Straftäter in der Psychiatrie:Die Verrechtlichung eines rechtlosen Rechts

Gustl Mollath vor Untersuchungsausschuss

Gustl Mollath ist der bekannteste Psychiatrie-Insasse der Republik. Ständig gibt es Neuigkeiten in dem Fall, doch so richtig vorwärts geht es für ihn nicht.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Der Fall Gustl Mollath zeigt, wie reformbedürftig die "Maßregeln der Besserung und Sicherung" sind. Auf der Basis von wenigen amorphen Paragrafen wird massiv und ohne zeitliche Begrenzung in die Freiheit eines Menschen eingegriffen. Nun stellt das Bundesjustizministerium grundlegende Reformüberlegungen an. Das ist löblich, aber nicht ausreichend.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Das deutsche Strafrecht ist zweispurig. Das klingt großspurig, steht aber so im Gesetz und ist im Prinzip auch vernünftig: Die erste Spur - das sind die Strafen, also die Geld- und die Haftstrafen; Grundlage für die Zumessung dieser Strafen ist die Schuld des Täters. Die zweite Spur - das sind die "Maßregeln der Besserung und Sicherung", dazu gehört vor allem die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus; dort eingewiesen wird ein Täter nicht wegen seiner Schuld, er ist ja in der Regel schuldunfähig, sondern wegen seiner psychischen Krankheit.

Gustl Mollath ist ein Opfer der zweiten Spur des Strafrechts. Er sitzt seit sieben Jahren in der Psychiatrie. Sein Fall zeigt: Diese zweite Spur des Strafrechts ist aus der Spur und außer Kontrolle. Die rechtliche Akkuratesse, die beim Strafen und bei der Strafvollstreckung ansonsten herrscht, ist im Recht der Unterbringung in der Psychiatrie fast spurlos verschwunden. Dieser Teil des Rechts ist ein ziemlich rechtloses Recht. Auf der Basis von ein paar wenigen amorphen Paragrafen wird massivst und ohne zeitliche Begrenzung in die Freiheit eines Menschen eingegriffen. Weder der Gesetzgeber noch das Bundesverfassungsgericht haben sich dieses schreienden Missstands bisher angenommen. Ein Papier des Bundesjustizministeriums stellt nun endlich grundlegende "Reformüberlegungen" an.

Das Reformpapier ist löblich, aber nicht ausreichend. Es will richtigerweise die Unterbringung in der forensischen Psychiatrie öfter und intensiver kontrollieren, als das bisher geschieht; zu diesem Zweck sollen auch die Anforderungen an die psychiatrischen Gutachten steigen - die über das Wohl und Wehe des Menschen entscheiden, der vom Strafrichter in die Psychiatrie geschickt wird. Dieser Mensch ist ein juristischer Zwitter: Er ist halb Straftäter und halb Patient; bislang addieren sich nur die jeweiligen Nachteile - zur Zwangsbehandlung. Gegen mehr Kontrolle der Unterbringung ist nichts zu sagen, gegen qualifiziertere Gutachten natürlich auch nicht. Das ist dringend notwendig.

Dringend notwendig wäre aber auch eine Vollzugsordnung, die die Rechte der Patienten und die Pflichten des Personals im psychiatrischen Krankenhaus formuliert. Und notwendig wäre vor allem auch eine deutliche Anhebung der Einweisungsvoraussetzungen. Es kann und darf nicht sein, dass als "Anlasstat" für die erste Einweisung weiterhin strafrechtlicher Pipifax genügen kann. Soll einer wirklich per Strafurteil in die geschlossene Anstalt verfrachtet werden, weil er andere beleidigt, ihnen die Luft aus dem Fahrrad abgelassen, im Supermarkt geklaut oder im Suff randaliert hat - wenn ein Gutachter meint, dass da noch mehr zu erwarten sein könnte?

So wird das Freiheitsgrundrecht zu kleiner Münze geschlagen. So wird mit Menschen, die - zum Beispiel aufgrund von Beziehungsproblemen hochangespannt sind - juristisch-psychiatrisches Roulette gespielt. Ein Richtertisch ist aber kein Spieltisch. Die aleatorischen Elemente müssen aus dem Strafrecht verschwinden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: