Flugzeugunglück von Langenbruck:"Ich habe keinen ganzen Menschen gesehen"

Flugzeugabsturz bei Langenbruck

Das Foto von Heinz Wolf, das um die Welt ging: Ein Priester steht in den rauchenden Flugzeugtrümmern und segnet die 48 Todesopfer nach dem Absturz am 9. August 1968.

(Foto: Heinz Wolf)

Fotograf Heinz Wolf war als einer der Ersten am Ort, als am 9. August 1968 eine Passagiermaschine bei Langenbruck abstürzte - und dokumentierte eines der schlimmsten Flugzeugunglücke, das es in Bayern je gab.

Von Andreas Glas

Als der Feldweg zu Ende ist, stellt Heinz Wolf den Motor ab. "Hier muss es gewesen sein", hier sind die Menschen vom Himmel gefallen. Er steigt aus, schlägt die Autotür zu, er steht jetzt im Regen. "Das Wetter war genauso wie heute", sagt Wolf, 90. Auch sonst, die selbe Kulisse wie vor einem halben Jahrhundert: die Autobahn, links und rechts die Hopfengärten. Mitten im Idyll der Holledau hat er damals das Grauen gesehen.

Er wusste gleich, dass es hoffnungslos ist. Überall Trümmer, Kleiderfetzen, Leichenteile. "Ich habe keinen ganzen Menschen gesehen." Also griff Heinz Wolf zur Kamera und machte seinen Job. Er dokumentierte eines der schlimmsten Flugzeugunglücke, das es je in Bayern gab.

Es ist der 9. August 1968, ein Freitag. In der Wiese "liegt ein vom Körper abgerissener Frauenarm", schreibt die SZ am Tag danach, "die Zeiger der kleinen goldenen Uhr sind bei 14.17 Uhr stehen geblieben". Um diese Uhrzeit kracht das viermotorige Propellerflugzeug der British Eagle International Airlines bei Langenbruck auf die Autobahn. Die Vickers Viscount 700 explodiert, überschlägt sich, die Trümmer schießen die Böschung hinab in die Felder unterhalb der heutigen A 9. Ein Autofahrer wird verletzt, alle 48 Menschen an Bord sterben.

Als das Unglück geschieht, hat der Bundeswehroffizier Heinz Wolf gerade Dienstende. Sein Arbeitsplatz ist die Ingolstädter Pionierkaserne, nach Feierabend arbeitet er als freier Fotograf für den Donaukurier. Er steigt ins Auto, schaltet den Polizeifunk an, wie immer. Gerade will Wolf rechts abbiegen, um nach Hause zu fahren, da meldet die Funkstimme: Flugzeugabsturz in Langenbruck. "Also bin ich nicht rechts abgebogen, sondern links zur Autobahn."

Weit kommt er nicht. Es herrscht Chaos und Stau, auf der Autobahn türmen sich Metallteile und zerfetzte Sitzpolster. "Wie ich da stehe, sehe ich hinter mir Blaulicht. Ich steige aus und habe das Glück, dass ich die zwei Beamten kenne", sagt Wolf. Er steigt in den Streifenwagen, die Polizisten kämpfen sich durch den Stau, nehmen ihn mit zur Absturzstelle. Als Wolf ankommt, fühlt er sich erinnert an die Ostfront, wo er 1944 kämpfte. "Ich habe im Krieg viel gesehen", sagt er. Das habe ihm geholfen, den Anblick der Leichenteile auszuhalten. "Die Trümmer brannten und rauchten noch. Es war wie im Film."

Eine Viertelstunde nach dem Absturz ist Heinz Wolf der erste und einzige Fotograf am Unglücksort. In den Tagen danach wird nicht nur der Donaukurier seine Fotos drucken. Vor allem das Bild des Pfarrers wird um die Welt gehen. Der Pfarrer, dessen Namen Wolf nicht kennt, ist auf dem Weg zu einer Hochzeit, als vor ihm auf der Autobahn das Flugzeug zerschellt. Er lässt sein Auto stehen, klemmt sich einen Regenschirm unter den Arm und steigt über die Leitplanke hinunter aufs Trümmerfeld. Die Feuerwehr ist inzwischen da, Sanitäter rennen zwischen qualmendem Blech herum - und mittendrin: der Pfarrer, der die Toten segnet.

Ergreifende Bilder einer Katastrophenkulisse

Heinz Wolf gelingen Bilder, die ihm kein zweites Mal in seinem Leben gelingen werden. Schwarz-Weiß-Fotos, die fast hoffnungslos wirken inmitten dieser trostlosen Katastrophenkulisse. Aber das weiß Wolf noch nicht, als er den Auslöser seiner Nikon drückt. Er ist ja in Eile, muss die Negative so schnell wie möglich zum Entwickeln bringen. Nach eineinhalb Stunden packt er seine Kamera wieder ein, rast ins Fotolabor. Was am 9. August 1968 geschehen ist, begreift Heinz Wolf selbst erst so richtig, als er in den Tagen danach die Zeitungen aufschlägt.

Heute muss man tief in den Archiven kramen, um Näheres zu erfahren über das Langenbrucker Flugzeugunglück. Die Maschine war um 11.37 Uhr in London gestartet und auf dem Weg nach Innsbruck, als plötzlich Elektrik, Funk und Navigation ausfielen. Weil die Wolken am Unglückstag tief hingen, ging der Kapitän in einen steilen Sinkflug, um wieder Sicht zu bekommen. Das Flugzeug hielt dieser Belastung nicht stand, es löste sich ein Teil des linken Höhenruders, beide Außenflügel brachen ab. Die Maschine geriet ins Trudeln und sei "wie ein Stein abgestürzt", erzählt damals ein Augenzeuge.

Bis Mitternacht durchkämmen 60 Kriminalpolizisten im Scheinwerferlicht die Getreidefelder und Hopfengärten, bergen die Überreste von 47 Toten. Eine Stunde später, heißt es in einem Zeitungsbericht, wird "ein kleines Mädchen unter einer verbeulten Leitplanke gefunden", das 48. Todesopfer. Am Samstagmorgen bringt die Polizei die Toten zur Identifizierung in die Leichenhalle des Ingolstädter Südfriedhofs, am Sonntag setzt dann der Katastrophentourismus ein.

Was ein Reporter der Abendzeitung damals beschreibt, klingt wie der Bericht aus einem Vergnügungspark. Menschen mit Kindern und Hunden "stocherten nach Wrackteilen, die sie als Souvenirs schätzten, und blickten gestikulierend zu einem benachbarten Hopfenfeld, wo man an einer acht Meter hohen Hopfenstange die Perlenkette einer unbekannten Toten gefunden hatte. Sie lachten und feixten", heißt es weiter. Der Reporter berichtet von "einem fliegenden Händler", der Zigaretten und Erfrischungsgetränke verkaufte und von Schaulustigen, die sich "aus den benachbarten Gasthäusern Schinkenbrote bringen" ließen.

Sechs Tage nach dem Unglück, am 15. August, findet in der Halle des Manchinger Flugplatzes eine Trauerfeier statt. Es reiht sich Sarg an Sarg, eingehüllt in schwarze Tücher und bedeckt mit der Flagge Großbritanniens, woher insgesamt 44 Opfer stammten. Der Flugkapitän war Australier, außerdem starben ein Ehepaar aus Israel und ein 14-jähriger Schüler aus Österreich. "Das bayerische Volk steht in tiefer Trauer und Anteilnahme vor diesen Särgen", sagt Staatssekretär Hugo Fink (CSU), der stellvertretend für CSU-Ministerpräsident Alfons Goppel eine Rede hält. Nach der Trauerfeier werden die Toten von Manching aus in ihre Heimat geflogen.

Vier Monate später meldet British Eagle Konkurs an. Die Fluggesellschaft kann die Rechnungen nicht zahlen, die unter anderem Polizei, Technisches Hilfswerk und das Pfaffenhofener Landratsamt für Bergungs- und Aufräumarbeiten gestellt hatten. Dem Kriegsveteran Heinz Wolf dagegen konnte das Grauen nichts anhaben, das er am 9. August 1968 in Langenbruck gesehen hat. Sagt er jedenfalls, als sein Blick über die Felder und Hopfengärten unterhalb der Autobahn streift: "Wenn Sie durchs Objektiv der Kamera schauen, sind Sie immer etwas weiter weg. Da haben Sie Abstand zu den Dingen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: