Sport:Wie man trotz Hörverlust Fußballspielen kann

Fußball Camp Simon Ollert

Kommandos mit Gesten: Simon Ollert leitet die jungen Fußballer in seinem Camp an.

(Foto: Florian Breitenberger; Phonak/oh)
  • Ein gehörloser Fußballspieler organisiert ein Fußballcamp für Kinder mit Hörverlust.
  • Die Kommunikation ist manchmal schwierig, denn nur ein Teil der Betreuer und Kinder beherrscht Gebärdensprache.

Von Teresa Bummel

Wuschelblondes Haar, frecher Blick, der Fußballdress reicht fast bis zu den Knöcheln. So muss Simon Ollert als Elfjähriger mit seinen Mitspielern auf dem Platz gestanden haben. Er erobert den Ball, gewinnt und verliert Zweikämpfe. Er schießt als Stürmer Tore, und das nicht zu knapp und teilweise aus unmöglich scheinenden Situationen heraus.

Aber wenn er läuft und der Schiri pfeift, dann läuft er weiter - bis er merkt, dass alle stehen geblieben sind. Dann schaut er auf und zuckt mit den Schultern, den Pfiff hat er nicht gehört. Ollert ist seit seiner Geburt an Taubheitsgrenzen schwerhörig. Seine Hörgeräte geben ihm zwar die Möglichkeit, Geräusche und Stimmen besser wahr- und an Konversationen teilnehmen zu können, aber auf dem Platz muss er einzig und allein auf seine Instinkte vertrauen.

Die D-Jugend ist mittlerweile fast zehn Jahre her. So präsent wie heute war diese Zeit aber schon lange nicht mehr. Genau 43 Kinder springen über den Platz, sie alle hat der 20-jährige Regionalligaspieler, der gerade vom FC Ingolstadt II zum FC Memmingen gewechselt ist, in das oberbayerische Ammertal, seine Heimat, eingeladen. Er teilt nämlich zwei Dinge mit ihnen: die Begeisterung für den Fußball und die Schwerhörigkeit.

"Sie erinnern mich schon manchmal stark an mich selbst", schmunzelt er über die Teilnehmer seines eigenen Fußballcamps für Kinder mit Hörverlust, das dieses Jahr schon in die zweite Runde geht, "manche sind genauso stur wie ich früher", fügt er hinzu und lacht, als ein Kind lautstark darauf besteht, im Sturm und nicht im defensiven Mittelfeld zu spielen. Doch diese Sturheit hat ihn sicherlich auch auf den Weg gebracht, auf dem er sich jetzt befindet, hat ihn immer wieder aufstehen lassen.

Auch, wenn er aufgrund seiner Behinderung diskriminiert wurde: "Was machst du hier, geh doch zum Behindertenfußball" - Sätze wie diese hätte er auf dem Platz schon öfter gehört "oder eben auch nicht", witzelt Ollert. Ohne über sich selbst lachen zu können, wäre der Alltag wohl ziemlich auslaugend für jemanden, der manchmal ein halbes Dutzend Mal nachfragen muss, was sein nuschelndes Gegenüber gerade gesagt hat. Der Durchsagen in der U-Bahn nicht hört. Der in der Musik nur den Bass spürt, kein Wort des Textes versteht.

Und im Sport? Fußballspielen heißt Teamplay. Teamplay heißt Kommunikation. Und die fällt ihm ja schwerer als anderen - weil er eben kaum etwas hört, auch die Mitspieler nicht. Oder? Ollert ist der Ansicht, dass man im Fußball nicht aufs Hören angewiesen ist, denn sein Handicap gleiche er durch einen geschärften Sehsinn aus, der ihm Räume eröffne, die andere so nicht wahrnehmen würden, erklärt er.

Daher beobachtete er die Laufwege der Kinder, um festzustellen, ob sich seine These auch hier bestätigt. Eine Drohne schwebt neben dem Spielfeld und liefert Material für Videoanalysen des Spiels der Kinder, die vier Tage lang unter Aufsicht eines fußballkundigen Trainer- und Betreuerteams, das aus Freunden und Bekannten Ollerts und natürlich ihm selbst besteht, Fußball spielen. Schlafen dürfen alle im Internat des Klosters Ettal, wo Ollert früher zur Schule ging. Von dort aus sind all die Fußballplätze, auf denen er in seiner Kindheit selbst trainierte, nicht weit.

Kommunikation mit Kindern erfordert besondere Methoden

Die Kinder bilden nie einen Kreis um ihren jeweiligen Trainer, wie üblich, sondern stehen alle direkt vor ihm, sehen ihn angestrengt an. Die Trainer selbst gestikulieren ausladend, sprechen mehr deutlich als laut, damit es den Kindern leichter fällt, von ihren Lippen abzulesen. Jede Übung wird mehrmals vorgeführt bevor die Kinder sie selbständig machen. Einige Kinder sprechen nicht, kommunizieren ausschließlich mittels der Gebärdensprache, die andere dagegen nie gelernt haben. Auch Ollert nicht, er ist in einem gut hörenden Umfeld aufgewachsen.

Das erschwert die Kommunikation unter den Kindern und auch mit Trainern und Betreuern, aber jeder hat da seine eigenen Methoden. "Wenn es was Wichtiges zu sagen gibt, zum Beispiel, wann Treffpunkt ist, dann tippe ich es schnell ins Handy ein und zeige das. So kann ich sichergehen, dass es alle mitbekommen", erklärt Trainerin Larissa.

Verständnisschwierigkeiten auch zwischen den Kindern

Dass sich teils Gruppen bilden, die die Kinder in "gebärdend" und "nicht gebärdend" unterteilen, sieht Ollert kritisch. Ihm ist wichtig, dass sich alle bemühen, sich untereinander zu verstehen und nicht abblocken, wenn sie mit andersartiger Kommunikation konfrontiert werden. Am Abend des zweiten Tages organisiert er einen Stuhlkreis, in dem sich jeder vorstellt und ein paar Worte über sich selbst sagt. Eva, eine Betreuerin, ist selbst schwerhörig und kann durch den häufigen Kontakt zu Gehörlosen auch die Gebärdensprache. Sie übersetzt, wenn es Verständnisschwierigkeiten gibt.

Das bricht die Barriere zwischen den Grüppchen. Sie knackst sie zumindest an. Denn alle Kinder passen auf, fragen sofort nach, wenn sie etwas nicht mitbekommen haben, lernen einige Handzeichen und diejenigen, die beide Sprachen beherrschen, sprechen laut, während sie gebärden, was Ollert sehr imponiert: "Ich sehe es so, dass das die Zukunft ist. Man könnte eine Kombination von Gebärden- und Lautsprache sogar international machen, sodass man sich auf der ganzen Welt verständigen kann." Ollert ist es wichtig, dass Kinder mit Hörminderung verstehen, dass sie alles erreichen können - wenn sie sich nur ausreichend anstrengen. Dass sie Lösungen finden und über sich hinauswachsen können. Dass sie den Blick für den freien Raum haben müssen. Und dafür gibt er selbst das beste Beispiel.

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