Studie:Immer mehr Gewalt gegen Sanitäter

PK des BRK zu Aggression gegen Rettungskräfte

Die Rettungsassistenten Daniela Janzen und Jonas Güldner sind im Einsatz Opfer von Gewalt geworden.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Sie werden beschimpft, angespuckt, verprügelt: Rettungskräfte landen manchmal selbst im Krankenwagen. 185 Fälle bei 1,7 Millionen Einsätzen im Jahr - das klingt erstmal harmlos. Doch eine Studie des Roten Kreuzes besagt, dass die meisten Taten gar nicht erst angezeigt werden

Von Dietrich Mittler

Das Rauschen im Ohr ist immer noch da, auch nach einem Jahr noch. Und die Kopfschmerzen kehren auch ständig zurück. Daniela Janzen ist zum Opfer geworden, dabei wollte sie doch nur helfen. Janzen, 30, arbeitet als Rettungssanitäterin beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK). Vor einem Jahr, bei einem Einsatz auf einer Faschingsveranstaltung in Weichs im Landkreis Dachau, hat ein junger Mann sie mehrmals mit der Faust auf den Kopf geschlagen. Der Täter, der selbst leicht an der Lippe blutete, entkam unerkannt in der Menge. Daniela Janzen musste zwei Tage im Krankenhaus verbringen, "ich habe immer noch Spätfolgen", sagt die allein erziehende Mutter. "Bis zu diesem Vorfall habe ich in der Illusion gelebt, dass mich meine Sanitäter-Uniform schützt. Aber die Menschen haben keinen Respekt mehr davor - obwohl wir als ehrenamtliche Helfer doch für sie da sind, wenn sie uns brauchen."

Daniela Janzen ist kein Einzelfall, wie eine neue Studie des BRK zeigt. "Hochgerechnet auf alle unsere Kreisverbände gehen wir von 170 bis 180 solcher Fälle pro Jahr aus", sagt Landesgeschäftsführer Leonhard Stärk. "Bei jedem Gespräch mit den Kollegen draußen in den Rettungswachen und Fahrzeugen erhalte ich entsprechende Berichte von Gewalterlebnissen." Deshalb befürchtet er, dass die Dunkelziffer noch viel höher ist.

Liegt Stärk mit dieser Einschätzung richtig, so dürfte auch die offizielle Statistik des bayerischen Innenministeriums die Gewaltausbrüche gegen die Sanitäter nicht umfassend widerspiegeln. "Die Gesamtzahl der Straftaten gegen Rettungskräfte ist von 130 im Jahr 2011 auf 185 im Jahr 2014 gestiegen", sagt eine Sprecherin des Ministeriums. Diese Gesamtzahl schließt alle Rettungsdienste in Bayern mit ein, also nicht nur das Rote Kreuz. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nimmt die Entwicklung ernst, auch wenn 185 Vorfälle bei 1,7 Millionen Rettungsdiensteinsätzen im Jahr auf den ersten Blick gering erscheinen: "Gewalt gegen Menschen, die Mitmenschen helfen wollen, ist völlig inakzeptabel", sagt Herrmann. Jeder, der bei einer solchen Straftat erwischt werde, bekomme "die ganze Härte des Gesetzes zu spüren". Auch werde die Polizei "alles dafür tun, um Gewalttaten gegen Einsatzkräfte des Rettungsdienstes zu unterbinden".

Doch oft dauert es aus der Sicht der Betroffenen viel zu lange, bis Unterstützung eintrifft. Jonas Güldner, 27, Rettungsassistent in Bamberg, erlebte kurz vor Weihnachten "die schrecklichsten Minuten" seines Lebens. Bei der Bergung eines bis zur Besinnungslosigkeit betrunkenen 18-Jährigen wurden Güldner und sein Kollege von Jugendlichen umringt, die ihren Kumpel im Rettungsfahrzeug von der Trage reißen und mitnehmen wollten. Güldner setzte einen Notruf an die Leitstelle ab: "Bitte umgehend Polizei anfordern." Minuten vergingen, die beiden Rettungskräfte des BRK standen mit dem Rücken zu ihrem Fahrzeug. Plötzlich griff einer der Angreifer in seine Jackentasche und schrie: "Ich steche euch jetzt ab, und vorher bekommt ihr noch was von meinem Pfefferspray." Gerade noch rechtzeitig brausten zwei Streifenwagen der Polizei heran, die Täter konnten Minuten später gestellt werden.

Die Täter sind meist männlich, jung - und alkoholisiert

Oft, so zeigt die BRK-Studie auf, ist Alkohol im Spiel, wenn Rettungskräfte angegriffen oder übel beschimpft werden. Bisweilen auch Drogen. Die meisten Angreifer sind männlich, um die 18 bis 29 Jahre alt - und nur wenige von ihnen haben nachweisbar einen Migrationshintergrund. Die Mehrzahl der Übergriffe passiert nicht in Kneipenvierteln, sondern in bürgerlichen Wohngegenden. "Die Problempatienten werden immer jünger, und sie schlagen immer schneller zu", sagt Landesgeschäftsführer Stärk. Die Übergriffe seien allen Klischees zum Trotz "längst auch kein Stadtproblem mehr", sondern passierten mindestens genauso oft auf dem Land.

Stärk will die Politik in der Verantwortung nehmen: Angriffe gegen Rettungskräfte müssten deutlich härter bestraft werden. "Ich will eine Diskussion anstoßen", sagt er. Aber auch interne Gespräche wären sinnvoll. Aus der Studie geht hervor: In vielen Fällen zeigen die Rettungsteams Pöbeleien oder Angriffe gar nicht an.

Daniela Janzen, die Sanitäterin aus Oberbayern, wird ein Jahr nach dem Übergriff wieder auf der gleichen Faschingsveranstaltung im Einsatz sein. Sie glaubt, dass das die beste Möglichkeit ist, die Angst zu besiegen. Immer wieder denkt sie darüber nach, was sie tun würde, wenn sie den Täter wiederträfe. "Ich werde ihn zur Seite ziehen und ihm klarmachen, was er angerichtet hat", sagt sie. Denn so unbefangen wie zuvor wird sie nie mehr Patienten gegenübertreten können.

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