Stellenabbau:Politik nimmt Siemens in die Pflicht

Konzern soll Strategien entwickeln, um Stellenabbau so sanft wie möglich zu gestalten

Von Wolfgang Wittl

Die große Lösung hatten sie noch nicht im Angebot, als sie am Mittwoch auseinandergegangen sind. Aber das hatte auch keiner erwartet. Zwei Stunden saßen Ministerpräsident Horst Seehofer, die Ministerinnen Ilse Aigner (Wirtschaft) und Emilia Müller (Arbeit), Kommunalpolitiker sowie ein Direktor der Arbeitsagentur mit Vertretern von Siemens zusammen, um den Schaden möglichst gering zu halten. 2000 Stellen will der Konzern in Bayern abbauen, die meisten in Nürnberg und im niederbayerischen Ruhstorf, wo jeweils etwa 700 Jobs wegfallen sollen. Eines immerhin ist nun klar: Betriebsbedingte Kündigungen wird es nicht geben und alle vier Standorte - auch in Bad Neustadt und Erlangen - werden erhalten bleiben. Das habe Siemens beim Treffen in der Staatskanzlei zugesagt.

Deutlich wurde auch: Alle Gesprächspartner sehen Siemens in der Pflicht, den Stellenabbau so verträglich wie möglich zu gestalten. Er setze darauf, "dass Siemens die Möglichkeiten an allen betroffenen Standorten intensiv auslotet und konkrete Vorschläge erarbeitet", teilte Seehofer mit. Das habe Siemens, vertreten durch Vorstandsmitglied Klaus Helmrich, zugesichert. "Siemens muss einen Beitrag leisten", stellte Wirtschaftsministerin Aigner klar. Es gehe um Menschen, die dringend eine Perspektive benötigten. "Hier ist vor allem Siemens gefordert", mahnte der Passauer Landrat Franz Meyer. In Ruhstorf gehe es nämlich nicht nur um 700 Siemens-Beschäftigte, sondern um noch mal 300 Mitarbeiter von Zulieferern. In einer grenznahen Gemeinde wie Ruhstorf sei so etwas nicht aufzufangen.

Eine Lenkungsgruppe unter Aigners Leitung, der Vertreter aller Gruppen angehören sollen, wird sich nun mit dem weiteren Vorgehen befassen. "Kluge Lösungen" werde es brauchen, sagte die Wirtschaftsministerin. Am liebsten wäre es der Staatsregierung, Siemens würde die Stellen durch interne Verlagerungen erhalten. Aber die Situation, so bitter sie sei, könne auch Chancen bieten, sagte der Nürnberger Wirtschaftsreferent Michael Fraas. Nun sei Fantasie gefordert: Es müsse möglich sein, die vorhandene Kompetenz an den Standorten in neuen Geschäftsfeldern zu nutzen. "Wie schaffen wir es, Menschen in andere Tätigkeiten zu überführen?"

Markus Schmitz, bayerischer Regionalchef der Bundesagentur für Arbeit, sicherte zu, den betroffenen Arbeitnehmern alle Brücken in der Weiterbildung zu bauen. Er habe herausgehört, "dass wir für alle Standorte Zukunftsperspektiven haben", sagte Schmitz. Auch Thomas Habermann zeigte sich verhalten optimistisch. Er habe nach diesem "sehr guten Gespräch" Vertrauen in Siemens, erklärte der Landrat von Rhön-Grabfeld. Vom Konzern äußerte sich zwar keiner der Teilnehmer, dafür will man sich noch vor Ostern an den vier Standorten mit den Betriebsräten unterhalten.

Unabhängig davon, dass Siemens eigene Vorschläge vorlegen soll, arbeitet auch die Staatsregierung an individuellen Lösungen. Jede Region weist besondere Anforderungen auf, deshalb wird es nicht reichen, allgemein weitere Regionalfördermittel freizugeben. Gezielt sollen etwa Wissenschaftsprojekte unterstützt werden: in Ruhstorf eine Kooperation zur Digitalisierung von Objekten mit der Uni Passau und der Hochschule Deggendorf. In Bad Neustadt das Projekt Modellstadt für Elektromobilität in Zusammenarbeit mit der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. In Nürnberg das Gründerzentrum Energietechnologien. "Alle Ministerien werden ihre Aktivitäten zur Stärkung der betroffenen Regionen gezielt vorantreiben", verspricht Seehofer. "Alle müssen jetzt nach Lösungen suchen", das sei die wichtigste Botschaft, sagte der Passauer Landrat Meyer.

Auch der Landtag befasste sich am Mittwoch nach einem Dringlichkeitsantrag der SPD mit dem Thema. Das Können und die Expertise der Siemens-Mitarbeiter müsse erhalten bleiben, forderte der industriepolitische Sprecher Bernhard Roos. An diesem Donnerstag will SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher in Ruhstorf mit den Beteiligten sprechen. Auch die Grünen und der Vorsitzende des bayerischen Gewerkschaftsbundes, Matthias Jena, appellierten an die Staatsregierung: Sie müsse ihren Worten Taten folgen lassen und alle Mittel ausschöpfen.

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