Sozialpolitik:Mehr Mitsprache für Kinder gefordert

Grüne wollen unabhängige Ombudsstellen für junge Menschen aus Problemfamilien. Derzeit scheitert es am Geld

Von Dietrich Mittler

Die Kindheit und Jugend von Richard Sucker aus Nürnberg war die Hölle. "Bei jeder Nichtigkeit gab es Prügel", ist sein Fazit aus dieser Zeit. Sucker gehört zu jenen Heimkindern der Fünfziger- und Sechzigerjahre, die ihre Demütigungen und Misshandlungen im bayerischen Landtag öffentlich machten. Sie stießen damit im Sommer 2012 auch eine intensive Diskussion darüber an, wie heutigen Kindern und Heranwachsenden mehr Mitspracherechte in eigener Sache garantiert werden können. Geht es nach den Grünen im Landtag, so sollte die Staatsregierung baldmöglichst "ein Konzept für die landesweite Einrichtung unabhängiger Ombudsstellen" entwickeln - und das gemeinsam mit allen, die verantwortlich in der Kinder- und Jugendhilfe tätig sind. Am Donnerstag fanden nun Experten im Sozialausschuss Gelegenheit, aus eigener Sicht darzustellen, was sie von einem solchen Vorstoß halten.

Das System des "Ombudsmanns", das den Grünen vorschwebt, stammt ursprünglich aus Skandinavien und steht für unabhängige Personen, die Bürgern bei Beschwerden im Kontakt mit Behörden und anderen Institutionen zur Seite stehen. Im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe wären sie zum Beispiel eine Anlaufstelle für junge Menschen, die aus problematischen Familienverhältnissen heraus in einer Jugendhilfe-Einrichtung untergebracht sind und dort erneut vor einem Berg von Problemen stehen.

Der 19-jährige Kevin (Name und Alter geändert) ist so ein Fall. Seit dem vierten Lebensjahr wohnte er in einer Jugendhilfe-Einrichtung. Er ist "deutlich entwicklungsverzögert" und hat bereits zwei Suizidversuche unternommen. In seiner Wohngruppe gab es massive Differenzen. Kevin wurde aufgrund seines starken Übergewichts von der Gruppe gemobbt. Er quartierte sich deshalb bei seiner Mutter ein. Das hatte Folgen: Die Leiterin der Wohngruppe machte ihm klar, dass nicht sinnvoll sei, seinen Platz in der Gruppe weiter zu belegen, wenn er nicht bald zurückkomme. Kevin - trotz Volljährigkeit unfähig, die Konsequenzen abzuwägen - entschied sich gegen das Heim. Nur eine Woche später warf ihn die Mutter nach einem heftigen Streit raus, Kevin wurde obdachlos. Als er zurück in die Wohngruppe wollte, teilte ihm das zuständige Jugendamt mit: Er selbst habe die Jugendhilfe-Maßnahme beendet, und damit fertig.

Beate Frank, die Vorsitzende des heuer gründeten Vereins "Unabhängige Ombudsstelle für die Kinder- und Jugendhilfe in Bayern", hatte Kevins Geschichte vorsorglich für das anstehende Expertengespräch im Landtag aufbereitet. Sie sei ein eher ungeduldiger Mensch, deshalb hoffe sie, dass das Thema Ombudsstellen "nicht auf die lange Bank geschoben wird", sagte sie den Abgeordneten. Die Grünen nickten ihr zu. Auch sie sind überzeugt davon, dass es unabhängige Ombudsstellen braucht. "Sie dienen dem Ausgleich von strukturellen Machtunterschieden und versuchen in Streitfragen eine gerechte Einigung zu erreichen", heißt es im Landtagsantrag, den die Grünen ursprünglich einreichen wollten. Sie haben ihn am Donnerstag jedoch vorerst zurückgezogen, denn von der CSU kam vor der Sitzung das Signal: Wir sind offen für einen Gedankenaustausch, aber der braucht Zeit. Und wenn ihr den Antrag jetzt einreicht, lehnen wir ihn mit unserer Mehrheit ab.

Der Vorsitzende des Sozialausschusses, Joachim Unterländer (CSU), gibt sich jedoch ergebnisoffen - und das ist im konkreten Fall durchaus nicht selbstverständlich. "Das Sozialministerium ist gegen die Einrichtung von Ombudsstellen in Bayern", sagt er auf Nachfrage. Aus dem Ministerium wird dies bestätigt. Viel sinnvoller sei es doch, die bereits intern bestehenden Beschwerdestellen in den einzelnen Einrichtungen der Jugendhilfe zu optimieren und zu nutzen. "Kindern und Jugendlichen stehen bereits vielfältige Möglichkeiten zur Beschwerde oder zum Eintreten für ihre Rechte zur Verfügung", heißt es. Dieser Meinung schloss sich am Donnerstag auch ein Vertreter des Bayerischen Landkreistages an. "Lohnt sich überhaupt der Aufwand?", lautet seine zentrale Frage.

Dem halten die Grünen entgegen, in einigen Bundesländern gebe es längst positive Erfahrungen mit unabhängigen Ombudsstellen, was eine aus Hessen geladene Expertin im Ausschuss aus eigener Erfahrung bestätigt. "Diese Ombudsstellen sind nicht nur sinnvoll, sondern dringend notwendig", sagt sie.

Ein wesentlicher Grund, warum den neu zu schaffenden Anlaufstellen momentan so viele Bedenken entgegenstehen, nennt das Sozialministerium selbst - das Geld. "Es steht den freien und öffentlichen Trägern der Jugendhilfe ja frei, aus eigenen Mitteln Ombudsstellen innerhalb ihrer Strukturen zu installieren." Dann folgt der entscheidende Satz: "Staatliche Fördermittel im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe stehen hierfür nicht zur Verfügung."

Die Vereinsvorsitzende Beate Frank weiß indes mit der Diakonie und der Caritas einflussreiche Fürsprecher auf ihrer Seite. Zu jenen, die unbedingt unabhängige Anlaufstellen für Heranwachsende haben wollen, gehört jetzt auch der Einrichtungsträger, in dessen Obhut einstmals Richard Sucker schlimme Tage erlebte.

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