Sprachkurse für Flüchtlinge:Wie ein Lehrer mehr als deutsche Vokabeln vermittelt

Migrants Seeking Asylum Learn German

"Ich bin gefahren. Ich habe gegessen. Demokratie" - so schreiben es die Asylsuchenden in ihre Vokabelhefte.

(Foto: Sean Gallup/Getty)

Es geht nicht nur darum, die Fälle und die Vergangenheit zu lernen: Im Sprachkurs sollen Asylsuchende erfahren, wie Deutschland funktioniert - mit allen Eigenheiten.

Von Pia Ratzesberger, Bad Tölz

Diktatur oder Demokratie, darum geht es jetzt, dabei wollte Alexander Niehusmann mit seinen Schülern doch nur besprechen, zu welcher Uhrzeit der Kurs beginnen soll. Er will ein Meinungsbild und schreibt bereits das Wort "Demokratie" auf den Flipchart mit den neuen Vokabeln, da meldet sich einer der Schüler und sagt etwas verdrossen in gebrochenem Englisch: "It is full advantage if you alone decide." Heißt: Es sei doch besser, wenn der Lehrer allein entscheide.

Neun Uhr am Morgen in der oberbayerischen Kurstadt Bad Tölz, es ist der dritte Tag des Sprachkurses für Asylbewerber - und zwar solche, die noch nicht als Flüchtlinge anerkannt sind. Ihnen war bisher der Zugang zu staatlich gefördertem Deutschunterricht verwehrt, Ende Oktober aber gab die Bundesarbeitsagentur bekannt, in ganz Deutschland einmalig für zwei Monate sogenannte Einstiegskurse anzubieten.

Kosten soll das bis zu 121 Millionen Euro, 100 000 Ankömmlinge sollen schneller fit sein für den Arbeitsmarkt. Allerdings nur Bewerber mit "guter Bleibeperspektive" - Flüchtlinge aus Syrien, Eritrea, Irak und Iran. Bei diesen Staaten liegt die Schutzquote im Schnitt bei mehr als 50 Prozent.

Mehr als Deutschunterricht

In dem Schulungsraum in Tölz sitzen ausschließlich Asylbewerber aus Syrien und Eritrea. Unter den im Landkreis Bad-Tölz-Wolfratshausen untergebrachten Flüchtlingen bilden zwar die derzeit 293 Afghanen die größte Gruppe, aber die durften sich nicht anmelden - die Schutzquote für Afghanen ist nicht hoch genug dafür. In einem Ort musste ein Kurs sogar storniert werden - Interessenten gab es zwar, aber eben nicht aus den passenden Ländern.

Den 25 Flüchtlingen im Raum geht es jetzt vor allem um eines: Lernen. Endlich. Vor ihnen die aufgeschlagenen Ringordner und Vokabelhefte, auf dem Flipchart Präpositionen und Perfekt: "Ich bin gefahren. Ich habe gegessen." Und: "Demokratie". Der Mann in der dritten Reihe links am Fenster probiert es noch einmal, mit diesen Leuten hier sei Demokratie nicht möglich, sagt er und deutet auf seine Kollegen. Es gebe zu viele verschiedene Meinungen.

"Das ist hier eben so"

Er schüttelt den Kopf, er versteht nicht, warum der Lehrer nicht alleine über die Uhrzeit entscheidet. Doch Niehusmann, in Jeans und kariertem Hemd, graue Haarsträhnen im Gesicht, hält dagegen: "Doch, das ist überall in Deutschland möglich", sagt er und breitet die Arme aus. Dann fügt er an: "Das ist hier eben so."

Der 48-Jährige vermittelt nicht nur das Perfekt, sondern führt auch aus, warum an Weihnachten alle frei haben. Warum das Ende des Ramadan kein gesetzlicher Feiertag ist. Wieso Deutsche zum Essen gerne ein Bier trinken, aber nicht so gerne Whiskey - und warum man in der Bundesrepublik im besten Fall im Konsens entscheidet. Niehusmann erklärt nicht nur die deutsche Sprache. Er erklärt, soweit wie eben möglich, auch Deutschland. Manchmal kann er nur sagen: "Das ist hier eben so." Weihnachten, Demokratie - ist eben so.

Wenn er auf ein Wort am Flipchart deutet, spricht es die Gruppe sofort nach. Die zwei Jungs in der ersten Reihe aus Eritrea, die Mutter mit ihrer erwachsenen Tochter aus Damaskus, die zwei Brüder ganz hinten, die sich immer wieder zuwispern. Sie alle formieren ihre Lippen nun zu den unbekannten Lauten, sagen "Dienstach, "Dientach" und dann "Dienstag". Die meisten hier sind zwischen 19 und 25 Jahren alt. "Ich bin gefahren. Ich habe gegessen. Demokratie", steht in ihren Heften.

In den Pausen spricht man Englisch

Untereinander können sich nicht alle verständigen, die Syrer sprechen Arabisch, die Eritreer Tigrinya, einige etwas Englisch. Doch ein Laptop zeigt Vokabeln auf Arabisch an, die Geschulteren übersetzen Wörter für die Schwächeren. "Immerhin habe ich hier nur mit zwei Muttersprachen zu tun, gab auch mal Kurse mit acht", sagt Niehusmann. Er hat eine Ausbildung für Deutsch als Fremdsprache absolviert, für Sprachkurse mit Flüchtlingen engagiert der örtliche Bildungsträger Peter Schnabel nur Leute, die bereits viel Erfahrung haben. "Schnabel, das ist mein Boss", sagt Niehusmann und deutet mit dem Zeigefinger auf seine Brust. Viele lachen, "Boss", das verstehen die meisten.

Obwohl der Kurs erst vor zwei Tagen begonnen hat, erklärt der Lehrer fast nur auf Deutsch. Genus, Neutrum oder Präteritum, alles Worte, die hier fallen. Es wird kaum Englisch gesprochen, außer in den Pausen. Dann hört man Sätze wie "Ich war einmal Computerlehrerin in Damaskus, aber dann brach der Krieg aus." Oder: "Ich war Krankenschwester in Syrien." Es sind Momente, in denen einem die Vergangenheit dieser 25 Menschen bewusst wird - denn im Sprachkurs geht es vor allem um die Gegenwart. Um die Zukunft, manchmal auch nur um den nächsten Tag. "Wir müssen jetzt wirklich im Konsens entscheiden, wann wir morgen anfangen", sagt Niehusmann. Ein Stöhnen ist zu hören. Ein Raunen. Aber: Ist eben so.

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