n Berg?" Nauf'n Berg, so sagen sie das in Oberfranken. Hinauf zum Wunderort? Ja? Dann raus aus der Michaelskirche. Von manchen wusste es der Pfarrer eh, weil der Kaplan heimlich herumschlich und die Autokennzeichen derer aufschrieb, die den Berg besuchten. Man soll ihn beobachtet haben dabei. Die droben auf dem Berg und die unten im Ort, "das war ein gespaltenes Dorf", sagt Büttner.

Das ist mehr als 60 Jahre her, damals war Edgar Büttner Ministrant in St. Michael, heute ist er der Bürgermeister von Heroldsbach im Landkreis Forchheim. Er ist Jahrgang 1951, zu jung, um selbst miterlebt zu haben, was sein Heimatdorf so zerrissen hat. Von unten kann er das goldene Kreuz auf der Kirchenspitze droben sehen. "Die Leute sollen hingehen, wo sie wollen", sagt er. "Wo sie ihr Heil finden."

Das suchen viele Menschen immer noch auf dem Berg, Tausende kommen jedes Jahr. Vor bald 70 Jahren waren es Zehntausende - am Tag. Busse und Sonderzüge mussten eingesetzt werden. Vom 9. Oktober 1949 an soll regelmäßig die Muttergottes in Heroldsbach erschienen sein. Um die 1000-mal insgesamt, zum letzten Mal am 31. Oktober 1952, soll sich die Heilige Maria neun Mädchen gezeigt haben. Die Kinder waren zehn und elf Jahre alt, ein 18-jähriges Mädchen war ebenfalls beteiligt.

Was genau passiert sein soll, darüber gibt es detaillierte Beschreibungen. Als Rosenkönigin soll sich die Gottesmutter den Mädchen offenbart haben, sie soll einen Atomkrieg angekündigt und zu Gebet und Buße aufgerufen haben. Die Kinder sollen das Jesuskind in den Armen gehalten haben, es gibt Fotos, auf denen die Sehermädchen, wie sie immer noch genannt werden, die Arme in die Höhe strecken, als ob ihnen ein Baby hineingelegt würde.

Mit bloßen Händen sollen sie eine Quelle gegraben haben und betend kilometerweit auf nackten Knien gerutscht sein. Das bloße Fleisch soll hernach an den Beinen hervorgeschaut haben, doch am nächsten Tag sei alles auf wundersame Weise verheilt gewesen. Aus den Mädchen sind alte Frauen geworden, die meisten leben noch, mit Journalisten mögen sie nicht reden. Sie haben schon viel Häme aushalten müssen.

Kein Marienwunder in Heroldsbach

Ein paar Felder und den Wald, mehr gab es damals nicht am Ortsrand von Heroldsbach. Aus dem Wald, über dem die Kinder das erste Zeichen gesehen haben sollen, sind Schüsse zu hören und trappelnde Pferdehufe, dort findet gerade die Westernshow im Freizeitpark Schloss Thurn statt. Auf den Feldern steht heute die Gebetsstätte, die Stellen, an denen sich die einzelnen Erscheinungen zugetragen habe sollen, sind mit Altären oder Schildern markiert. "Hier ist sie gelandet", sagt Pater Ludwig Müller, 67, mit rheinischer Fröhlichkeit und deutet auf einen Stein am Boden.

Sein Orden der Augustiner-Chorherren übernahm 1998 die Leitung der Gebetsstätte Heroldsbach, als sie nach langem Streit von der katholischen Kirche als solche anerkannt wurde. Die angeblichen Erscheinungen werden von den offiziellen Stellen nach wie vor als nicht übernatürlich eingestuft. Kein Marienwunder also, da hatten sich die Verantwortlichen in Bamberg und Rom schnell festgelegt.

Die Sehermädchen wurden als unglaubwürdig gebrandmarkt, der damalige Pfarrer versetzt, viele Pilger exkommuniziert. Abhalten lassen hat sich kaum jemand, der Pilgerverein arbeitete unverdrossen am Aufbau eines Gebetsortes. Heute kommt einmal im Jahr der Erzbischof vorbei und lobt Heroldsbach als Ort des Gebetes und der Neuevangelisierung.

Die Volksfrömmigkeit ist bis heute geblieben

Pater Ludwig darf nicht behaupten, dass sich die Gottesmutter tatsächlich in Heroldsbach gezeigt hat, falls er selbst daran glaubt, behält er es für sich. Nur so viel: "Wenn damals nichts gewesen wäre, wäre heute auch nichts."

In der Rosenkranzkapelle sitzen an einem gewöhnlichen Donnerstagmorgen 30 Leute in der Messe, bei der Kommunion legt Pater Ludwig die Hostien direkt in die Münder, es geht konservativ zu am Berg. Die Votivtafeln, draußen die inzwischen morschen Kreuze, die fromme Besucher den Pilgerweg am Waldrand entlanggeschleppt haben. In der Ecke eine Figur von Padre Pio, dem umstrittenen italienischen Volksheiligen, den die Leute längst verehrten, als die Kirche noch an seinen Stigmata ebenso wie an seiner Heiligkeit zweifelte.

Heroldsbach ist kein Ort des Zweifels, die Volksfrömmigkeit aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg scheint hier konserviert worden zu sein. Tag und Nacht sitzt hier jemand und betet, die Ewige Anbetung gehört zum frommen Markenkern der Gebetsstätte. Wer Gebetszeiten übernimmt, darf im Pilgerheim übernachten, auch für andere Besucher stehen Betten im Schlafsaal für elf Euro pro Nacht zur Verfügung.

"Der Ort zieht", sagt Pater Ludwig, außerdem profitiere die Gebetsstätte vom Priestermangel. Während anderswo Pfarreien zusammengelegt werden und die Gläubigen nicht einmal jeden Sonntag eine Messe in ihrem Heimatdorf besuchen können, findet in der Gebetsstätte jeden Tag ein Gottesdienst statt. Mindestens. An Sonntagen und Feiertagen sind es drei. 500 Beichten nehmen Pater Ludwig und seine beiden Mitbrüder jeden Monat ab.

Draußen am Brunnen mit seinen acht Hähnen füllt ein Mann gerade routiniert Wasser in zwei Kanister ab, er ist mit einer Gruppe behinderter Menschen da. Das Wasser soll heilende Wirkung haben, die Plastikflaschen zum Selbstabfüllen gibt es für zwei Euro. Immer wieder kommen Leute nach Heroldsbach, die Pater Ludwig erzählen, dass sie von Leiden geheilt worden seien. "Das brauch' ich schriftlich", antworte er dann, schließlich müsste sich die Kirche nach einem Wunder noch mal neu mit Heroldsbach beschäftigt. Bislang kann er jedoch keine Belege vorzeigen.

Der Bürgermeister vermutet "irgendwas Besonderes"

Dass irgendwas Besonderes da oben sein müsse, davon ist auch Bürgermeister Büttner überzeugt, wenngleich er sich eher mit den weltlichen Dingen unten beschäftigt. Gerade wird das ehemalige Kuratenhaus zum Bürgerhaus umgebaut, das Dorf wächst, junge Familien ziehen zu. 38,6 Jahre betrage der Altersdurchschnitt in Heroldsbach, das klingt nach Zukunft.

Büttner erzählt stolz von seinem Ort, auch deswegen, weil sich viele Leute damals nicht von den Drohungen der Kirche hätten beeindrucken lassen. Ihm sei es zwar als Zehnjährigem wurscht gewesen, "ob sich da die Sonne dreht", sagt er, inzwischen habe er jedoch selbst schon gespürt, wie ihm dieser Ort Kraft gebe. Und wer weiß, sagt er, was noch passiert da oben. "Da geht noch einiges", glaubt er.

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