SPD-Landesparteitag:Neustart mit Herzdame

Landesparteitag der SPD Bayern

Die neuen und die alten Spitzen treffen sich in Schweinfurt zum Führungswechsel. Von rechts: Die neugewählte Landesvorsitzende Natascha Kohnen, ihr Generalsekretär Uli Grötsch, Kanzlerkandidat Martin Schulz und der ehemalige Landeschef Florian Pronold.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Die bayerischen Genossen wählen Natascha Kohnen zur Landeschefin und ersetzen beinahe das gesamte Führungsteam. Kanzlerkandidat Martin Schulz wird bejubelt und revanchiert sich mit frischem Kampfgeist

Von Lisa Schnell, Schweinfurt

Was ihnen ihr Spitzenkandidat Martin Schulz wert ist, wissen sie bei der Bayern-SPD in Schweinfurt sehr genau: 49,90 Euro. Dafür bekommt man einen Schulz, der aufrecht steht und 24 Stunden lächelt. Übers Wasser gehen kann dieser Schulz nicht. Er ist aus Pappe. Vom echten Schulz hatten das einige Genossen wohl durchaus angenommen. Es ist nicht lange her, da brauchte sich der Spitzenkandidat nur zu räuspern, um in der SPD Begeisterungsstürme auszulösen. Drei verlorene Landtagswahlen später mustert eine Genossin den Papp-Schulz und sagt: "Er kann ja nicht jeden Tag ein Wunder vollbringen". Aber an diesem Sonntag beim Parteitag der Bayern-SPD erwarten viele genau das: ein erneutes Schulz-Wunder.

Kurz vor Schulz' Auftritt schlägt ein älterer Mann seinem Kameraden immer wieder auf die Schulter und sagt jedes Mal: "Schulz-Hype, Schulz-Hype", als wollte er ihn daran erinnern, was jetzt folgen muss. Und es folgt: Jubel, rote Fahnen, Banner, minutenlanger Applaus als Schulz den Saal betritt. "Wir sind stolz auf dich", sagt die neue Landesvorsitzende Natascha Kohnen noch und es wirkt ein wenig, als wollte sie Schulz nach der krachenden Niederlage in Nordrhein-Westfalen Mut zusprechen.

"Wir haben harte Tage hinter uns", sagt Schulz und räumt ein: "Wir machen nicht alles richtig, wir machen auch schon mal Fehler, aber wir sind in der Lage uns dazu zu bekennen, und es anschließend besser zu machen." Nicht mehr präsent zu sein, nicht konkret zu werden, das hatte man ihm in den vergangenen Tagen vorgeworfen. Schulz antwortet mit neuem Kampfgeist. Statt für Steuersenkungen, an die eh keiner glaube, wirbt er für Investitionen in Bildung und Infrastruktur und für eine Entlastung des arbeitenden Volkes. Er will die Unternehmer nicht der Union und der FDP überlassen. Wer mit einem Start-up scheitere, dürfe nicht sein Leben lang stigmatisiert sein. Wer hart arbeite, müsse von seiner Rente leben können. Und wer schweige, wenn Rechtspopulisten die Demokratie angreifen, der gefährde Europa.

Es sind nicht unbedingt neue Töne, aber es ist ein Ton, der überzeugt. Das Publikum steht teils auf den Stühlen, ruft "Martin, Martin". Dann hat der Spitzenkandidat noch eine Botschaft an die Bayern-SPD. Es gebe Zeiten des Streits in einer Partei, es gebe aber auch Zeiten der Geschlossenheit.

Die will die Bayern-SPD auf ihrem Parteitag einläuten. Hinter ihr liegt die Mitgliederbefragung über den Landesvorsitz, während der nicht nur freundliche Worte gefallen sind. Auch Natascha Kohnen, für die am Ende fast 54 Prozent der Mitglieder gestimmt haben, wurde teils scharf attackiert. Jetzt aber deuten nicht nur die Frühstücksbrezen in Herzform darauf hin, dass harmonische Zeiten anbrechen sollen. Mit 88 Prozent wird Kohnen zur neuen Parteivorsitzenden gewählt und damit ein Stil, der dem von Schulz nicht unähnlich ist.

Der bedeute weniger Kopf und mehr Herz, sagt Kohnen in ihrer Rede. Weniger Technokratendeutsch, mehr einfache Worte. Damit sich die Leute nicht von der Politik abwenden und nicht von der SPD. Kohnen will sich nicht mehr abarbeiten an der CSU, sie will den Wählern eine Vision zeigen, wie Bayern mit der SPD aussehen könne. Das wäre dann ein Land, in dem man darauf vertrauen könne, ein Dach über dem Kopf zu haben, in dem jeder Zeit für die Familie, für den Job und für sich selbst habe, sagt sie. Ein Land, das keine Leitkultur brauche. Eine Vision von einer anderen SPD hat Kohnen auch und eine Botschaft an die Jusos: "Wir dürfen auf keinen Fall weiter Politik über die Köpfe der Jungen hinweg machen", sagt Kohnen. Es reiche nicht, ihnen zuzuhören, sie müssten ihrer Fantasie in der Politik freien Lauf lassen können.

Fast eineinhalb Minuten wird Kohnen beklatscht, zweimal verbeugt sie sich. 88 Prozent, für sie ein "Super-Ergebnis". "Nahe an super", sagt ein Delegierter. Manche hatten auf 92 plus x getippt. Auf mehr als 90 Prozent aber kam bisher nur Renate Schmidt. Vor allem nach der Mitgliederbefragung mit ihrem ausgeprägtem Wahlkampf sei das ein "sehr, sehr gutes Ergebnis", sagt Kohnens Vorgänger Florian Pronold. Er bekam 2015 nur noch 63,3 Prozent

Ihr Neuanfang ist sein Abschied. Nach dem historischen Umfragetief von 14 Prozent Anfang des Jahres war er für viele in der Partei nach acht Jahren als Vorsitzender nicht mehr haltbar. "Wenn die Partei in Trümmern liegt, muss man wissen, was zu tun ist", sagt Pronold. Er ging oder wurde gegangen, wie es manche ausdrücken. Dass er in seiner fast staatsmännischen Rede auf eine Generalabrechnung verzichtet, rechnen ihm viele hoch an, auch dass er die SPD finanziell wieder fit gemacht hat. Nachtrauern aber werden ihm wohl die wenigsten. An allen Ecken wird der Neuanfang mit Kohnen gefeiert und der Frieden. Etwa mit den Jusos. Noch vor ein paar Monaten wurde deren Bundesvorsitzende Johanna Uekermann auf der Bundestagsliste nach hinten durchgereicht, jetzt ist sie stellvertretende Parteivorsitzende. Zusammen mit Gewerkschafterin Marietta Eder, noch einer jungen Frau. Als Vize geblieben ist nur der Landesgruppenchef im Bundestag Martin Burkert. Das beste Ergebnis bekam der neue Generalsekretär Uli Grötsch. Für den Bundestagsabgeordneten stimmten 91,7 Prozent der Delegierten.

Im Vorstand sitzt auch Florian von Brunn als Beisitzer, der Kohnen im Wettbewerb um den Landesvorsitz noch scharf attackiert hatte. Auch von ihm hört man nur unterstützende Worte für Kohnen. "Es herrscht jetzt Frieden", sagt ein Mitglied. Und das sei den Genossen wirklich ernst.

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