SZ-Serie: Schauplätze, Folge 24:Ein Blitz trifft den Erleuchteten

Ende des 18. Jahrhunderts war der Priester, Gelehrte und Naturforscher Johann Jakob Lanz in geheimer Mission unterwegs. Als Verfechter der Illuminaten-Bewegung sollte er andere Geheimgesellschaften ausspionieren. Doch sein Plan flog auf: Ein Gewitter wurde ihm zum tödlichen Verhängnis

Von Dietrich Mittler, Regensburg

Das ist wahrhaftig mehr Aufregung, als eine Entenfamilie ertragen kann. Den Hals weit nach vorne gestreckt, retten sich die Tiere schnatternd ins Dunkel. Dort, wo im Regensburger Stadtpark eben noch der Weg für die Enten frei zu sein schien, bahnt sich nun ein Pulk Eltern mit ihren Kindern den Weg. Die Kleinen stechen mit ihren leuchtenden Papierlaternen in die Finsternis hinein, über Lautsprecher ertönt die Stimme einer Kindergärtnerin: "Rabimmel, rabammel, rabumm."

Es ist kurz nach fünf Uhr abends. Ein zu Tränen neigender Novemberhimmel lässt die verwitterten Grabkreuze, um die sich Bäume wie Würgeschlangen herumranken, noch unheimlicher wirken. Hier in unmittelbarer Nähe muss die Stelle sein, an der 1785 der Priester, Gelehrte und Naturforscher Johann Jakob Lanz nahe dem nun aufgelösten Friedhof St. Lazarus im Alter von 59 Jahren vom Blitz erschlagen wurde. Nichts mehr erinnert im Stadtpark an diesen Mann, dessen Tod zu seiner Zeit eine gnadenlose Verfolgungsjagd auslöste.

Lanz, der im oberbayerischen Erding eine Pfarrstelle samt Grund- und Hausbesitz zur Eigenversorgung erhalten hatte, hielt sich an diesem 20. Juli 1785 in geheimer Mission in Regensburg auf. Er traf dort auf einen geistigen Weggefährten, dem die bayerischen Behörden auch im Asyl noch nachstellten: Adam Weishaupt, Hochschullehrer in Ingolstadt, Freimaurer und Gründer des ominösen Illuminatenordens. Lanz war seit 1781 ein getreuer Anhänger von Weishaupts Ideen. In Freising hatte er die Geheimloge "Augusta zu den drei Kronen" mitgegründet und wurde ihr "Erster Redner" - Pseudonym Sokrates.

SZ-Serie: Schauplätze, Folge 24: 1785 hielt sich der Illuminat Jakob Lanz in geheimer Mission in Regensburg auf. Nahe dem inzwischen aufgelassenen Friedhof St. Lazarus kam er zu Tode.

1785 hielt sich der Illuminat Jakob Lanz in geheimer Mission in Regensburg auf. Nahe dem inzwischen aufgelassenen Friedhof St. Lazarus kam er zu Tode.

(Foto: Dietrich Mittler)

Noch heute geben die "Illuminati", die "Erleuchteten", Anlass für Mythen und Verschwörungstheorien. Eine davon besagt, die Illuminaten seien für die französische Revolution verantwortlich. Es hieß sogar, Weishaupt sei in den Vereinigten Staaten in die Rolle des ersten Präsidenten George Washington geschlüpft, nachdem dieser heimtückisch ermordet worden sei. Der US-amerikanische Thriller-Autor Dan Brown wiederum bediente sich in seinem von Hollywood verfilmten Bestseller "Illuminati" der einst von bayerischen Jesuiten gestreuten These, der Geheimbund der Illuminaten wolle die katholische Kirche zerstören. Mord und Totschlag inbegriffen.

Die Realität war weit profaner, wenngleich ebenfalls von nicht zu unterschätzender politischer Sprengkraft. Adam Weishaupt widerstrebte eine gewaltsame Revolution, gleichwohl er sich selbst den heroischen Tarnnamen "Spartacus" gegeben hatte. Weishaupt wollte vielmehr, dass eine aufgeklärte, humanistisch und freiheitlich gesinnte geistige Elite den Staat von innen heraus unterwandert. Vergleichbar etwa dem "Marsch durch die Institutionen", den später die 1968-Generation anstrebte. Das aber ließ die Staatsmacht nicht zu. Die gerade erst entmachteten Jesuiten nutzen die nahezu paranoiden Ängste des regierenden Kurfürsten Karl Theodor dazu, den Landesherrn gegen die Anhänger der Aufklärung aufzubringen, um selbst wieder zu Einfluss zu kommen.

In diesen Tagen gehörte Regensburg noch nicht zu Bayern. Weishaupt hatte diesen Umstand 1784 dazu genutzt, in der Reichsstadt Unterschlupf zu suchen - obwohl auch dort stetig in Gefahr, durch die Häscher des Kurfürsten Karl Theodor auf bayerisches Gebiet verschleppt und abgeurteilt zu werden. Dennoch aber wagte er offensichtlich, mit seinem Illuminaten-Bruder Johann Jakob Lanz am besagten Juli-Abend 1785 von Regensburg aus einen Spaziergang in das nahegelegene Dorf Prüfening zu unternehmen.

SZ-Serie: Schauplätze, Folge 24: Nahe dem inzwischen aufgelassenen Friedhof St. Lazarus wurde der Illuminat Johann Jakob Lanz 1785 vom Blitz erschlagen. Die Namensliste, die man bei ihm fand, führte zu einer gnadenlosen Verfolgung der Geheimbündler.

Nahe dem inzwischen aufgelassenen Friedhof St. Lazarus wurde der Illuminat Johann Jakob Lanz 1785 vom Blitz erschlagen. Die Namensliste, die man bei ihm fand, führte zu einer gnadenlosen Verfolgung der Geheimbündler.

(Foto: oh)

Dem Historiker Ludwig Hammermayer ist zu verdanken, dass das Protokoll dieses denkwürdigen Ereignisses Verbreitung fand. Aus dem Prioratstagebuch des Reichstifts St. Emmeran zu Regensburg zitiert Hammermayer den Originalbericht, wie Lanz und Weishaupt ihren Ausflug abbrachen, als am Himmel bedrohliche Wolken aufzogen: "Beyde als sie die Gegenwart des Gewitters merckten, entschlossen sich in die Stadt zurückzukehren. Sie erreichten den protestantischen Freyhof zu St. Lazarus, und da etliche Schritte von seinem Begleiter entfernt wurde der Lanz, der sich für besonders magnetisch ausgab, auf eine schröklich Art zu Boden gestreckt. Weishaupt floh, als er seinen Freund zu Boden hingestürzt sah. Er selbst soll ein bischen vom Blitze gehemmt worden seyn."

Stunden später wurde die Leiche des vom Blitz Erschlagenen in die St. Michaels Kapelle gebracht. Bevor dies jedoch geschah, habe der Geistliche Rat Andreas Ulrich Meyer die Prozession angehalten. Er "ließ dem Unglücklichen das Geld, die Sackuhr durch den Cusor nicht ohne Kritick des zusehenden hiesigen Volkes abnehmen", wie es in der Chronik heißt. Bei Johann Jakob Lanz fanden sich allerdings auch Dinge, die niemand bei einem Priester vermutet hätte: "Das merkwürdigste davon", so meldet der Chronist, "war ein Stilet" - sowie eine Geheimnote der Illuminaten, eingenäht in seine Kleidung.

Die dilettantisch verschlüsselte Botschaft verriet den Auftrag, der Lanz dazu bewogen hatte, Bayern zu verlassen. Er solle unter anderem auch in Preußen möglichst viele Freimaurer-Logen aufsuchen, ihre Mitglieder beobachten, deren Stellung innerhalb der Geheimgesellschaft herausbekommen und letztlich ergründen, was sie von den Illuminaten halten. Das Dokument wurde nach seiner Entdeckung umgehend abgeschrieben und samt der Illuminaten-Namensliste, die man offensichtlich bei Lanz gefunden hatte, in Kopie nach München und nach Ingolstadt weitergereicht. "Die Verfolgung begann mit Haussuchungen, Verhaftungen und Verhören", schreibt der Historiker Günther Ebersold in seiner brillanten Karl-Theodor-Biografie "Rokoko, Reform und Revolution". Etliche bayerische Illuminaten wurden des Landes verwiesen und verloren so ihre Heimat. Andere landeten gar im Kerker.

SZ-Serie: Schauplätze, Folge 24: Die Schriftstellerin Maria Magdalena Leonhard, hier in der Bayerischen Staatsbibliothek, hat Jakob Lanz ein literarisches Denkmal gesetzt.

Die Schriftstellerin Maria Magdalena Leonhard, hier in der Bayerischen Staatsbibliothek, hat Jakob Lanz ein literarisches Denkmal gesetzt.

(Foto: Dietrich Mittler)

Angesichts dessen sinnierte so mancher Freund von Johann Jakob Lanz, ob der tödliche Blitzschlag für ihn nicht letztlich ein Glücksfall war. "Feurlich war dein Übergang von dieser Welt zur höheren hinauf!", schrieb einer von ihnen. Geradezu feurig war indes auch sein Lebenslauf gewesen. "Lanz wird ein zu Trunksucht und Exzessen neigender Charakter nachgesagt", sagt Edmund Hausfelder, seines Zeichens Stadtarchivar von Ingolstadt. Im Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt hat er Lanz 2011 ein Denkmal gesetzt. Lanz war wohl das, was man im Sturm und Drang als "Originalgenie" bezeichnet hätte. Er beschäftigte sich intensiv mit naturkundlichen Experimenten, so auch mit der Funktion von Blitzableitern. Auch hatte sich Lanz um die Kultivierung bayerischer Moorlandschaften verdient gemacht, wofür ihn die Gemeinde Königsmoos bis heute ehrt. Aber da war eben auch der andere Lanz, über den Weishaupt in einem Brief klagte: "Sokrates, der ein Kapital-Mann wäre, ist beständig besoffen." Seltsam auch die Angewohnheiten, die letztlich zu seinem Tod führten: "Er trug immer viel Magnet bey sich, machte die merkwürdigsten Versuche", überlieferten seine Zeitgenossen, "so wie er auch seine Nahrung immer mit Eisenteilen gemischt hatte."

Lanz lebt heute fort als Romanfigur. Die Schriftstellerin Maria Magdalena Leonhard widmet sich in ihrem Werk "Stern unter den Schönen - Ein Skandal am Münchner Hof" auch seinem heimlichen Liebesleben. "Er war kein schöner Mann", sagt sie, "aber er faszinierte als Charakter." Und: "Er hatte viele Bewunderer - und er muss sehr witzig gewesen sein." Im Regensburger Stadtpark ist unterdessen Ruhe eingekehrt, die Enten kommen aus ihrem Versteck hervor. Ihr aufgeregtes Quaken könnte man so deuten: "Genug der Dramen!"

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