Streit am Chiemsee:Kampf um den Kormoran wieder eröffnet

Toter Kormoran, aufgehängt in der Hirschauer Bucht im Chiemsee.

Der Kormoran wurde vor seinem Revier im Naturschutzgebiet an der Einmündung der Tiroler Achen gekreuzigt.

(Foto: LBV-Archiv/oh)

Ein Unbekannter bindet einen toten Kormoran vor der Hirschauer Bucht im Chiemsee ans Kreuz. Damit löst er Empörung bei Fischern und Naturschützern aus. Die streiten seit Jahren um den Abschuss der Vögel.

Von Heiner Effern, Grabenstätt

Ein Vogel hängt tot an einem Pfahl, weit draußen im Chiemsee vor der Hirschauer Bucht. Der Kopf ist mit einer Schnur festgebunden, an einer Querstange sind die ausgebreiteten Flügel fixiert. Es ist ein Kormoran, gekreuzigt vor seinem Revier im Naturschutzgebiet an der Einmündung der Tiroler Achen.

Mit diesem Symbol des Hasses erreicht der jahrelange Streit zwischen Fischliebhabern und Naturschützern am Chiemsee eine neue Qualität. Die einen wollen die Kormorane am liebsten loswerden, weil sie ihren ausgeprägten Hunger im See stillen. Die anderen freuen sich, dass der bedrohte Kormoran einen Platz gefunden hat, an dem er überleben kann.

"Leben und leben lassen am See"

Umweltschützer empfinden den Kormoran am Kreuz als Provokation. "Dies ist eine Geschmacklosigkeit sondergleichen und eine Rohheit gegenüber der Natur", sagt etwa Sabine Pröls vom Landesbund für Vogelschutz (LBV). Sie will sich allerdings auch von so einer extremen Aktion nicht wieder in den alten Frontenstreit drängen lassen. "Wir kommen nur weiter, wenn wir bei den Fakten bleiben", sagt sie.

Die würden rein statistisch für einen Verbleib der Kormorane sprechen: Schon bevor sich 1994 die ersten im Natur- und Vogelschutzgebiet an der Tiroler Achen angesiedelt hätten, seien die Fangquoten der Berufsfischer drastisch eingebrochen, sagt Pröls. Seither seien diese aber konstant. Das würden objektive Zahlen des Landesamts für Umwelt belegen. Pröls äußert sogar Verständnis dafür, dass die Fischer mit einem Feind im Jagdgebiet deutlich schwierigere Arbeitsbedingungen hätten als zuvor. Sie plädiert für "Leben und leben lassen am See".

Dass Berufsfischer und Raubvögel am Chiemsee keine Freunde mehr werden, das sagt auch Thomas Lex, Sprecher der Fischereigenossenschaft. Einen Kormoran zu kreuzigen, sei aber "ein vollkommener Blödsinn". Auch wenn ihnen das nun "sicher wieder in die Schuhe geschoben wird, das ist nicht auf unserem Mist gewachsen".

Schüsse mit dem Lasergewehr

Tatsächlich seien die Fangquoten in den vergangenen Jahren nicht schlecht gewesen. Das liege aber daran, dass die Fischer mit viel Arbeit auf die fressenden Kormorane reagiert hätten. "Wir setzen 50 bis 100 Millionen Renken pro Jahr in den See", sagt Lex. Diese würden selbst in Brutstationen aufgezogen. Müsste man sie kaufen, würde das eine halbe Million Euro kosten.

Die Zahl der Kormorane am Chiemsee pendelt zwischen 70 und 120 Brutpaaren. 2012 zählte das Landesamt für Umwelt 121 belegte Nester, 2013 nur 77. Dieses Jahr sollen es laut den Berufsfischern wieder deutlich mehr als 100 sein. "Wir nähern uns wieder den Zahlen von 2001, da wollten wir eigentlich nicht mehr hin", sagt Thomas Lex. In diesem Rekordjahr flogen Kormorane von 167 Nestern über den See und fraßen 40 Tonnen kleiner Fische.

"Ich halte von der Schießerei nichts"

Die Berufsfischer machten damals auch politisch Druck, doch auch Angriffe auf die Vögel im geschützten Delta der Tiroler Achen scheiterten. Schüsse mit dem Lasergewehr blieben wirkungslos. Für einen Einbruch in die Nester durch einen Kletterer wurde im letzten Moment die Genehmigung zurückgezogen. Immer wieder erteilt die Regierung von Oberbayern Ausnahmegenehmigungen, die Kormorane unter bestimmten Voraussetzungen abzuschießen. Doch die seien so streng, sagt Fischer Lex, dass er und seine Kollegen kaum 20 Tier pro Jahr erwischten. "Ich halte von der Schießerei nichts. Darauf können wir verzichten."

Auch die Hobbyfischer distanzieren sich von der Kreuzigung des Vogels im See. "Das ist eine Riesensauerei. So was lassen wir uns nicht andichten", sagt Josef Haiker, Chef des Anglerbunds Chiemsee. Es sei kein Geheimnis, dass die Fischer nicht "gut Freunde werden" mit dem Kormoran. "Wir wollen das aber legal lösen", sagt Haiker. Wenn jemand demonstrieren wolle, dass zu viele Kormorane nisteten, dann gebe es andere Möglichkeiten. "Mir ist das unerklärlich."

Den Vogelschützern geht es nicht anders. Denn der Stempen mit dem Vogel steht so weit im Wasser, dass er für Spaziergänger und Vogelliebhaber kaum zu sehen ist. LBV-Expertin Pröls rätselt, ob der "Tierschänder" am Kormoran eine symbolische Bestrafung vollstrecken oder ein anlockendes oder abschreckendes Zeichen an dessen Artgenossen senden wollte. Eines jedenfalls zeigt die Aktion: Der Kampf um den Kormoran ist wieder eröffnet.

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