SPD-Spitzenkandidaten:Rückzug der roten Garde

Herber personeller Umbruch in politisch schwierigen Zeiten: Bayern-SPD zieht ohne Renate Schmidt, Otto Schily, Ludwig Stiegler und Walter Kolbow in die Wahl.

Andreas Roß

Wer wissen will, wann es der bayerischen SPD schon mal besser ging als heute, der muss schon ein paar Jahre zurückblättern. 1998 wird er fündig werden. Damals zog der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder als SPD-Kanzlerkandidat durch den Freistaat und weckte die Neugier der bayerischen Wähler. Schröders Auftritte sorgten damals für überfüllte Hallen und Bierzelte, die Stimmung der Zuhörer war ähnlich euphorisch, wie man es aus den zurückliegenden Wochen von den Reden des CSU-Shootingstars Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) kennt.

SPD-Spitzenkandidaten: undefined
(Foto: Foto: dpa)

Frech und kampfeslustig trat Schröder seinerzeit im konservativen Freistaat auf, und er kokettierte damit, dass er nun auch ein bayerischer Staatsbürger sei - dank seiner Hochzeit mit der Bayerin Doris Schröder-Köpf. Schröders rhetorischer Feldzug durchs CSU-Land hinterließ bei der Bundestagswahl am 27. September 1998 weithin sichtbare Spuren: 34,4 Prozent der Bayern wählten SPD, und etliche Wahlkreiskandidaten der Partei eroberten gegen ihre CSU-Kontrahenten das Direktmandat zum Bundestag.

Kollektives Wehklagen

Heute, knapp vier Wochen vor der nächsten Bundestagswahl, ist die Lage für Bayerns Sozialdemokraten eher dazu angetan, in kollektives Wehklagen zu verfallen, angesichts der langen Liste von Wahlschlappen aus den vergangenen Jahren. 2002 wählten bei der Bundestagswahl nur noch 26,1 Prozent der Bayern die SPD. Noch schlimmer kam es bei der Europawahl 2004, bei der nur 15,3 Prozent bei den Sozialdemokraten ihr Kreuz machten. Die Landtagswahl 2008 war kaum besser und bescherte der SPD mit 18,6 Prozent ein Debakel. Doch es kam noch schlimmer: Bei der Europawahl im Juni 2009 sackte die SPD auf den Tiefstand von 12,9 Prozent. Ein Schock für den immer noch 70 000 Mitglieder zählenden Landesverband - der Status der Volkspartei im Freistaat war dahin.

Woher soll da Zuversicht wachsen vor der Wahl? Noch dazu, wo die bayerische SPD nicht nur einen personellen Umbruch zu verkraften hat, sondern neben den organisatorischen Defiziten auf dem Land auch mit der Abkehr der einstigen Stammwählerschaft und dem Verschwinden sozialdemokratischer Milieus in den größeren Städten zu kämpfen hat.

Vor vier Jahren hat noch Ludwig Stiegler, der stellvertretende Fraktionschef im Berliner Bundestag, die Kandidatenliste der bayerischen SPD angeführt. Gefolgt von den damaligen Bundesministern Renate Schmidt (damals Familie) und Otto Schily (Innen). Weitere Plätze nahmen die Bundestagsvizepräsidentin Susanne Kastner und der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Walter Kolbow, ein. Sie alle waren der Beleg dafür, dass Bayerns Sozialdemokraten in Regierung und Bundestag durchaus Gewicht und etwas zu sagen hatten. Mit ihnen holte die SPD 2002 trotzdem nur enttäuschende 25 Prozent der Wählerstimmen.

Die Namen fehlen

Doch am 27. September fehlen auf der Landesliste der SPD diese bekannten Namen. Listenführer ist nun der neue Landeschef Florian Pronold, der das schwierige Erbe von Ludwig Stiegler angetreten hat, die einst so stolze Partei aus den jetzigen Niederungen wieder in luftigere Höhen zu führen. Der 36-jährige Pronold ist fleißig, ehrgeizig, rhetorisch durchaus geschickt, aber noch lange kein politisches Schwergewicht wie vormals Renate Schmidt, Otto Schily oder Ludwig Stiegler. Sein Bekanntheitsgrad ist noch steigerungsfähig.

Jene 25 Prozent, die der SPD vor vier Jahren noch dürftig erschienen, wären für Pronold und seine Mannschaft bereits ein großer Erfolg. Zumal auch kein Vertreter der Bayern-SPD dem Kompetenzteam von Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier angehört, was auch ein Indiz dafür sein dürfte, wie wenig man in Berlin den Genossen im Freistaat zutraut.

Renate Schmidt, die frühere Landesvorsitzende und wohl immer noch beliebteste Politikerin unter Bayerns Sozialdemokraten, übt sich dennoch in Zuversicht: "So ein personeller Umbruch, wie ihn die bayerische SPD gerade durchmacht, kommt nie zu einem günstigen Zeitpunkt, dennoch ist er unvermeidbar. Ich halte von Florian Pronold eine ganze Menge, und ich bin mir sicher, dass wir ein respektables Bundestagswahlergebnis erzielen werden, das deutlich über den Resultaten der Landtags- und Europawahlen liegen wird."

Eine neue Abteilung Attacke

Dennoch wird man sich erst daran gewöhnen müssen, dass es nicht mehr der knorrige Oberpfälzer Ludwig Stiegler sein wird, der künftig die Abteilung Attacke gegen die CSU anführen wird. Der rauflustige Sozialdemokrat, der seine bemerkenswerten Latein- und Griechischkenntnisse der Schulzeit in einem katholischen Internat verdankt, wäre ja anfänglich gerne Missionar geworden, statt dessen studierte er Jura. Sein Missionieren für die Sozialdemokratie in Bayern war zwar wenig erfolgreich, aber als kantige Figur mit Unterhaltungswert wird er in der SPD-Historie sicher einen Platz finden. Vielleicht wird er seinen roten Pullunder, den er selbst bei Trauerfeiern nicht ablegt, ja dem Haus der Bayerischen Geschichte überlassen.

Herrisch, schroff, eigenwillig, andere sagen auch arrogant, das sind Eigenschaften, die Otto Schily kennzeichnen. Ihn hatte Kanzler Schröder 1998 in sein Kabinett geholt, um allen Zweiflern zu zeigen, dass Sicherheit und Ordnung auch bei den Sozialdemokraten gut aufgehoben sind. Trotzdem werden Schily, der nach dem Verlust seines Ministeramtes in den vergangenen vier Jahren im Bundestag und in seinem Wahlkreis München-Land nur noch Gastspiele gab, nicht viele Genossen nachtrauern. Zu oft hat er auch die eigenen Leute düpiert, weshalb es an der Parteibasis resignierend hieß: "Den Otto ändern wir nicht mehr!" Nun wird Schily noch mehr Zeit für seine Olivenbäume und sein Gut in der Toskana haben.

Und mit Renate Schmidt geht schließlich das Multitalent der bayerischen Sozialdemokratie in den Ruhestand. Der soll dann auch richtig ruhig werden. "Ich arbeite wirklich daran, wieder unbekannt zu werden. Ich freue mich immer wieder, wenn die Menschen nicht mehr so ganz genau wissen, wo sie mich eigentlich hintun sollen", sagte sie vor einigem Monaten in einem Interview. Dabei hat sie jene moderne Familienpolitik, die ihrer Nachfolgerin als Bundesministerin, Ursula von der Leyen (CDU), zu politischem Ansehen verholfen hat, erst auf den Weg gebracht. Von der Bundestagsvizepräsidentin bis zur Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion hat Schmidt viele Ämter mit Verstand und Verve ausgefüllt.

Die Spitzenkandidaten der Bayern-SPD für die Wahl am 27. September können mit der Bekanntheit dieser vier Granden noch nicht mithalten. Sie heißen - neben Florian Pronold - Susanne Kastner, Günter Gloser und Petra Ernstberger. Obwohl sie alle seit Jahren im Bundestag sitzen, kennt sie in Bayern kaum jemand.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: