Waldkraiburg:"Wer Gastrecht mit Gewalt beantwortet, kann auf Dauer nicht bleiben"

Zu Besuch in der Flüchtlingsunterkunft in Waldkraiburg: Ministerpräsident Markus Söder und Innenminister Joachim Herrmann.

Markus Söder (CSU) sieht sich von den Vorfällen in der Unterkunft in Waldkraiburg in seiner Asylpolitik bestätigt.

(Foto: dpa)

Nach dem Tumult in der Asylunterkunft in Waldkraiburg sitzt ein mutmaßlicher Messerstecher nun in Untersuchungshaft. Beim Besuch der Einrichtung sieht Ministerpräsident Markus Söder sich in seinem Kurs bestärkt.

Von Birte Mensing, Waldkraiburg, und Bernhard Hiergeist

An der Zufahrt zum ehemaligen Berufszentrum in Waldkraiburg stehen Bundespolizisten Spalier, teils sogar auf Pferden, um der bayerischen Regierungsdelegation die Aufwartung zu machen: Ministerpräsident Markus Söder, Innenminister Joachim Herrmann, dazu Marcel Huber, Umweltminister und Landtagsabgeordneter aus dem örtlichen Wahlkreis Mühldorf am Inn. Es nieselt.

Die CSU-Politiker begrüßen die Polizisten mit Handschlag, auch das Sicherheitspersonal. Gleich werden sie mit Vertretern der Regierung von Oberbayern und Lokalpolitikern aus Waldkraiburg hinter einer lederbeschlagenen Tür verschwinden. Dann beraten sie: Was ist los in Waldkraiburg? Was ist los in den Asylunterkünften? Woher die Gewalt, woher der Unmut?

Die Bewohner der Unterkunft dürfen nicht dabei sein. Sie wurden vorher ins Haus geschickt. Söder läuft vorbei an einem Fenster und würde er nun kurz den Kopf wenden, er würde drinnen einige Asylsuchende sitzen sehen, die mit ihren Smartphones nach draußen filmen. Söder wendet den Kopf nicht.

Nachdem die Delegation am Fenster vorbei ist, hören die Asylbewerber auf zu filmen. Im Verwaltungsgebäude geht die lederbeschlagene Tür zu. Einer der Bewerber stellt sich als Mike aus Nigeria vor. Seit einem Jahr, sagt er, wohne er bereits in der Erstaufnahmeeinrichtung. "Das Schlimmste ist, dass man ständig warten muss." Auf Asylbescheide, Transfers in andere Einrichtungen. Zumindest gebe es kleinere Jobs rund um die Einrichtung. Aufräumen, Gärtnerarbeiten, solche Dinge. Dann habe man wenigstens etwas zu tun, sagt Mike, das sei gut. Ob das Nichtstun etwas mit den Vorfällen vom Mittwoch zu tun hat, dazu sagt Mike nichts. Nur: Er selbst habe, wie der Großteil der Bewohner, nichts damit zu tun gehabt.

Was am Mittwoch vergangener Woche passiert ist, davon kursieren Bilder und Videoschnipsel auf sozialen Netzwerken, viele unscharf oder hektisch gefilmt. Viele der Bewohner der Unterkunft in Waldkraiburg haben dokumentiert, wie sich die aufgestaute Wut in einer Explosion entlud. Viel Blaulicht ist da zu sehen, Polizisten in Kampfmontur, Feuerwehrleute. Aus den Fenster an der Aussiger Straße fliegen Gegenstände, große Gegenstände. Manche sehen aus wie Mülleimer, manche wie Feuerlöscher, vielleicht auch Stühle.

Tage später ist langsam klar, was passiert ist: "Erhebliche Unruhen", habe es am Mittwoch bis in die Nacht hinein gegeben, meldete die Polizei, insgesamt fünf Verletzte. Ein 29 Jahre alter Bewohner wurde mit einer Stichverletzung ins Krankenhaus geflogen, immerhin keine Lebensgefahr. Drei weitere Bewohner zogen sich leichte Verletzungen zu, ein Wachmann erlitt eine Schnittwunde am Arm.

Der Vizechef des Präsidiums in Rosenheim sprach von "Gewaltexzessen", vor denen man die friedlichen Bewohner habe schützen müssen. Darum waren immer mehr Polizisten nötig, immer noch ein Einsatzwagen fuhr aufs Gelände, und noch einer. Am Abend waren 150 Einsatzkräfte vor Ort, sogar aus München, Bereitschaftspolizei, Bundespolizei, dazu Krankenwagen, Feuerwehr: Irgendwer hatte dann den Feueralarm ausgelöst, wahrscheinlich absichtlich.

Und der Auslöser des Ganzen? Wohl eine Verfügung der Regierung von Oberbayern: Aus allen Zimmern mussten die Kühlschränke entfernt werden. Brandgefahr.

150 Polizisten wegen ein paar Kühlschränken? Oder ist da mehr?

150 Polizisten wegen ein paar Kühlschränken? Waren die Bewohner in Waldkraiburg einfach nur überaus streitlustig? Oder ist doch etwas dran an dem, wovor Initiativen wie der Bayerische Flüchtlingsrat seit langem warnen: dass die Unterbringung von so vielen Menschen auf engstem Raum Probleme eher verschärft als löst? Für Ministerpräsident Söder auf jeden Fall Anlass genug, selbst in Waldkraiburg vorbeizuschauen.

Nach einer halben Stunde kommen die Politiker nach draußen und wenden sich an die Pressevertreter. Informieren wollte sich der Ministerpräsident. Die Informationen, die er bekam, scheinen ihn in seiner Haltung zur Asyl- und Abschiebepolitik bestätigt zu haben. Sein Fazit: "Wer Gastrecht mit Gewalt beantwortet, kann auf Dauer nicht bleiben." Er fordert darum eine "Asylwende". Denn: "Es kann nicht sein, dass bestehendes Recht kaum angewandt wird", sagt Söder.

Was der Ministerpräsident damit sagen will, ist nicht ganz klar. Denn wenige Meter neben Söder führt dann Innenminister Herrmann aus, wie eben das bestehende Recht im Anschluss an die Tumulte angewandt wurde: Der Mann, der den 29-Jährigen mit dem Messer verletzt haben soll, sitzt in Untersuchungshaft. Für drei weitere wurde Abschiebehaft beantragt. 21 Personen wurden am Freitagabend in andere Unterkünfte im Freistaat verlegt. In solchen Fällen sei das üblich, sagt Herrmann. Die Sicherheitskräfte in der Einrichtung in Waldkraiburg wurden aufgestockt. Während Herrmann spricht, tippt Söder auf seinem Smartphone.

Was soll also passieren? Wieder Söder: Die beiden Probleme in Waldkraiburg seien vor allem Alkohol und fehlende Beschäftigung. Dem wirke allerdings auch der neue Asylplan entgegen. Bewerber sollen nur mehr Sachleistungen bekommen. Nur wer freiwillig wieder geht, bekommt Geld. Außerdem solle es ab kommender Woche 5000 neue Arbeitsmöglichkeiten in bayerischen Unterkünften geben. Hilfsdienste, putzen, Ordnung schaffen.

Helfen sollen auch Rückführungsabkommen mit afrikanischen Ländern, deren Bürger kaum eine Chance auf Bleiberecht haben, und die Ankerzentren, die Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vorsieht. Und im äußersten Fall: die direkte Zurückweisung an der Grenze.

Söder: "Wer anerkannt wird, hat hier beste Chancen, besser als anderswo. Für alle anderen soll es hier auch nicht interessant sein. Es soll sich nicht lohnen, in Bayern Asyl zu beantragen."

Vor der Unterkunft diskutieren Mitarbeiter und Lokalpolitiker, die nicht beim Treffen dabei sein durften, darunter auch Stephanie Pollmann, Anwohnerin und CSU-Landtagskandidatin. "Es ist wichtig, dass die kommen und sich ein Bild machen." Die Anwohner würden so merken, dass sich jemand um ihre Anliegen kümmert. Sie wünscht sich, dass Einrichtungen kleiner werden. Es brauche Geld und passende Räume um eine engmaschigere Betreuung zu sichern.

Pollmann drückt dem Ministerpräsidenten noch einen Brief zu einer Ortsumgehungsstraße in die Hand. Wer weiß, wann sich wieder die Chance ergibt. Dann steigen Söder und Herrmann in ihre Limousinen und brausen davon. Die Unterkunft haben sie nicht angesehen.

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