Sozialdemokratie:Vorwärts, links, durch die Mitte - wo geht es für die SPD hin?

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Eine klare Ausrichtung der Partei, in der sich die Grundwerte der SPD wiederfinden, wünscht sich Natascha Kohnen. Genaue Antworten bleibt sie schuldig.

(Foto: imago)
  • In der Bayern-SPD herrscht Unklarheit über den Kurs der Vorsitzenden Natascha Kohnen.
  • Kohnen kündigte etwa einen Linksruck an für die Zeit nach dem Ende der Großen Koalition im Bund.
  • Allein diese Äußerung ließ viele Parteimitglieder ratlos zurück. Manche kritisieren, dass Kohnen dabei im Vagen blieb.

Von Lisa Schnell

Fußballvergleiche sind in der Politik beliebt. Um die Lage der Bayern-SPD zu beschreiben, bietet sich einigen in der Partei folgender an: Es ist ein existenzentscheidendes Spiel. Am Ende der ersten Halbzeit liegt die Mannschaft der SPD weit hinten. Bedröppelt sitzen die Spieler in der Kabine. Sie wissen, gleich müssen sie wieder raus aufs Spielfeld und beweisen, dass sie es besser können. Nur wie?

So etwa könnte man die Gefühlslage in der SPD beschreiben nach der Niederlage bei der Bundestagswahl und vor dem Auftakt zum Landtagswahlkampf. Im Fußball ist das der Moment für eine aufrüttelnde Kabinenansprache des Trainers. In der Politik richten sich die Erwartungen in der SPD an Landeschefin Natascha Kohnen. Klare Worte mit einem Ausrufezeichen wünschen sich viele. Kohnen allerdings hinterlässt zurzeit eher Fragezeichen.

Das fing am 29. September an, als sich der Landesvorstand mit der Niederlage bei der Bundestagswahl beschäftigte. Befreit von der Kompromisslast in der großen Koalition müsse die SPD sich wieder an ihren Grundwerten orientieren, sagte Kohnen, und: "Manche nennen es Linksruck." Seitdem hört man in der Partei die unterschiedlichsten Interpretationen, was das heißen soll.

Der linke Flügel und die Jusos konnten sich darunter durchaus etwas vorstellen. "An die Rente können wir wesentlich mutiger rangehen", sagte etwa der Landtagsabgeordnete Florian von Brunn. Da reiche es nicht, wenn die SPD mit ihrer Forderung zum Rentenniveau nur ein paar Prozentpunkte über der Union liege. Mancher erinnerte an die Agendapolitik. Anstatt nur an kleinen Schräubchen zu drehen, brauche es eine richtige Korrektur.

Andere dagegen konnten nicht nachvollziehen, wie die eh schon linke Bayern-SPD noch weiter nach links gehen soll. Vor allem Bundestagsabgeordnete betonten, dass die Inhalte im Wahlprogramm richtig waren, nur nicht richtig vermittelt worden seien. Es sei ein Fehler, die Leistungen der SPD in der großen Koalition nicht zu berücksichtigen, sagte der Bundestagsabgeordnete Ewald Schurer.

Und auch Landtagsfraktionschef Markus Rinderspacher klang in seiner Analyse des Wahlergebnisses nicht ganz synchron mit der Landeschefin. Nach dem angekündigten Rechtsruck der CSU sehe er einen freien Platz für die SPD in der Mitte, sagte Rinderspacher. Was nun? Mitte oder links? Die Landtagsabgeordnete Isabell Zacharias bietet eine Kompromiss-Interpretation an und zitiert Willy Brandt, gegen den bei der SPD ja niemand etwas haben kann. "Der Mitte der Gesellschaft linke Politik anbieten", das sei laut Brandt die Aufgabe der SPD, sagt Zacharias. Eigentlich aber sei die Diskussion um links oder rechts eher irreführend.

Einige sind mittlerweile besänftigt

Der Münchner Alt-OB Christian Ude hält "das Rezept 'Marsch nach links', ohne dass konkrete Projekte genannt werden" für ziemlich sonderbar. Dass sich Ude während des parteiinternen Findungsprozesses immer wieder öffentlich äußert, stößt bei vielen auf Kritik. Inhaltlich aber findet er seine Unterstützer. Mit der Vokabel "Linksruck" zu hantieren und dann im Vagen zu bleiben, sei vielleicht nicht die beste Strategie gewesen, sagt ein Mitglied. Auch, weil dadurch der Eindruck entstehen könnte, die Bayern-SPD gebe den Anspruch auf, eine Volkspartei zu sein.

Mittlerweile sind einige besänftigt. Sie berichten von einer Fraktionssitzung im Landtag vergangene Woche. Dort habe Kohnen klargestellt, dass sie das mit dem Linksruck anders gemeint habe. Nicht eine stärkere inhaltliche Ausrichtung nach links sei ihr Ziel gewesen, sondern nur eine Verdeutlichung und Betonung linker Positionen. So geben Teilnehmer Kohnen wieder, die eher zu den Skeptikern eines Linksrucks gehören.

Andere berichten, eine klare Aussage, wo die SPD inhaltlich hinsteuern soll in der Landtagswahl, habe es nicht gegeben. Nur zu überprüfen, ob die schon festgelegten Themen Arbeit, Familie und Integration noch ergänzt werden müssten, sei zu wenig, sagt ein Mitglied. Einen Monat nach der Bundestagswahl wünschen sich einige von ihrer Landeschefin konkrete Aussagen, wo es inhaltlich hingehen soll.

Erst sollen "Leitfragen" formuliert werden

Ihre Rede von einer neuen sozialdemokratischen Erzählung, die Politik für die Menschen wieder fühlbar machen soll, ist ihnen zu abstrakt. "Dass eine Wahl nicht nur über Gefühle gewonnen werden kann, haben wir gerade bei der Bundestagswahl erlebt", sagt ein Mitglied. Fällt das Ergebnis für die SPD in Bayern 2018 ähnlich schlecht aus, müsse Kohnen dafür geradestehen. Vor allem, wenn sie als Spitzenkandidatin antritt, was für viele als sicher gilt. Das zu betonen wird man im Lager ihrer Kritiker nicht müde.

Also konkrete Fragen an Landeschefin Kohnen: Was heißt das jetzt, Linksruck? "Ich wollte damit ausdrücken, dass es den Richtungsstreit zwischen der linken und der rechten Volkspartei braucht", sagt Kohnen. Sie wolle eine klare Ausrichtung der Partei, in der sich die Grundwerte der SPD wiederfinden. Und was heißt das inhaltlich? Bevor es um Inhalte gehe, müssten erst "Leitfragen" formuliert werden, sagt Kohnen. Wie definiert die SPD Freiheit? Wie steht sie zur Vorratsdatenspeicherung? Inwiefern trägt unsere Wirtschaftsordnung zu Fluchtursachen bei? Wie stellt sich die SPD den Freihandel vor?

Die Fragen gehen Kohnen kaum aus. Die SPD müsse nun ehrlich zugeben, dass sie auf vieles keine Antwort hatte. Kohnen hat auch noch keine, sie will ihre Fragen aber in die Debatte über die Zukunft der SPD auf Bundesebene einbringen. Wie es in Bayern weiter geht, diskutiert Kohnen am 7. November in München. Titel der Veranstaltung: "Braucht die SPD ein linkes Profil" und dahinter: ein Fragezeichen.

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