Sport:Wenn beim Bolzen nur noch geholzt wird

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Wo der Unterschied zwischen Härte und grober Unsportlichkeit? Fußball birgt Risiken, wie auch hier für die Spieler des TSV Ottobrun (blau) und der SpVgg Haidhausen. (Foto: Claus Schunk)

So manche Begegnung im bayerischen Fußball endet in einer Massenschlägerei - oder sogar vor dem Landgericht.

Von Hans Kratzer

Um sich den enthemmten Jargon der Gangsta-Rapper reinzuziehen, muss man nicht unbedingt ein Hip-Hop-Konzert oder die Verleihung des Musikpreises Echo besuchen. Es reicht ein sonntäglicher Abstecher auf einen Fußballplatz irgendwo in Bayern. "Du Hurensohn!", "du Wixer!", "du Holzkopf!", so klingt die moderne Kommunikation im Amateurfußball. Selbst Freizeitkicker schüchtern ihre Gegenspieler durch Zuraunen von Obszönitäten ein, und nicht zuletzt auch jene jungen, unerfahrenen Schiedsrichter, die sich von derlei Aggressionen schnell beeindrucken lassen.

Es vergeht kein Wochenende, an dem nicht irgendein Sportplatz zu einer Art Schlachtfeld umformatiert wird. Die Polizeimeldungen listen Pöbeleien, Schlägereien und üble Verletzungen auf. Mancher Sportkamerad fand auf dem Spielfeld gar den Tod, ein Bierfahrer zum Beispiel, der nebenher "als Schiedsrichter amtete", wie in einer fränkischen Vereinschronik zu lesen ist. Bei einem Spiel im Ort Tannenwirtshaus wurde der Mann vor Jahrzehnten von einem Randalierer erstochen. Zum Glück hat sich eine Gewalttat dieser Art bisher nicht wiederholt.

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Tragische Unglücksfälle und Verletzungen aber sind die Dauerbegleiter eines Sports, der lange Zeit als die schönste Nebensache der Welt galt. Eine Nebensache ist der Fußball schon lange nicht mehr, vielmehr bildet er so etwas wie die Herzkammer der Gesellschaft, die sich für keinen anderen Sport mehr zu interessieren scheint und auch die dunklen Machenschaften fast kritiklos hinnimmt. Dass jene Trainer und Spieler, die Vorbilder für so viele sind, auf den Bildschirmen oft mit wutverzerrten Gesichtern und aggressiver Gestik zu sehen sind, wird in seiner Wirkung auf junge Menschen kaum hinterfragt. Die Folgen bis hin zur Verrohung und zum Empathieverlust sind bei Amateur- und Jugendspielen unübersehbar.

Früher war auch nicht alles besser, was eine autobiografische Erzählung des Schriftstellers und Nazi-Gegners Wilhelm Diess zeigt, die er lange vor dem Krieg verfasst hat. Darin schildert er, wie seine Klasse zum ersten Mal Fußball spielte. Fußball sei für die Jugend äußerst lehrreich, sagte sein Turnlehrer, der in einer dunklen Ahnung den Buben noch mitgab, es sei nicht so schlimm, wenn der Gegner ein Tor schieße. Trotzdem obsiegte bald die Leidenschaft. Der Schüler Binder hatte einem Spieler den Ball mit solcher Wucht an den Bauch geschmettert, dass dieser den Binder an der Gurgel packte. Nun droschen auch die anderen Spieler aufeinander los. Der Turnlehrer zog daraus das lehrreiche Fazit, man dürfe 17-jährige Menschen nicht gleich Fußball spielen lassen, ohne sie dazu vorzubilden.

Dieser Satz gilt wohl mehr denn je, und sicher auch für ältere Jahrgänge. Auch in der oberbayerischen Kreisliga-Begegnung VfL Denklingen gegen SC Unterpfaffenhofen-Germering nahm das Verhängnis nach einer harmlosen Situation seinen Lauf. Den Unterpfaffenhofenern wurde ein Freistoß zugesprochen, der Ball segelte hoch in den Strafraum, ein Spieler setzte zum Kopfball an, ein anderer holte mit dem Fuß aus. Aber statt den Ball zu treffen, traf er mit voller Wucht das Gesicht des Gegenspielers. Der sank bewusstlos und stark blutend zu Boden, ein Hubschrauber flog ihn in eine Unfallklinik. Von dem doppelten Kieferbruch hat sich der jungen Fußballer bis heute, zwei Jahre nach dem Unglück, nicht erholt.

Fußball ist ein Kampfsport und entsprechend verletzungsträchtig. Zwischen Härte und grober Unsportlichkeit verläuft nur ein schmaler Grat. Im geschilderten Fall unterstellte der verletzte Spieler seinem Gegenüber Absicht und verlangte Schadenersatz in Höhe von mindestens 10 000 Euro. Bei der Verhandlung vor der 10. Zivilkammer am Landgericht München II standen sich im Februar nicht zum ersten Mal Fußballer vor Gericht gegenüber. Trotzdem war sie richtungsweisend, denn es ging nicht um eine Verletzung, die aus einer Schlägerei resultierte, sondern um einen Unfall aus dem Spielgeschehen heraus.

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Eine Verurteilung hätte wohl signalisiert, jeder könne künftig nach jeder Verletzung eine Entschädigung einklagen. Das Gericht wies die Klage ab. Der Kläger konnte nicht nachweisen, dass sein Gegenspieler die Grenze von der erlaubten sportlichen Härte zur groben Unfairness überschritten hatte. Laut Gericht hatte der Beklagte in jener Situation zumindest eine realistische Chance, den Ball zu erwischen. In solchen Fällen gilt weiterhin als Maßstab das allgemeine Lebensrisiko, dem man sich in einem Fußballspiel aussetzt.

Dass sich dieses Lebensrisiko auch auf das Umfeld des Spielfelds ausweitet, ist eine beunruhigende Entwicklung. Auf und neben den Plätzen wird mancherorts getreten, geschlägert und gepöbelt, dass es nur so kracht. Eine Auflistung von Gewalttaten bei Fußballspielen seit dem vergangenen Sommer liest sich wie eine Litanei des Schreckens. Ein A-Klassen-Spiel zwischen dem SV Prutting und Türk Spor Rosenheim endete mit einer Massenschlägerei, vielen polierten Schienbeinen und einer Riege von Verletzten. Beim A-Klassenspiel SC Kirchroth II gegen FSV Straubing verpasste ein Akteur einem Gegenspieler nach einer Blutgrätsche solche Faustschläge, dass jener seine Zunge verschluckte. Nur der Erstversorgung durch den Schiedsrichter war es zu verdanken, dass nicht noch Schlimmeres passierte.

Der Bayerische Fußballverband (BFV) erklärte angesichts solcher Exzesse, er verfolge eine Null-Toleranz-Politik bei Gewalt, Diskriminierung und Rassismus. Einen signifikanten Anstieg von Gewalt auf Fußballplätzen gebe es aber nicht. Von der C-Klasse bis zur Bundesliga kam es laut offiziellen Zahlen des BFV in Bayern nur bei 0,024 Prozent der erfassten Partien zu einem Spielabbruch aufgrund gewalttätiger Vorfälle. Statistisch gesehen, müsste man also 4150 Spiele besuchen, um einen Spielabbruch zu erleben. Dass freilich viele Vorfälle gar nicht gemeldet werden, muss man sich dazudenken.

Auch Robert Fischer, der Schiedsrichter-Obmann für Niederbayern, hält die Situation zumindest in den Ligen der Erwachsenen für nicht überaus dramatisch. "In Niederbayern pfeifen wir 35 000 Spiele im Jahr, 98 Prozent verlaufen normal, nur zwei Prozent weniger gut, bei 20 Spielen spinnen sie." Die Problemzone seien die Junioren- und Jugendligen, sagt er. Mit jungen Schiedsrichtern, denen kein Respekt entgegengebracht werde, mit aggressiven Eltern und Betreuern, die oft ehrgeiziger seien als ihre Kinder. "Dort gibt es jedes Wochenende Ärger", sagt Fischer. Dass Eltern am Spielfeldrand raufen, gehört heutzutage zur Folklore, selbst in den Gefilden der F-Jugend, wo die Kinder frei vom Siegeszwang spielen dürfen, es gibt nicht einmal eine Tabelle.

Die Zahl der Angriffe und Hetzjagden auf Schiedsrichter geht in Deutschland in die Hunderte. Auf die Frage, wie man denn als Schiedsrichter im Angriffsfall reagieren soll, sagte der Unparteiische Markus Weber dem Magazin 11 Freunde: "Spielabbruch, rein in die Kabine, Kabine abschließen, Polizei rufen!" Kein Wunder, dass die Zahl der Schiedsrichter wegen dieser Erosion des Respekts massiv zurückgeht. Die Zeiten, in denen alle Spiele besetzt werden konnten, werden in Bayern bald vorbei sein - nicht zum Vorteil des Fußballsports.

Dass die Vorfälle und Übergriffe brutaler werden, das beobachtet auch der ehemalige Lehrerpräsident, Psychologe und Sportlehrer Josef Kraus. Die Akzeptanz von Autoritäten wie Eltern, Polizei, Lehrer und auch Schiedsrichter, die früher selbstverständlich war, habe stark gelitten, sagt er. Freilich waren auch früher im Fußballgeschäft nicht nur Friedensbewegte unterwegs.

Der Ex-Bayern-Präsident Wilhelm Neudecker charakterisierte den Spieler Paul Breitner einmal als eine "Mischung aus Andreas Hofer und einem Wilderer". Aber man wusste sich verbal mit einigermaßen Stil zu wehren, und man ließ auch den Humor noch mitwirken, was in Konfliktfällen stets von Vorteil ist. Breitner stürmte damals auf den Schiedsrichter Wolf-Dieter Ahlenfelder zu und fluchte: "Du pfeifst wie ein Arsch!" Daraufhin konterte Ahlenfelder: "Und du spielst wie ein Arsch!"

Diese Fähigkeit der augenzwinkernden Attacke würde dem Fußball heute gut tun. Der Autor Thomas Grasberger konnte vor Jahren in einem Buch über den Grant noch erklären, Fußball sei vor allem die 90-minütige atmosphärische Verdichtung elementarer menschlicher Gefühle, die zwangsläufig einhergehen mit "knurren, zanken, weinen, grinsen, lachen".

Anders gesagt: Fußball ist Grant auf grünem Rasen! Doch nun ist dieser Grant in eine Aggressionssphäre hineingewachsen, die wohl nicht einmal der Trainer Max Merkel geahnt hatte. Dabei waren schon Merkels Sprüche gefürchtet. "Spieler vertragen kein Lob", sagte er. "Sie müssen täglich die Peitsche im Nacken fühlen." Über die Faustkämpfer, Spucker und Treter, die heute dem Fußball so sehr schaden, würde er wohl ähnlich urteilen wie über einen Ex-Spieler des FC Bayern: "Das Intelligenteste an ihm ist sein Weisheitszahn."

© SZ vom 05.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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