Streit um Bereitschaftsdienst:Für den Notfall ungeeignet

Streit um Bereitschaftsdienst: Jürgen Brunner ist mit Leib und Seele Psychotherapeut. Doch für den Ärztlichen Bereitschaftsdienst fühlt er sich fachlich nicht ausreichend kompetent.

Jürgen Brunner ist mit Leib und Seele Psychotherapeut. Doch für den Ärztlichen Bereitschaftsdienst fühlt er sich fachlich nicht ausreichend kompetent.

(Foto: Robert Haas)

Mediziner wie Psychotherapeuten müssen künftig auch Bereitschaftsdienste machen. Doch Ärzte wie Jürgen Brunner fühlen sich fachlich dafür nicht genug gerüstet - und fragen sich, welche Konsequenzen Fehlbehandlungen haben werden.

Von Dietrich Mittler

Die Praxiseinrichtung von Jürgen Brunner passt zur Not auch in ein geräumiges Lasttaxi: zwei edle Ledersessel, ein Stehpult, eine spindähnliche Stahl-Kommode für die vertraulichen Dokumente, ein, zwei Regale, eine Teekanne und ein paar Tassen. Das ist es im Wesentlichen, was der psychotherapeutisch tätige Arzt braucht, um Patienten in einer vertrauensvollen Atmosphäre behandeln zu können. Stethoskop, Notfallkoffer, Spritzen und Kanülen sind indes in dem kleinen, übersichtlichem Zimmer nicht zu finden.

Vieles davon wird Brunner aber brauchen, wenn er in Zukunft tatsächlich zum ärztlichen Bereitschaftsdienst herangezogen wird. Dann nämlich muss er in späten Abendstunden, an Wochenenden und Feiertagen - also dann, wenn alle Praxen geschlossen haben - Patienten behandeln, deren körperliche Beschwerden keinen Aufschub dulden.

Allein der Gedanke daran, dass dies bald der Fall sein könnte, treibt Brunner schon seit Wochen um. Zwar wird es sich in den allermeisten Fällen letztlich doch um Bagatellfälle handeln, unangenehme Erkältungen etwa, Fieber oder kleinere Verletzungen. Und für ernsthaftere Beschwerden wäre ohnehin der Notarzt zuständig. Doch was, wenn nun solch ein scheinbar harmloser Fall zum Notfall wird? Oder wenn er den Ernst der Lage mangels Erfahrung gar nicht bemerkt. "Ich würde daran zerbrechen, wenn ich durch meine fehlende fachliche Kompetenz bei körperlichen und organischen Krankheiten die Gesundheit und das Leben von Patienten, insbesondere von schwangeren Frauen oder Kindern, gefährden würde", sagt der 44-Jährige.

Brunner ist durchaus selbstbewusst, was seine Kompetenz im angestammten Fachbereich Psychotherapie anbelangt. Aber: "Für allgemeinmedizinische Behandlungen bin ich gar nicht ausgebildet", sagt er. Wie er künftig im Bereitschaftsdienst Patienten mit körperlichen Beschwerden nach bestem Wissen und Gewissen behandeln solle, das sei ihm ein Rätsel. "Die Versorgung von Notfällen erfordert mehr als das theoretische Wissen aus dem Medizinstudium und das daran anschließende praktische Jahr", begründete er seinen Widerspruch gegen das, was er als "Einberufung" bezeichnet. Allerdings: "In der Bundeswehr hat man als Einberufener nicht Dinge machen müssen, für die man nicht ausgebildet war."

Post von der KVB für 2100 Ärzte

Die Mitteilung, dass Brunner künftig in München für den Bereitschaftsdienst zur Verfügung zu stehen hat, lag Ende April im Briefkasten - und das betraf ihn längst nicht alleine. Etwa 2100 weitere Ärzte aus Fachrichtungen, die in Bayern bislang vom Bereitschaftsdienst ausgeschlossen waren, wurden von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) angeschrieben. Unter ihnen - um nur einige Gruppen zu nennen: Nuklearmediziner, Laborärzte, Humangenetiker, Radiologen, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen und eben auch "überwiegend oder ausschließlich psychotherapeutisch tätige Ärzte".

Letztere trifft der Ruf der Kammer offensichtlich besonders hart. Vor zwei Jahren bereits, als erste Informationen über eine Reform des Bereitschaftsdienstes aufkamen, äußerte eine Kollegin Brunners, die Psychotherapeutin Silke Doll aus Immenstadt im Allgäu, ihre Bedenken: "Für mich und die Patienten wird das wirklich gefährlich. Das kann zu Regressfällen führen." Auch Brunner hat große Zweifel, ob seine auf die Psychotherapie zugeschnittene Haftpflichtversicherung für Behandlungsfehler im Bereitschaftsdienst aufkommt.

"Wo ist das Problem?"

Wolfgang Krombholz, der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, hat für solche Bedenken rein gar nichts übrig. "Wo ist da das Problem?", fragt er gereizt. Die Kollegen hätten eine Approbation, also eine Zulassung, als Ärzte tätig zu sein, und damit seien sie auch verpflichtet, Bereitschaftsdienste zu leisten. Das sei in allen anderen Bundesländern längst der Fall und künftig eben auch in Bayern. "Hier im Freistaat war es nur Gewohnheitsrecht, dass verschiedene Fachrichtungen dazu nicht herangezogen wurden", sagt Krombholz.

Öffentlich geäußerten Befürchtungen von Kollegen, sie könnten durch mangelnde Erfahrung "die Gesundheit und das Leben von Patienten gefährden", begegnet der KVB-Vorsitzende mit der Maximaldrohung: "Man kann sich nicht darauf hinausreden, dass man Fehler machen wird. In solch einem Fall muss man schon mal über die Approbation der betreffenden Kollegen reden", sagt er.

Damit keine Zweifel an seiner Entschlossenheit aufkommen, fügt Krombholz hinzu: "Es gibt keine Ausrede mehr, dann muss man halt auch mal handeln."

Die Härte im Ton des KVB-Chefs mag an den schwierigen Diskussionen liegen, die die Reform des ärztlichen Bereitschaftsdienstes begleitet haben. Die KVB ist dafür verantwortlich, dass der Bereitschaftsdienst in Bayern sichergestellt ist. Genau das gerät aber allmählich in Gefahr. "In immer mehr - vor allem ländlichen Regionen Bayerns - wird es zunehmend schwieriger, die Bereitschaftsdienste zu besetzen", hatte die KVB noch im April verkündet. In Bayern gebe es mehr als 200 "Brennpunkte", in denen die Versorgung im Bereitschaftsdienst "nur noch mit größter Mühe sicherzustellen ist", hieß es.

Die KVB musste also handeln. Dabei setzt sie vor allem auf zwei Neuerungen: erstens die Rekrutierung von Ärztegruppen, die bislang außen vor waren. Zweitens wurden die Bereitschaftsdienstregionen in Bayern ausgeweitet, indem mehrere kleine dafür zusammengelegt wurden. Vorteil: Die einzelnen Ärzte kommen weniger oft dran. Nachteil: Sie müssen bei Hausbesuchen weitaus größere Strecken zurücklegen, und auf die Patienten kommen unter Umständen längere Wartezeiten zu.

Dass etliche der neurekrutierten Ärzte darauf verweisen, sie seien für den Bereitschaftsdienst fachlich nicht gerüstet, kommt Krombholz mehr als ungelegen. Solche Aussagen haben das Potenzial, Patienten zu beunruhigen. Die KVB zitiert deshalb momentan eifrig Gerichtsentscheidungen, die ihre Rechtsauffassung bestätigen. Zugleich aber lockt sie: Mit Bereitschaftsdiensten lasse sich in München etwa bis zu 1200 Euro brutto an einem Wochenende verdienen. Auch komme die Mehrzahl der neu eingesetzten Kollegen gar nicht so häufig dran, wie sie befürchteten. Er selbst sieht seine Argumente bestätigt. Insgesamt hätten nur 182 Ärzte in Bayern Widerspruch gegen die neue Bereitschaftdienstordnung eingelegt.

Von den 21 000 Ärzten, die in Bayern Bereitschaftsdienst leisten müssen, sind rund 2700 davon befreit. "Aufgrund von Krankheit, Behinderung, Elternzeit, besonderer familiärer Verpflichtungen und ähnlichem", sagt Krombholz. Den Gründen, die etwa Jürgen Brunner anführt, gibt Krombholz indes kaum eine Chance. Ärzte, die bislang nicht in den Bereitschaftsdienst eingebunden waren, hätten ja die Chance, nun die Übergangsfrist von zwei Jahren zu nutzen, "in eine Praxis zu gehen, mitzuarbeiten, Kollegen über die Schulter zu schauen". Dieser Vorschlag, meint Brunner, sei völlig unrealistisch. "Meine eigene Praxis lastet mich voll aus", sagt er.

Blieben also noch die angebotenen Basisseminare der KVB. Doch die sind laut Brunner keine Lösung: "Es ist doch völlig absurd, in drei Tagen Crash-Kurs das ganze Wissen erlangen zu wollen, das für einen Bereitschaftsdienst notwendig ist." Brunners Blick geht einen Moment lang ins Leere. "Ich bin völlig ratlos, wie das weitergehen soll", sagt er.

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