Streit der Sportschützen:Querschläger

Angeblich hat Deutschland das schärfste Waffenrecht der Welt. Angeblich. In Bayern streiten Schützen über die zulässige Größe von Kalibern - und offenbaren dabei, was alles möglich ist.

Max Hägler

Wer in die Köfferchen blickt, die Albert Hildebrand aufgeklappt hat, der versteht, wieso manche ihn "Cowboy" nennen und "Großwildjäger". Drei Waffen liegen darin. Eine kleine ist dabei - Kaliber 22. Daneben zwei silberne Revolver, Kaliber 357 Magnum und 44 Magnum. "Ab da wird es interessant", sagt Hildebrand, nimmt die schwerste Waffe in die rechte Hand. Mit der linken klappt er die Trommel heraus, leise und präzise klickt die Mechanik, wenn er sie mit dem Daumen vorwärts dreht. Patronen dick wie ein kleiner Finger gehören hier hinein, ein Euro pro Stück. Und es geht noch größer.

WM im Schießen - Freie Pistole

Mit Konzentration und Körperbeherrschung ins Schwarze treffen. Das ist offenabr der Reiz für einen Sportschützen. (Symbolbid)

(Foto: dpa)

Hildebrand und seine Vereinskollegen der Feuerschützen Regensburg schießen gern auch mit Kaliber 500 SW oder 50 AE. Wer ein wenig nachforscht, was es mit diesem Jargon auf sich hat, bemerkt: So eine Waffe hat fünfmal so viel Energie wie eine deutsche Polizeipistole. Stärkere Faustfeuerwaffen gibt es nicht am Markt. Weder in den USA und auch nicht beim georgischen Bauchladenhändler.

Das macht selbst Sportsfreunden Angst. "Den Feuerschützen geht es nur um groß, größer, am größten", sagt Manfred Wimber, Vorsitzender des Schützenverbandes Donaugau. Aber es ist Schützenalltag. In diesem Fall in Köfering, einige Kilometer südlich von Regensburg: Ein schmuckes Feuerwehrhaus samt Gemeindesaal. Den Bunker darunter nutzen mittlerweile Schützenvereine. Eine Gaststube im Landhaus-Stil haben sie eingerichtet und eine Schießbahn, in der ordentlich Müll getrennt wird: Plastik, Aluhülsen, Messinghülsen, Papier. Wobei die Feuerschützen - einer der Mieter - ihre Waffen im Format Safari-Jagd natürlich nicht mit popeligem Plastik füttern. "Andere spielen Fußball, uns gefallen große Waffen", sagt Hildebrand. Und erklärt, was alle Schützen erklären: Mit Konzentration und Körperbeherrschung ins Schwarze treffen. Das sei der Reiz.

Hildebrand ist einer, der aussieht, wie Vereinsvorsitzende öfter aussehen. Groß, gestreifter Pulli, darüber eine graue Weste mit Vereinslogo, der graue Vollbart ist sauber gestutzt. Wenn der 61-Jährige einmal Humor gehabt hat, dann ist er mittlerweile so staubtrocken, wie der Geruch von Schießpulver, der in der Luft liegt. Was hat es mit dem Vorraum auf sich, in dem ein Schild mit dem netten Begriff "Fummelzone" angeschraubt ist? Das sei der gesicherte Bereich in dem man mit den Waffen herumfummeln könne, deswegen auch die dicken schwarzen Gummimatten. Doppeldeutig sei das nicht gemeint. "Wir Schützen sind ernsthafte Leute", sagt Hildebrand.

Und dennoch haben er und seine 150 Mitglieder Ärger. Im Winter haben sie in der Lokalzeitung stolz von den großen Kalibern erzählt. Viele andere der 12.000 Schützen im Donaugau sind seitdem verschreckt - oder tun zumindest so. Wer mit so großen Waffen hantiert, schadet dem Image, heißt es und an den Schießbahnen zeigen sie große Einschusslöcher in der Decke und behaupten: Das waren die Feuerschützen. "Das sind zu große Waffen, gerade nach den vergangenen Amokläufen", sagt ihr oberster Repräsentant Wimber, ein Mann mit großen Geheimratsecken und einer ebensolchen Brille.

90 Prozent seiner Mitglieder würden mit Luftdruck schießen, der Rest Kleinkaliber, mehr brauche es für den Sport auch nicht, behauptet er. Gauschützenmeister unter dem Protektorat der Fürstin Gloria von Thurn und Taxis ist sein Titel. Schnöde Schützenschnüre und Pokale stellt der 74-jährige gelernte Schreiner schon lange nicht mehr aus - er besitzt alle.

In grauer Flanellhose und Pantoffeln sitzt er im Wohnzimmer. Drei Urkunden hängen dort: Vom Ministerpräsidenten, vom Bundespräsidenten, vom Hause Wittelsbach. Geehrt für die Verdienste um den Schießsport. Der ist hoch angesehen hierzulande, wo Schützenverbände gemeinsam mit Zünften zu den ältesten Vereinigungen überhaupt zählen. Vor Hunderten von Jahren hatten sich die Bauern organisiert, um das Land mit Waffengewalt vor "mutwilligem einzug und beschedigungen" zu verteidigen, wie es in Aufzeichnungen heißt und wovon die Uniformen zeugen, mit denen sie etwa zum Oktoberfest-Auftakt durch München marschieren.

Mittlerweile stehen der Sport und das Feiern im Vordergrund, vor 50 Jahren kam Wimber so zum Schießen: Als er im Wirtshaus beim Schafkopfen saß, fragten ihn die Schützen nebenan, ob er nicht einmal die Karten gegen ein Luftgewehr tauschen wolle. Seitdem ist er dabei, schießt ein wenig, redet viel und organisiert noch mehr. "Aber in dieser Schützenfamilie sind die Feuerschützen gar nicht, wir sehen sie nie auf einem Fest", schimpft Wimbers Frau. Mit Nachdruck packt sie den kleinen Stofflöwen auf dem Sofa und fegt Staub von der Sitzfläche, wo gar keiner ist. Und Wimber holt aus dem Flur eine gut gefüllte braune Lederkladde: Das aktuelle Material des Streits mit Hildebrand.

Im Januar hat Wimbers Gau das Schießen mit Größtkalibern im verbandseigenen Stand verboten, der komfortabler ist als etwa die Anlage in Köfering. "Meine Delegierten wollten das so", sagt Wimber. Und als ordentlicher Funktionär hat er sich da auch abgesichert: "Ich habe Protokolle, mir kann keiner was." Hildebrand ist mit dem Teilrauswurf natürlich nicht einverstanden und klagt dagegen. Sein Verein habe dort viele Stunden ehrenamtlich gearbeitet und deshalb ein Nutzungsrecht.

"Gibt's eine Steigerung von tot?"

Bei den Feuerschützen halten sie die Argumentation des Donaugaus sowieso für verlogen. Hildebrand hat gerade geschossen mit einem großen Revolver. Bequem, mit leicht gespreizten Beinen. Aus der Mündung kamen Feuerstöße. So kräftig waren die Schüsse, dass sie ihm jedes Mal die Arme nach oben gerissen haben. Jetzt sitzt er mit fünf, sechs Männern im Vorraum. Die meisten haben Speziflaschen vor sich und schwarze Waffenkoffer. "Gibt's eine Steigerung von tot? Töter?", fragt Hildebrand und blickt in die Runde. Keiner sagt etwas, die Leute hier reden eh nicht viel. Kommen, schießen, gehen, das scheint der Rhythmus zu sein. Dumpf knallt es hinter der schweren Tür. Peng, Peng, Peng, Peng, Peng. Nein, es gibt keine Steigerung. Es ist auch mehr eine rhetorische Frage gewesen.

Breit hat Schützenmeister Hildebrand die Arme auf den Tisch gelegt: "Die vom Gau haben doch keine Ahnung von Waffen und Kalibern." Denn wenn sie welche hätten, dann wüssten sie: "Alle sind tendenziell tödlich." Oder anders gesagt: "Ob ich als Bankangestellter bei einem Überfall in ein Kleinkalibergewehr schau' oder in eine Schrotflinte, das ist egal." Wobei der Gau nur einige wenige Kaliber verboten habe. Es seien die Waffen, die sowieso derart schwer zu beherrschen seien, dass niemand auf die Idee käme, sie bei einem Verbrechen einzusetzen, glaubt Hildebrand.

Die Amokläufer in Erfurt und Winnenenden hätten etwa das viel kleinere und üblichere Kaliber 9 Millimeter benutzt. Auch Breivik, der Attentäter in Norwegen, habe eine solche Kurzwaffe "geführt". Diese Kaliber stünden überhaupt nicht zur Debatte im Schießstand, sagt Hildebrand. Mit einem auch nicht kleinen 44er Magnum-Revolver dürfe man ebenfalls weiterhin schießen. Ihn irritiert die Inkonsequenz.

Kaufen kann ein Deutscher übrigens all die genannten Waffen problemlos - Verbandsstreit hin oder her. Einzige Voraussetzung: Er ist mindestens ein Jahr ordentliches Mitglied in einem Schützenverein und kann ein sauberes Führungszeugnis vorweisen. Die Wahl der Waffe richtet sich nach der Sportordnung seines Verbandes. Wer die ganz großen Kaliber schießen will, der geht eben in den Verband Bayerischer Feuerschützen. So ist das im Land, von dem die Bundeskanzlerin sagt, dass es "eines der strengsten, wenn nicht das strengste Waffenrecht auf der Welt" hat.

Und Hildebrand ist entschlossen, alles dafür zu tun, dass alles so bleibt. In einem ersten Verfahren vor dem Amtsgericht hat er gegen den Schützengau verloren. Nun bereitet er eine Hauptsache-Klage vor, um auch auf den Bahnen des Verbandes wieder mit allen Kalibern schießen zu können - und ist guter Hoffnung. "Wir leben doch in einem freiheitlichen Rechtsstaat, oder nicht?" Er sagt das ohne jede Ironie.

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