Sulzbach-Rosenberg:Klein und frech

Der Stadtheimatpfleger Markus Lommer, eigentlich Hochschulseelsorger, ist unermüdlich unterwegs auf Entdeckungsreise in Sulzbach-Rosenberg. Und er versucht hartnäckig, die Schätze für die Stadt zu bewahren

Von tim sauer, Sulzbach-Rosenberg

"Ich fand ein Buch, es war verloren, da fing ich an zu lesen vorne, so stand geschrieben am dritten Blatt, gib's wieder dem, der es verloren hat." So steht es in einem Gebetsbuch aus dem 18. Jahrhundert. Markus Lommer hat ihn begutachtet. Er ist Experte für literarische Schätze und dürfte die Meinung des unbekannten Autors teilen: Ein Buch sollte seinem Besitzer zurückgegeben werden, schließlich hat es einen besonderen Wert. Oft wird er angerufen von Menschen, die von seiner Leidenschaft wissen. Er muss dann den Wert gefundener Bücher schätzen. Am Vormittag war er deshalb im Dorf Habres, jetzt führt Lommer als ehrenamtlicher Stadtheimatpfleger etwa 15 Germanistikstudenten aus Regensburg durch Sulzbach-Rosenberg.

Erste Station: die historische Druckerei von Johannes Esaias von Seidel. Fast ehrfürchtig sperrt er den Raum auf, den er "das Allerheiligste" nennt. Die Studenten dürfen einen Blick in die ehemalige Hausbibliothek werfen. "Von so etwas träumen Historiker zeit ihres Lebens", schwärmt Lommer. Hinterlassenschaften aus zehn Generationen Verlagsgeschichte wurden seit 2006 sichergestellt. Darunter echte Schätze, wie "Der Kuchenteig" von Wilhelm Busch, der Vorgängerversion von "Max und Moritz". "Und das Schwarze da ist eine Lutherbibel von 1548."

Etwa viereinhalbtausend Stunden ehrenamtlicher Arbeit habe es gekostet, die Funde zu inventarisieren. Seit dem Tod des letzten Eigentümers kümmern sich seine Kollegen Adolf Rank, Armin Binder und Lommer selbst um die Grobinventarisierung. Unterstützt werden sie von zwei Kräften der Stadt. Fast jeden Tag gebe es einen sensationellen Fund. Und trotzdem: Es brauche schon ein besonderes Forscher-Gen, um dieses Pensum zu stemmen. Das hat der 49-Jährige zweifellos. Lommer und Sulzbach-Rosenberg - das passt. Man hat das Gefühl, der Stadtheimatpfleger ist stets auf Entdeckungsreise. Begeistert von netten Anekdoten und kleineren Schätzen.

Davon gibt es hier genug. Sulzbach-Rosenberg besticht zwar nicht durch eine politisch bedeutungsvolle Vergangenheit oder majestätische Prunkbauten. Anders als in Augsburg, Regensburg oder Ansbach begegnen einem auf dem Weg durch die Altstadt kaum kamerabehängte Touristen. Doch das Städtchen bietet eben einige einzigartige Überraschungen. Das ist nicht zuletzt das Verdienst Lommers. Er hat katholische Theologie studiert und arbeitet nun als Hochschulseelsorger. Als er nach dem Tod seines Vorgängers im Jahr 2000 gefragt wurde, ob er die ehrenamtliche Stelle als Stadtheimatpfleger annehmen wolle, hat er lange gezögert. "Schließlich ist das eigentlich ein Job für Pensionäre."

Schlussendlich hat er aber angenommen und bringt seitdem vielseitige Projekte auf den Weg. Seine pädagogische Erfahrung ist dabei hilfreich. "Vor einem neuen Vorhaben frage ich mich immer zuerst, welcher Bildungseffekt damit erzeugt werden kann. Es muss einen Widerhall in der Öffentlichkeit geben." Und in der Tat - alle Orte haben eines gemeinsam: Sie kommen nicht verstaubt daher, sondern erwecken das Interesse der Besucher. Langweilig wird das Städtchen nicht so schnell.

Der Buchdruck ist dabei eindeutig das dominierende Thema. Der Startschuss für die bis heute prägende Geschichte fiel 1664. Abraham Lichtenthaler gründete die erste Druckerei. Bis 1708 kamen noch drei weitere dazu. Für eine Stadt wie Sulzbach eine ganze Menge. "Sulzbach war eben klein und frech", erklärt Markus Lommer.

Die Bindergasse, die später noch besichtigt werden soll, ist Zeichen dieser Vielfältigkeit. Auf engstem Raum reihen sich dort ehemalige Druckereien aneinander. Lommer geht im Stechschritt voraus - er weiß genau wohin. Wenn er dann aber mal steht, nimmt er sich Zeit und beantwortet Nachfragen. Immer wieder verfällt er dabei ins Schwärmen und versucht hartnäckig, die Zuhörer mit seiner Leidenschaft für die oberpfälzische Stadt anzustecken.

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Sein nächstes Ziel in seiner Funktion als Stadtheimatpfleger ist fast folgerichtig: Er will die Funde in Sulzbach-Rosenberg behalten. "Es geht um das einzigartige Gesamtensemble." Wie bei einer Briefmarkensammlung sei das, erklärt er. Den größten Wert erlange sie durch ihre Vollständigkeit. Also: Bücher, das historische Gebäude sowie Möbel und die alten Instrumente. "Wir versuchen mit vereinten Kräften zu verhindern, dass die Objekte im ganzen Freistaat verstreut werden."

Zurück im Verlagsarchiv Seidel: Im hinteren Bereich des Gebäudes ist der ehemalige Druckereisaal. "Ist die noch funktionsfähig?", fragt eine Studentin und zeigt auf die antike Presse. "Natürlich kann die noch drucken", entgegnet Lommer stolz. Er zeigt einige alte Stiche und gibt einen Behältnis mit alter Druckerfarbe herum.

Mit einem Blick auf seine schwarzen Finger entschuldigt sich Lommer später kurz. Er wolle nur schnell Hände waschen - bei sich zu Hause; so groß ist Sulzbach-Rosenberg ja nicht. Einige Minuten später kommt er zurück, und es geht weiter: Lommer voran, die Studenten hinterher. Schließlich gibt es noch viel zu entdecken.

Für die Tipps bedanken wir uns bei Michaela Beha aus Amberg.

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