Allgäu:Wenn der Bürgermeister dem Fürsten eine Burg abkauft

Burgruine Alttrauchburg im Oberallgäu bei Weitnau

Die Alt-Trauchburg über den Tälern von Weitnau und Wengen gilt als eine der am besten erhaltenen mittelalterlichen Burgen des Allgäus.

(Foto: Ingo Jensen)

Weitnau im Allgäu ist seit 1986 Burgherr auf der Alt-Trauchburg, einer Anlage aus dem 13. Jahrhundert. Heute finden dort Festivals, Messen und Hochzeiten statt.

Von Anna Günther, Weitnau

Schlägt es im Tal zur Geisterstunde, tanzen oben in der Alt-Trauchburg die Hexen, Lichter flackern, Feuer scheint. Der Trochar ruft im Keller Dämonen an und verwandelt jeden in eine Burghexe, der sich dem Gemäuer nähert. So erzählte man es sich in den Tälern unterhalb der Burg im Oberallgäu. Und schreckte damit jahrhundertelang die Kinder. Wie um jede Burgruine ranken sich auch um die Alt-Trauchburg Legenden, etwa die von der bösen Heidin, die einst die Burg erbaut und ihre Untertanen geknechtet haben soll. Oder von "Zwingherren", die ausbeuteten, bis die Bauern das Anwesen niederbrannten.

"Ja ja, die Sagen, der Trochar, das höre ich immer wieder. Aber diese Geschichten sind nicht belegt", sagt Peter Freytag. Wenn er Besucher durch die Burg führt, fragten besonders Kinder nach den Legenden. Die Ruine auf dem Bergsporn über den Tälern von Weitnau und Wengen gilt als eine der am besten erhaltenen mittelalterlichen Burgen des Allgäus.

Erstmals erwähnt wird ein Geschlecht der "Trauchburger" um 1150, die ältesten Bauteile stammen aus dem frühen 13. Jahrhundert. Dass Wanderer heute gefahrlos durch die Burg laufen können, ist auch Freytag zu verdanken. 24 Jahre lang war der Oberfranke Bürgermeister, kaum im Amt übernahm die Marktgemeinde Weitnau 1986 die Burg. "So eine Burg ist nur ein Nebenprodukt des Amtes, ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal intensiv mit Burgen beschäftigen würde", sagt der Ingenieur.

Dann erzählt er seine Geschichten zur Burg, präzise vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Historisch verbürgt. "Ich bin lieber bei der Realität", sagt Freytag, 76, "und Fakt ist, dass die Waldburger zwar ein deutliches Regiment geführt haben, aber Kontakt zu ihren Untertanen hielten." Fakt sei auch, dass anders als in Sagen behauptet, Verhandlungen der Waldburger marodierende Horden immer wieder davon abgehalten hatten, die Burg samt Besitztümern und Bauernhöfen niederzubrennen.

Die Trauchburg war Verwaltungssitz eines kleinen Reiches, das sich vom Weitnauer und Wengener Tal bis nach Isny erstreckte. In der Dynastenburg, die mit vier Stockwerken weithin sichtbar auf dem gerodeten Bergsporn thronte, lebte die Familie von Waldburg neben Reichsverwaltung und Gerichtsbarkeit. Im Diebsturm saßen Verbrecher ein, im Innenhof priesen Minnesänger Helden und schöne Maiden.

Besonders wild war das 16. Jahrhundert: 1525 besetzten, plünderten und beschädigten Aufständische im Bauernkrieg die Burg. Die Waldburger verhandelten, gaben nach und bauten das gewünschte Krankenhaus. Im Weitnauer Tal kehrte Ruhe ein. Bis der Glaubenskrieg zwischen Katholiken und Protestanten die Trauchburg erfasste. 1546 kamen Truppen des Schmalkaldischen Bundes, 1632 mitten im Dreißigjährigen Krieg die schwedischen Söldner. Die Burg wurde besetzt, die Grafen verhandelten, größerer Schaden blieb Herrschaft und Bauern erspart. Trotzdem rüstete die Familie auf und baute eine Zwingeranlage mit Wehrtürmen um die Kernburg an.

Die Burg war schwer einnehmbar, an zwei Seiten steiler Abgrund, vorn ein Wassergraben. Nur im Norden konnte man heraufreiten. Dort ist die Burgmauer viereinhalb Meter tief. "Dick sind die Mauern in allen Burgen, aber so dick ist kaum eine", sagt Freytag. Auch vor dem Küchenzwinger am Steilhang errichteten die Burgherren eine drei Meter hohe Mauer. Eindringlinge hätten Seile hochwerfen und heraufklettern müssen. "Falls es doch jemand geschafft hatte, warfen die Wachen Netze aus dem Fenster und überwältigten die Eindringlinge", sagt der Alt-Bürgermeister und blickt zufrieden auf seine Burg.

Die uneinnehmbare Burg ist längst Abenteuerspielplatz

Wumms. Dumpf rumpelt es. Die Zuhörer zucken zusammen. Ein Bub rappelt sich auf und rennt grinsend davon. Er war von außen über die Mauer geklettert und in den Küchenzwinger gesprungen. Die uneinnehmbare Burg ist längst Abenteuerspielplatz. Vier Kinder toben an diesem Tag stundenlang durch die Anlage.

Sechs Jahrhunderte überstand die Trauchburg unbeschadet auf dem Bergsporn, dann wurde es den Damen der Familie 1784 zu ungemütlich. So erzähle man es jedenfalls, sagt Freytag. Die Grafen bauten bei Isny ein Barockschlösschen und tauften den neuen Verwaltungssitz Neu-Trauchburg. Die alte Burg diente als Steinbruch und wurde sich selbst überlassen. Der Wald nahm die gerodeten Steilhänge wieder in Besitz und bewucherte die Mauern wie Grimm's Dornröschen-Schloss.

Wer den Blick schweifen lässt, sieht rundherum noch immer zahllose Nuancen von Grün. Auch die Mauer der Vorburg ist überwachsen, dahinter stehen Fichten dicht an dicht. Aus den Burgmauern sprießen Gräser und zarte blaue Blümchen. Peter Freytag sagt: "Wir müssen dringend das Mauerwerk reinigen." Regelmäßig ein bisschen zu tun, sei günstiger als alle paar Jahre der Rundumschlag. Er nennt die Burg einen "romantischen Ort", aber die Erinnerung an die Schuttberge ist noch präsent. Vier Meter hoch türmte sich der Dreck von Jahrzehnten. In mühevoller Kleinarbeit befreiten die Weitnauer zwei Jahre lang ihre Burg und richteten sie danach wieder her.

Wie es sich für ihn als Bürgermeister damals anfühlte, die Burg in Besitz zu nehmen? Freytag zuckt mit den Schultern und sagt: "Wir wussten, dass eine gewaltige Arbeit auf uns zukommt." Die Burg sollte ein sicheres Ausflugsziel für Touristen und Einheimische werden. Aber kosten durfte es die Kommune nichts. Freytag ging also Klinkenputzen und bekam insgesamt 200 000 Mark an Zuschüssen. Die Arbeit erledigten unter anderem die Vereine der Gemeinde. "Das war schon eine elektrisierende Zeit", sagt er.

Bevor die Weitnauer aber zu Burgherren wurden, wäre fast ein Unglück geschehen: Im Winter donnerten nachts Felsen ins Tal. Geröll, dachten sie unten. Es war ein fünf Meter breites Stück der Nordwand. Die Gemeinde hatte die Wahl: Die Ruine absperren oder den Schutt wegräumen und herrichten. "Dagegen war niemand, also habe ich mit dem Fürsten geredet", sagt Freytag. Der Grund und weite Teile des Waldes gehören noch immer der Familie Waldburg-Zeil. Ausflugsziel und Theaterkulisse war die Alt-Trauchburg zwar schon viele Jahre, aber seit sie der Gemeinde gehört, finden auch Festivals, Messen und Hochzeiten statt. Beim Burgfest am 20. August wird mit Gauklern und Händlern wieder Mittelalter-Flair einziehen.

Ein Rätsel gibt es auf der Burg, das auch Peter Freytag nicht mit Fakten klären kann: Wohin führt das Loch in der Mauer unterhalb des Küchenzwingers? Das sei nichts, den Raum könne man nicht zuordnen, sagt Freytag, der sonst zu jeder Mauer eine Geschichte erzählt, längst vergangene Umrisse von Kapelle, Tanzsaal und Waffenkammer erklärt. Ein Nichts? Wer auf den Vorsprung klettert und hineinschaut, sieht: Schwarz. Plötzlich peitscht eine steife Brise durch die Baumwipfel, Wolken verdecken die Sonne, dumpf dröhnend braust der Wind durch den Wald. Sind das die Hexen? Der Trochar? Am hellen Tag? "Das Wetter kommt von Westen", sagt Freytag. Immer die Fakten im Blick behalten.

Bis Mitte September führt Peter Freytag immer mittwochs von 15 Uhr an durch die Alt-Trauchburg.

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