Stromtrassen in Bayern:Deutschlands größter Feldversuch

Stromtrassen in Bayern: Unterirdische Lösung: Für den Transport des Stroms von Norddeutschland nach Bayern sollen weitgehend Erdkabel verlegt werden.

Unterirdische Lösung: Für den Transport des Stroms von Norddeutschland nach Bayern sollen weitgehend Erdkabel verlegt werden.

(Foto: Tennet/PR)
  • Statt mit Freileitungen sollen die umstrittenen Stromautobahnen Südlink und Gleichstrompassage Süd-Ost vorrangig mit Erdkabeln gebaut werden.
  • Während die Politiker über den Plan jubeln, sind Netzbetreiber und Experten skeptisch.
  • Eine große Unwägbarkeit sind die Erdkabel selbst, die andere die Trassenführung.

Von Christian Sebald

"Die Monstertrassen sind weg!" Das ist das neue Credo von Horst Seehofer und Ilse Aigner. Seit dem Koalitionsgipfel wiederholen der Ministerpräsident und seine Wirtschaftsministerin es unentwegt. Mit dem Vorrang von Erdkabeln vor Freileitungen haben die umstrittenen Stromautobahnen Südlink und Gleichstrompassage Süd-Ost für die CSU über Nacht jeden Schrecken verloren. "Von den ursprünglich geplanten 420 Kilometer neuen Freileitungstrassen durch Bayern bleiben nur 30 übrig", jubelt Aigner.

Netzbetreiber und Experten sind weit entfernt von jeder Euphorie. Der Vorrang der Erdkabel "ist eine richtig waghalsige Entscheidung", sagt ein Fachmann etwas ratlos. Ein anderer spricht von einem "gigantischen Feldversuch, von dem keiner weiß, wie er am Ende ausgeht". Tatsächlich haben sich Seehofer und Co. eine ganze Reihe neuer Unwägbarkeiten und Risiken für die Energiewende eingehandelt.

Der Naturschutz könnte in die Quere kommen

Diese fangen damit an, dass die Netzbetreiber ihre Planungen ziemlich von vorne starten müssen. Und zwar nicht nur wegen der neuen Endpunkte und Abzweigungen der Stromautobahnen, für die sie nun Vorschläge liefern sollen. Sondern weil für Erdkabel ganz andere Vorgaben gelten als für Freileitungen. Allem voran beim Naturschutz. Bei Freileitungen spielt der Vogelschutz die zentrale Rolle. Bei Erdkabeln dagegen sind es Moore, Flusstäler, Wälder und andere besondere Gebiete. Fazit: Ein Korridor kann sich zwar für eine Freileitung eignen, nicht aber für Erdkabel. Und umgekehrt. Die Neuplanungen bedeuten drei Jahre Zeitverlust, heißt es bei Tennet. Dass die Stromautobahnen 2022 ans Netz gehen, sei jetzt endgültig vom Tisch.

Die andere große Unwägbarkeit sind die Erdkabel selbst. Die Stromautobahnen sollen 525 Kilovolt (kV) Spannung betrieben werden. Dafür sind sogenannte maße-imprägnierte Kabel (MI-Kabel) der technische Standard. Das sind Kabel, die mit einer Ummantelung aus feinsten, mit Ölen und Harzen getränkten Papierstreifen isoliert sind. Zwar ist die Technik ausgereift. Aber MI-Kabel werden nur auf See eingesetzt, etwa um den Strom von großen Offshore-Windparks an Land zu transportieren. An Land haben sie zu viele Nachteile. MI-Kabel sind sehr dick und schwer. Ihr Durchmesser beträgt 30 Zentimeter. Ein 1000 Meter langer Abschnitt wiegt 30 Tonnen. Alleine das wären gewaltige Herausforderungen, wollte man MI-Kabel für die Stromautobahnen verwenden.

Die Kabel müssen erst erprobt werden

In der Branche setzt man daher auf kunststoffisolierte Erdkabel. Sie sind sehr viel dünner und leichter als MI-Kabel. "Aber technisch ausgereifte Kunststoffkabel gibt es nur bis 325 kV Spannung", sagt Professor Andreas Küchler, der an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt Hochspannungstechnik lehrt. "Für 525 kV gibt es sie nicht." Mit einer Ausnahme: Die Firma ABB bietet seit kurzem ein solches System an. "Die Leistungsdichte unseres neuen XLPE-Kabels ist so hoch, dass ein Erdkabel erstmals nahezu die gleiche Leistung übertragen kann wie ein Freileitungssystem", schwärmt ein ABB-Manager.

Küchler ist skeptisch. "Das ABB-Kabel ist ein wichtiger Fortschritt", sagt er. "Aber es ist zu neu, als dass man es ausgereift nennen könnte." Professor Lutz Hofmann vom Institut für Energieversorgung und Hochspannungstechnik an der Leibniz-Universität in Hannover teilt die Einschätzung. "Das ABB-Kabel sollte sich erst auf kurzen Strecken bewähren", sagt er. "Nur wenn es sich dort als zuverlässig erweist, kann man es für lange und zentrale Infrastrukturen wie den SuedLink verwenden." Küchler und Hofmann sind nicht nur wegen der Kabel kritisch. Sondern auch wegen der Muffen. Das sind die Verbindungsstücke, mit denen die einzelnen, etwa einen Kilometer langen Kabelabschnitte zur unterirdischen Gesamtleitung verbunden werden. "Die Muffen sind die Achillesferse der Erdverkabelung", heißt es auch bei Tennet. "Ist eine Muffe beschädigt oder zerstört, gibt es eine Störung in der Leitung." Das heißt: Die Stromversorgung ist unterbrochen. Die Muffe muss schleunigst ersetzt werden.

Die Experten sind zurückhaltend

Der Austausch ist aber nicht so einfach. Als erstes muss das kaputte Teil gefunden werden. "Das kann sehr zeitintensiv sein", sagt ein Tennet-Sprecher. Denn wenn der gut 800 Kilometer lange Suedlink größtenteils unterirdisch durch Deutschland laufen soll, hat man es mit vielen hundert Muffen zu tun. Auch das Auswechseln eines defekten Teils dauert mehrere Tage. Es muss zum größten Teil in Handarbeit an Ort und Stelle hergestellt werden.

Stromtrassen in Bayern: Hier könnten die Trassen verlaufen.

Hier könnten die Trassen verlaufen.

Die hohen Erwartungen der Bevölkerung, die Seehofer und Aigner nun wecken, sind ein weiterer Grund für die Zurückhaltung der Experten. Natürlich sind Erdkabel im Gegensatz zu Freileitungen unsichtbar und deshalb eine Wohltat für das Landschaftsbild. Aber das heißt nicht, dass man die Trassen überhaupt nicht in der Umgebung erkennt. Auch sie ziehen sich wie Schneisen durchs Land. So eine Erdkabel-Trasse ist 25 bis 40 Meter breit und muss komplett frei bleiben von Gebüsch und Wald, aber auch von Gebäuden. Zwar sind Ackerbau und Viehhaltung auf ihr möglich. Aber nur mit Einschränkungen. Denn bei Störungen und Schadensfällen müssen Notfalltrupps die Trasse zu jeder Tages- und Nachtzeit aufgraben können - ohne Rücksicht auf das Getreide, das dort womöglich gerade heranreift, oder wiederkäuende Kühe. Viele Bauern befürchten außerdem, dass die Wärme der Erdkabel Äcker und Weiden entlang der Trassen austrocknen könnte.

Der unterirdische Bau ist viel komplizierter

Auch der Bau einer unterirdischen Stromautobahn ist sehr viel komplizierter als der einer jeden Freileitung. Denn es wird ja nicht einfach ein Kabel vergraben. Beim Suedlink sind es auf der Stammstrecke zehn und beim Abzweiger nach Grafenrheinfeld fünf. Sie werden in Einheiten von zwei und drei Kabeln verlegt. Auf der Suedlink-Stammstrecke werden deshalb vier Kabelschächte ausgehoben, auf dem Abzweiger zwei. Die Kabel selbst liegen in 1,50 Meter bis zwei Meter Tiefe. So tief wird auch das Erdreich aufgegraben. Unter Straßen, Zuggleisen, Bächen und Flüssen hindurch ist eine offene Bauweise aber unmöglich. So wie auch für die Unterquerung von anderen Leitungen im Boden. Solche Abschnitte müssen unterbohrt werden, wie es im Fachjargon heißt. Dabei frisst ein Bohrer unter den Hindernissen eine Röhre durch das Erdreich hindurch. In sie werden Rohre nachgeschoben, durch die später die Kabel verlaufen.

Die aufwendige Bauweise ist es denn auch, warum unterirdische Trassen so viel teurer sind als Freileitungen. Ein Kilometer Freileitung kostet 1,2 Millionen bis 1,4 Millionen Euro. Ein Kilometer Erdkabel, so kalkuliert Tennet, ist um den Faktor drei bis acht teurer - je nach Untergrund. Das heißt, der Kilometer Erdkabel kostet 3,6 Millionen bis 11,2 Millionen Euro. Bisher traut sich daher kein Experte zu, den Gesamtbetrag abzuschätzen, den der Vorrang der Erdverkabelung kosten wird.

Ganz anders Wirtschaftsministerin Aigner. "Elf Milliarden Euro", so verkündete sie nach den Beschlüssen, werden zusätzlich für die Erdkabel fällig, verteilt auf die 40 Jahre, welche die Leitungen ungefähr halten werden. Der Strompreis werde sich dadurch nur um etwa 0,1 Cent pro Kilowattstunde verteuern. In der Expertenwelt schütteln sie den Kopf über diese Rechnung. "Das ist reine Kaffeesatzleserei", sagt ein Fachmann. Sicher ist nur, dass die neuen Erdkabel über die Netzentgelte finanziert werden. Und die werden von den Stromverbrauchern bezahlt.

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