Skalpell - braucht es nicht:Sezieren mit zwei Fingern

Skalpell - braucht es nicht: Operieren am Handy und am Tablett: In Kempten wird gerade eine App entwickelt, die Studenten, aber auch erfahrenen Ärzten zur Verfügung stehen soll.

Operieren am Handy und am Tablett: In Kempten wird gerade eine App entwickelt, die Studenten, aber auch erfahrenen Ärzten zur Verfügung stehen soll.

(Foto: oh)

Neue App soll Medizinstudenten die Anatomie nahebringen

Von Lisa Schnell, Kempten

Thomas Hesse ist einer von den Medizinern die "hinlangen" wollen, wie er sagt. Jetzt kann er das fast täglich. Der 39-Jährige arbeitet als Chirurg. Im Studium aber hat er Praxisübungen vermisst. In den zwei Jahren, in denen Anatomie auf dem Studienplan steht, können Studenten nur etwa 144 Stunden an einem Kadaver oder an einer Leiche üben, hat sich Hesse ausgerechnet. Bis zu zwölf Studenten stehen da um einen präparierten Arm herum. "Einer schneidet, der Rest schaut zu", erinnert sich Hesse. Auch in der Ausbildung zum Facharzt komme man kaum noch in den Operationssaal, meint Hesse, bis man dann auf einmal alles alleine machen solle. "Je mehr man da geübt hat, desto weniger Komplikationen gibt es", sagt er.

Wie Medizinstudenten öfter "hinlangen" könnten, kam Hesse bei einer anderen Leidenschaft: dem Computerspielen. Eine Grafik, die wundersame Spielewelten detailreich auf den Bildschirm zeichnen kann, müsste doch auch eine Operation simulieren können. Zusammen mit zwei Informatikstudenten aus Kempten entwickelte er eine App, mit der das möglich sein soll. Hesse deutet auf einen Bildschirm, und auf dem ist ein Unterschenkel abgebildet. Zieht man über ihm Zeigefinger und Daumen auseinander, wird der Blick frei auf die Haut-und Muskelschichten - der erste Schnitt einer Operation. Für Medizinstudenten ist die App, die auf allen Handys und Tablets funktioniert, die "Leiche to go", sagt Hesse. Assistenzärzte könnten mit ihr Operationen üben, die sie später selbst durchführen müssen. Doch auch für Spezialisten sei die App nützlich. Die könnten das Bild einer Computer-Tomografie ihres Patienten auf dem Schirm dreidimensional betrachten und dort etwa die anstehende Knieoperation üben. So stoßen sie eventuell bereits auf Komplikationen, die sie sonst erst im OP bemerkt hätten.

Bis es aber so weit ist, dauert es noch. Ende 2015 soll eine Version erhältlich sein, bei der digital am Unterschenkel operiert werden kann. Sie müssten von den Nutzern etwa fünf Euro pro Stunde verlangen, um die Ausgaben zu decken, sagt Hesse. Um einen ganzen digitalen Menschen in der App präsentieren zu können, brauche es sehr viel mehr Geld. Etwa 20 Leute müsste Hesse beschäftigen, jetzt sind es mit ihm vier. Dafür reicht die Förderung, die sie derzeit für ihr Projekt vom Freistaat Bayern bekommen, aber nicht aus. Hesse ist deshalb auf der Suche nach Universitäten, die bei der Finanzierung mit einsteigen.

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