Erbschaft:Bayerns Albtraumhäuser

Alte Hauswand mit broeckelndem Putz

Im ländlichen Raum wollen Erben eine Immobilie öfter nicht haben als in den Städten.

(Foto: Caro/Westermann, Immobilien Freistaat Bayern)
  • Dem Freistaat werden immer wieder Grundstücke und Immobilien vererbt.
  • Aktuell ist Bayern Allein- oder Miteigentümer von 7251 Häusern und Grundstücken.
  • Oft sind es Schrottimmobilien, die die Erben ausschlagen - auch für den Fiskus ist dann kaum etwas zu holen.

Von Johann Osel

Die Lage der Immobilie klingt gar nicht schlecht, "innerörtlich, Bahnhofstraße". Allerdings: Der Ort schrumpfte über Jahre, nähert sich wieder der Einwohnerzahl der Sechziger an; und die Bahnhofstraße verheißt etwas zu viel, die Zuglinie von Cham nach Lam an der tschechischen Grenze hält hier bei Bedarf. Zumindest die Umgebung des Hauses im oberpfälzischen Hohenwarth entschädigt. Schönste Natur, an der Rückseite fließt der Weiße Regen, die Bayerwaldberge sind nah.

Wenn Hohenwarth Gästen "Gemütlichkeit ohne Kitsch" verspricht, hat die Gemeinde recht. Der Hauptgrund, warum das Gebäude kaum einen Käufer finden dürfte, ist es selbst: die Bude, Außenmaße elf mal sieben Meter, "kann als abbruchreif eingestuft werden". Bilder vom Inneren zeigen Geschirr, Müll und Fetzen auf einer Couch, riesige Risse in der Wand. Die Offerte verheimlicht nichts. Gegen Höchstgebot wird das Objekt verkauft. Vom Besitzer, dem Freistaat.

Bayern hat geerbt, wieder einmal. Der Freistaat ist auf dem Weg der Erbschaft Allein- oder Miteigentümer von aktuell 7251 Häusern und Grundstücken geworden. Wie Daten der Deutschen Presse-Agentur zeigen, ist das Rang eins bundesweit, an zweiter Stelle folgt Hessen mit 742 Immobilien. "Fiskalerbschaften" fallen an den Staat, wenn Erben ihr Erbe ausschlagen oder sich kein Erbe finden lässt.

Das Bürgerliche Gesetzbuch sieht das vor, es geht um die ordnungsgemäße Abwicklung. Der Staat löst den Nachlass auf, macht eine Bilanz von Werten und Schulden, die Gläubiger werden bedient. Draufzahlen muss der Staat nicht, es bleibt der Weg einer Nachlassinsolvenz. Aber erst mal heißt es, Kasse zu machen, mit Versteigerungen bei den Finanzämtern, wo auch Gepfändetes und Beschlagnahmtes unter den Hammer gerät: Möbel, Fernseher, Weinvorräte, Briefmarkenalben, Schmuck, Kettensägen, Geigen.

Und da sind eben oft Immobilien, vergangenes Jahr bei gut jeder zweiten Erbschaft des Staates. Ziel ist auch hier ein zügiger Verkauf. Übrigens geht es nicht nur um Häuser in Bayern, maßgeblich für den erbenden Staat ist der letzte Wohnort des Verstorbenen. Bayern hat so schon Häuser und Areale von Lübeck bis Tirol geerbt.

Hinter jeder Erbschaft steckt eine Geschichte

Bei dem Abbruchhaus in der Oberpfalz wollte der Erbe eben nicht erben, wie man im Dorf erfährt. Verständlich, wenngleich natürlich hinter jedem Fall Geschichten stecken, ein Schicksal. Nun wird die Hütte in den staatlichen Immobilienangeboten im Netz angeboten - gegen Höchstgebot. Derlei liest man auf diesen Seiten meist, keine Preise. Auch liest man: "Der Freistaat behält sich vor, nicht frist- und formgerechte Angebote zu berücksichtigen." Flexibilität - wenn sich nur ein Käufer fände. Es sind nicht nur einstürzende Altbauten inseriert.

Manches Haus ließe sich sanieren oder ist in gutem Zustand - sofern sich nicht eine Altlast offenbart, man kann nicht immer wissen, was früher war. Eine Gerberei, eine Tankstelle? Immer mehr Häuser, vor allem auf dem Land, will keiner haben. Nicht mal quasi geschenkt. Die Auflösung von Fiskalerbschaften brachte Bayern zuletzt zwar 8,7 Millionen Euro im Jahr ein - gegenrechnen müsste man aber Verwaltungsaufwand und Kosten. Dazu werden keine Zahlen erhoben, stellt das Finanzministerium auf Anfrage klar. Erfahrungswerte, wie viele Häuser aus ausgeschlagenem Erbe stammen oder mangels auffindbarer Erben an den Staat kamen? Gibt es nicht. Erkenntnisse zum Zustand, geschätzter Anteil von Schrottimmobilien? Keine Angabe. Eine Erfolgsquote beim Veräußern? Nein.

Häuser zu verkaufen ist schwierig, wo ohnehin Leerstand herrscht

Eine Zahl gibt es: Die meisten Immobilien wurden 2015 in Ober- und Unterfranken geerbt, mehr als 300 der 535 Objekte. Schlussfolgerungen über die unterschiedliche Attraktivität von Regionen? Keine Angaben im Haus von Minister Markus Söder (CSU). Spekulationen wolle man nicht, heißt es ziemlich resolut. Glücklich scheint man weder über das Erben an sich zu sein noch über Fragen dazu.

Das Thema läuft hinaus auf die Frage nach gleichwertigen Lebensverhältnissen in Bayern, wie sie in der Verfassung verankert sind und als Ziel von Heimatminister Markus Söder gelten; umgesetzt anderem durch tägliches Überreichen von Förderbescheiden, das unlängst sogar der Ministerpräsident als besondere Fähigkeit Söders hervorhob. Im Heimatbericht im Sommer diagnostiziert Söder einen Aufwärtstrend, der ländliche Raum ziehe wieder Leute an.

Klaus Adelt war zwei Jahrzehnte Bürgermeister in Selbitz im Frankenwald. Verlotternde Häuser im Ort - das ist für Lokalpolitiker in strukturschwachen Gegenden Alltag. Adelt war aufgefallen, dass der Besitzer vieler Objekte der Freistaat ist, weil er sie geerbt hat und nicht veräußern kann. Nicht nur dem SPD-Politiker war das aufgefallen, auch einigen Kollegen in Nachbarorten, in den Landkreisen Hof, Wunsiedel, Kulmbach, in unterfränkischen Gefilden. Wenn leere Häuser mitten im Ort stehen und der Landstrich am Fremdenverkehr hängt, so Adelt, sei das "katastrophal".

Fiskalerbschaften in Großstädten und florierenden Gegenden gibt es gleichwohl, der Verkauf von Häusern dürfte einfacher sein. Angaben dazu macht das Ministerium nicht. Lofts im Münchner Glockenbachviertel sind unter den Inseraten jedenfalls nicht geführt. Klar ist: Wo ohnehin Leerstand herrscht, wird es schwierig. Angebot und Nachfrage, der Markt variiert stark: In manchen oberfränkischen Kreisen gibt es passable Einfamilienhäuser für unter 100 000 Euro, im Münchner Umland kostet Vergleichbares das Zehnfache. Natürlich sind nicht alle geerbten Häuser verfallen, natürlich ist Provinz nicht automatisch unattraktiv - aber man sieht Trends.

2013 wurde Adelt in den Landtag gewählt und hat nachgefragt, wie viele Immobilien dem Staat zufallen. Die Tabellen, die er voriges Jahr als Antwort vom Ministerium bekam, sind für ihn ein "klares Signal" dafür, dass Bayern von gleichwertigen Lebensbedingungen weit entfernt ist. "Es ist bitter, wenn mühsam abgesparte Häuser durch ihren Standort nichts mehr wert sind und Erben sie nicht haben wollen", sagt Adelt. Oft gelinge es nicht, die Häuser zu veräußern, "so eine alte Kaluppe kauft doch keiner". Und wenn junge Leute nicht wegzögen, etwa vom Frankenwald nach Nürnberg - dann bekämen sie voll erschlossenes Bauland zum günstigen Preis.

Ein Indikator für den Wert von Immobilien

Auch die Freien Wähler im Landtag treibt das um. Alexander Muthmann, Sprecher für Landesentwicklung, sagt: "Dass ein Erbe ausgeschlagen wird, kann natürlich auch am Starnberger See vorkommen. Aber die Zahlen sind ein Indikator dafür, wo Immobilien wenig wert sind." Der Landkreis Freyung, wo Muthmann früher Landrat war, hat 80 000 Einwohner, München 1,5 Millionen - aber in dem Kreis im Bayerwald zähle man fast doppelt so viele an den Staat gegangene Objekte in zehn Jahren. "Das Hohelied der Staatsregierung auf den starken ländlichen Raum stimmt so nicht."

Was also tun? Mancher Bürgermeister würde verfallene Häuser am liebsten abreißen, sofern Denkmal- oder Ensembleschutz das erlauben. Adelt denkt an einen gezielten Rückbau mit Förderung des Landes - bei Gebäuden, die wirklich nie wieder Bewohner finden werden. Häuser, die "einigermaßen vernünftig" sind, müsse der Staat offensiver anbieten, auf Kommunen aktiv zugehen und gemeinsam beratschlagen. Wunschdenken - die Gemeinden, so hört man im Heimatministerium, könnten ja im Grundbuch nachschauen.

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