SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel:"Ich finde Herrn Söder eher erheiternd"

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Der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel sieht die Atomwende der CSU mit Staunen. Er will aber bei der Suche nach einem Endlager in Bayern helfen.

Annette Ramelsberger

Der Ehrenvorsitzende der SPD Hans-Jochen Vogel erinnert sich noch, wie er 1986 im Bundestag von CDU- und CSU-Abgeordneten verlacht wurde, als er für einen Ausstieg aus der Kernkraft plädierte. Lächerlich sei das, hieß es damals, und unseriös. Heute hat sich die Union selbst abrupt gewendet. Und Vogel schlägt vor: Bei der Suche nach einem Endlager in Bayern könnte die SPD mit der CSU zusammenarbeiten.

Mehr Sozialdemokratie empfiehlt Hans-Jochen Vogel seiner Partei: Die hat gerade einen früheren Landeschef verloren. (Foto: Alessandra Schellnegger)

SZ: Die SPD will gemeinsam mit der Bundesregierung am Atomausstieg arbeiten. Macht es die SPD der Regierung zu leicht?

Hans-Jochen Vogel: Wenn die jetzige Bundesregierung zur Entscheidung der rot-grünen Regierung aus dem Jahr 2000 zurückkehrt, wäre es unlogisch, wenn wir die Zusammenarbeit verweigern würden. Wir sagen: Wenn Ihr Eure Fehler erkennt und unser Konzept von 2000 de facto übernehmt, dann begrüßen und akzeptieren wir das. Dabei gehe ich davon aus, dass SPD-Chef Sigmar Gabriel noch Anforderungen an die Regierung stellt, was den genauen Ausstiegsprozess betrifft.

In Bayern kann man sich eine solche Zusammenarbeit kaum vorstellen. Oder sollen die SPD-Vorleute Florian Pronold und Markus Rinderspacher etwa Umweltminister Markus Söder unterstützen?

Das Alter macht milder, auch was das Urteil über den politischen Gegner betrifft. Aber die Art und Weise wie Herr Söder gegenwärtig den Anschein erweckt, er sei eigentlich derjenige, der das Atomzeitalter beendet, die finde ich dann doch eher erheiternd. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihn die bayerische SPD dabei unterstützt. Aber zu einem Konzept für die Bewältigung des Ausstiegs in Bayern wird sie sicher beitragen.

Und was ist mit Ministerpräsident Horst Seehofer - überfällt Sie da auch Heiterkeit?

Seehofer ist ein Politiker, der seinem Instinkt vertraut. Mir erscheint auch deshalb bedeutsam, was er kürzlich über die Suche nach neuen Endlagern gesagt hat. Wenn er jetzt wirklich eine Suche in der ganzen Republik und also auch in Bayern akzeptiert, kann ich mir eine sinnvolle Zusammenarbeit vorstellen. Vielleicht hat Söder ja schon einen Standort in Bayern im Auge. Auf jeden Fall kann Bayern die Atomkraft nicht jahrzehntelang intensiv nutzen, aber beim Müll sagen: Bei uns darf noch nicht einmal gesucht werden.

Als Sie 1986 nach Tschernobyl im Bundestag die Abkehr von der Atomenergie forderten, wurden sie von den Abgeordneten von CDU und CSU verspottet. Für wie glaubwürdig halten Sie die Umkehr der Union?

Der Kanzlerin und dem neuen FDP-Vorsitzenden nehme ich die Umkehr ab. Aber die Widerstände gegen die neue Energiepolitik in der Union sind groß. Und die Glaubwürdigkeit würde stärker, wenn die Union öffentlich zugäbe, dass die Verlängerung der Atomlaufzeiten ein elementarer Fehler war.

Das ist gerade neun Monate her.

Ich kenne in der neueren deutschen Politik keinen Richtungswechsel, der so abrupt stattgefunden hat. In der Ostpolitik hat sich die Wandlung der Union über Jahrzehnte hingezogen. Nun soll die Katastrophe von Fukushima alles verändert haben. Aber was ist denn daran neu? Probleme mit Kühlleitungen gab es schon vorher. Und auch dass Kernkraftwerke erdbebenanfällig sind oder durch Flugzeugabstürze zerstört werden können, wusste man. Aber manchmal greift die Vernunft zu einer List, um Einsicht zu erzeugen.

Ihre Partei SPD kann nicht von der neuen Vernunft profitieren. Die Grünen sahnen die Zustimmung ab. Warum?

Seit 1986, seit Tschernobyl, haben wir uns konsequent für die Abschaltung der Kernkraftwerke eingesetzt. Und Erhard Eppler hat schon 1979 den Landesparteitag der SPD in Baden-Württemberg darauf eingeschworen, aus der Atomenergie auszusteigen. Aber weil wir eben schon so lange dafür sind, fallen wir bisher mit unserer konsequenten Haltung nicht genügend auf. Da beschäftigt sich die Öffentlichkeit vielmehr mit dem sensationellen Politikwechsel der Union. Und für die Grünen ist es halt ihr zentrales Thema seit ihrer Gründung.

In Baden-Württemberg wurde ein grüner Ministerpräsident gewählt, mit einem Vize von der SPD. Ist dieses Modell auch für Bayern vorstellbar?

Es überfordert meine Möglichkeiten, das bayerische Wahlergebnis von 2013 vorherzusagen. Aber wenn das Ergebnis es hergibt und man sich in Sachfragen einig ist, würde ich eine grün-rote Regierung nicht daran scheitern lassen, dass ein Grüner Ministerpräsident wird. Selbstverständlich kämpfen wir jedoch dafür, dass die SPD von den derzeitigen Oppositionsparteien wieder die stärkste wird.

Die SPD liegt in Bayern bei 17, 18 Prozent. Was raten Sie ihr?

Sie braucht mehr Selbstbewusstsein, da muss sie sich nur an ihre bald 150-jährige Geschichte in Bayern erinnern. Dann muss sie unter den Menschen mehr präsent sein, sie muss Ökologie und Ökonomie vereinen und ihr Kernthema, nämlich die soziale Gerechtigkeit, wahrnehmen.

Gerade da ist die SPD aber ziemlich leise.

In Bayern sind die Unterschiede zwischen arm und reich groß, größer als in anderen Bundesländern. Diese Kluft zu verringern, ist essenziell für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Das muss meine Partei noch stärker herausstellen.

Aber die CSU stellte sich doch als die bayerische Herz-Jesu-Partei dar, zuvorderst ihr Chef Seehofer.

Da klaffen Darstellung und Wirklichkeit auseinander. Die Sozialdemokratisierung der CSU ist noch nicht sehr weit fortgeschritten.

Die SPD macht mehr durch Personalquerelen von sich reden als durch Politik. Gerade ist der frühere SPD-Vorsitzende Wolfgang Hoderlein aus der SPD ausgetreten. Ein Alarmzeichen?

Der Austritt ist in jedem Fall bedauerlich. Ein Alarmzeichen für die SPD in ganz Bayern oder gar auf Bundesebene kann ich darin nicht sehen. Einmal liegt die Amtszeit von Herrn Hoderlein doch schon recht lange zurück. Zum anderen scheint es sich eher um persönliche Auseinandersetzungen in Oberfranken zu handeln.

Hoderlein sprach von "intriganter Patronage" in der SPD. Stößt die SPD die Bürger ab?

Der Begriff "intrigante Patronage" verstärkt den Eindruck einer persönlichen Auseinandersetzung. Was die Gewinnung neuer Mitglieder und überhaupt von Menschen für unsere Sache angeht, haben Sigmar Gabriel und Andrea Nahles gerade eine weitreichende Öffnung der SPD vorgeschlagen und damit eine lebhafte Diskussion ausgelöst.

Was halten Sie davon?

Ich begrüße die Diskussion. Mir kommt es darauf an, dass die Einwirkungsmöglichkeiten der Mitglieder und die Einwirkungsmöglichkeiten auf die Partei von außen in ein vernünftiges Verhältnis gebracht werden.

© SZ vom 04.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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