Soziales:Armut wird bürgerlicher

Die Zahl der Hilfesuchenden bei Bahnhofsmissionen steigt stetig

Zwei Drittel ihrer Gäste sind von Armut betroffen: Die Bahnhofsmissionen im Freistaat betreuen immer mehr finanziell in Not geratene Menschen. Der Anteil stieg im Vergleich zu 2013 um 16 Prozent. Laut der am Dienstag vorgestellten Statistik hatten die 13 größtenteils ökumenisch geführten Einrichtungen im vergangenen Jahr 260 000 Besucher. Besonders von Mitte des Monats an wird die prekäre Situation vieler Betroffener spürbar. "Dann steigt ihre Zahl deutlich an", sagt Hedwig Gappa-Langer von der Arbeitsgemeinschaft der kirchlichen Bahnhofsmissionen in Bayern.

Den Angaben zufolge wird die Armut in Deutschland "immer bürgerlicher". Viele Menschen, die Hilfe suchten, seien auf den ersten Blick äußerlich nicht auffällig, sagt Michael Lindner-Jung, Leiter der Würzburger Bahnhofsmission: "Eine Scheibe Brot puffert vielleicht die akute Not ab. Mindestens genauso dringend brauchen die Menschen aber Aufmerksamkeit und Wertschätzung." Ein Großteil der Besucher sei arbeitslos oder habe nur eine kleine Rente. Auch Suchtkranke, Einsame, Wohnsitzlose und psychisch Belastete suchten Unterstützung. Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene, die in den Missionen betreut werden, hätten oft keine Perspektive. Ohne familiären Rückhalt, Ausbildung und Wohnung, "haben sie sich ein Stück weit aus dem normalen Leben verabschiedet", so Lindner-Jung: "Aus ihrer Sicht ist die Lage aussichtslos."

In den katholischen und evangelischen Bahnhofsmissionen arbeiten 320 haupt- und ehrenamtliche Helfer. Sie haben der Statistik zufolge im vergangenen Jahr fast eine halbe Million Hilfeleistungen erbracht, darunter neben der Ausgabe von Tee und Brot auch mehr als 50 000 materielle Hilfen. Bahnhofsmissionen als niederschwellige Einrichtung am zentralen Ort Bahnhof müssten oft helfen, wenn andere Einrichtungen die Menschen nicht mehr erreichen, sagt Gappa-Langer. Sie kritisiert auch die Situation in den Einrichtungen: "Die meist ehrenamtlichen Mitarbeitenden haben hier einen äußerst schwierigen Job zu machen und werden Tag für Tag mit existenziellen Problemen konfrontiert." Doch fehle dafür häufig eine angemessene finanzielle und damit auch personelle Ausstattung. "Auch die Bahnhofsmissionen arbeiten vielerorts unter widrigen Bedingungen", so Gappa-Langer.

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