Sicherheit:Im vermeintlich sicheren Bayern wird rund um die Uhr eingebrochen

Einbruchskriminalität

Nur 15,9 Prozent der Einbruchsfälle werden aufgeklärt.

(Foto: Silas Stein/dpa)
  • Mit den Wintermonaten geht die Einbrechersaison richtig los.
  • Mehrere Fälle pro Stunde gibt es nach Schätzungen im Freistaat.
  • 2015 zählte das Landeskriminalamt 59 Einbrüche pro 100 000 Einwohner, nur 15,9 Prozent davon werden aufgeklärt.

Von Johann Osel

Um eine Burg handelt es sich bei dem Einfamilienhaus im Ostallgäu definitiv nicht; aber ein bisschen hat Anton Sommer recht, wenn er "My home ist my castle" sagt, sein Heim also als Burg sieht, als "Schutzzone". Und wenn er berichtet, dass dieses Gefühl schlagartig weg gewesen sei. Im vierten Jahr wohnt der junge Lehrer mit Frau und Kindern in der Siedlung bei Marktoberdorf, schickes Neubaugebiet, Landidylle, freier Blick vom Wohnzimmer aus. Vor dem einen Fenster tollt die Dorfjugend auf dem Bolzplatz im Regenmatsch, das andere Fenster führt zum Garten, drei Enten haben sich aufs Grundstück geschlichen.

Drinnen, wo Kaffeeduft durchs Haus zieht und sich die Mädchen über Malbücher beugen, erzählt Sommer, wie Eindringlinge in die Idylle stießen. Einbrecher haben im Büro die Scheibe eingeschlagen, das Haus systematisch abgegrast, "da flog die Unterwäsche aus dem Schrank". Das bisschen Bargeld, das dann fehlte, der Silberschmuck und die Uhren - egal. Anders als der Verlust des Sicherheitsgefühls. "Dafür baut man ja für seine Familie, damit man einen Rückzugsraum hat." Quasi nebenan waren die Sommers zur Tatzeit, einem späten Nachmittag, sie waren bei den Großeltern zum Kaffeetrinken. "Was wäre, wenn wir da daheim gewesen wären, mit den Kindern"?

Solche Fragen stellt sich nicht nur Herr Sommer, der in Wirklichkeit anders heißt. Sondern sie sind Thema in vielen Haushalten, mit den Wintermonaten geht die Einbrechersaison richtig los. Mehrere Fälle pro Stunde gibt es nach Schätzungen jetzt im Freistaat. Für 2016 prognostiziert das Landeskriminalamt Zahlen auf Niveau des Vorjahres. 2015 zählte man statistisch 59 Einbrüche pro 100 000 Einwohner. Am stärksten wurden die Städte Passau und Regensburg sowie der Landkreis Ebersberg heimgesucht. Es sei bundesweit "das geringste Risiko, Opfer eines Einbruchs zu werden", sagte neulich Innenminister Joachim Herrmann (CSU), in Nordrhein-Westfalen gebe es ja 354 Fälle pro 100 000 Einwohner, auch sei die Zahl im Vergleich zu 2014 gesunken.

Davor war sie allerdings hochgeschnellt. Und mag auch ein Deutschland-Vergleich der bayerischen Law- und Order-Seele schmeicheln, hilft das den Bürgern kaum. Eine andere Zahl beunruhigt noch mehr: 15,9 Prozent, die Aufklärungsquote. Das Thema birgt gesellschaftlich Sprengstoff. Es geht weniger um Ketten und Ringe, Geld und Handys, Verwertbares wie Motorsägen (immer beliebter), um Kunst oder Krempel. Es geht um das Gefühl von Unsicherheit. Wer Angst hat, ist anfällig für simple Lösungen. Man werde "im Kampf gegen Wohnungseinbrecher nicht locker lassen", so Herrmann, und erhöhe "den Fahndungsdruck auf kriminelle Banden deutlich".

Was stimmt. Zum Beispiel mit der Software namens "Precobs", die in München und Nürnberg im Einsatz ist und womöglich ausgeweitet wird. Tatorte werden eingetragen mit Details - Art des Hauses, Beute, Anfahrtswege; rote, grüne, gelbe Kacheln ermitteln das Risiko. Man kann verstärkt Bürger in den Vierteln aufklären, öfters Streife fahren. Wunsch: Schon vorher wissen, wo Einbrecher zuschlagen. Oder durch Großaktionen. Ende Oktober starteten Polizisten aus den südlichen Bundesländern eine dreitägige Offensive, meist auf überregionalen Verkehrsrouten. In Unterfranken schnappten sie vier bekannte Einbrecher, gegen einen lag Haftbefehl vor. Die Polizei fand im Wagen einen Zettel mit Adressen, die bekannte Tatorte waren.

Im Grunde tun Fahnder bei Großaktionen nichts anderes als Schleierfahndung täglich im Kleinen. Raubling bei Rosenheim, Autobahnauffahrt, das Inntal-Dreieck nicht weit. Draußen donnert der Verkehr der A8, in der Dienststelle neben der Autobahnmeisterei sitzt Herbert Baumann. Er hat starke Ähnlichkeit mit dem Schauspieler Miroslav Nemec, ist aber nicht Tatort-Kommissar, sondern Chef der Dienststelle. Dort, wo die Fäden der Schleierfahndung zusammenlaufen. Seinen Teams gehen manchmal einige Einbrecher pro Tag ins Netz, dann ist eine Woche Flaute.

Die Opfer wissen oft noch gar nicht, dass bei ihnen eingebrochen wurde

"Man darf sich keine Illusionen machen." Im Vernehmungsraum herrscht aktuell jedenfalls Leere. "Verdachtsunabhängige Kontrollen", wie es so schön heißt, machen sie hier. Es geht oft um Transport von Einbruchsgut. In diesem Jahr habe man eine "Steigerung von Aufgriffen", die Einbrüchen zuzuordnen sind, so Baumann; darüber hinaus stößt man auf Drogen oder Waffen. Nach Aufgriffen folgen Ermittlungen, etwa die Zuordnung, woher ein Laster mit Laptops stammt. Fehler hier schmälern die Chance auf Verurteilungen.

"Wenn wir Diebe aufgreifen, wissen die Opfer oft noch gar nicht, dass bei ihnen eingebrochen wurde", sagt Baumann. Einmal haben sie einen Laster mit einer kompletten Band-Ausrüstung aufgegriffen, Instrumente, Verstärker, Boxen. Da die Fahrer auf Nachfrage "kein musikalisches Wissen vorweisen konnten", waren sie verdächtig. Der ermittelte Besitzer sagte am Telefon, das Zeug stehe bei ihm in der Garage. Stand es längst nicht mehr. Dieben und Hehlern wollen sie die Wege abschneiden, auch internationale, so mancher Raubzug endete in Raubling. Es geht aber auch darum, Einbrecher in der Region "auf frischer Tat zu ertappen". Kürzlich kam es an einem Wochenende allein in Rosenheim zu neun Einbrüchen. Wer sind die Täter? Die berüchtigten rumänischen Banden? "Den Einbrecher gibt es nicht", sagt Baumann. Laut Bayern-Statistik sind unter den Tatverdächtigen 45 Prozent Ausländer. Die größte Gruppe sind allerdings Rumänen.

In Marktoberdorf hat man die Täter nicht erwischt. Die Polizei hatte den Sommers keine großen Hoffnungen gemacht, die Spurensicherung fand keine Fingerabdrucke - in der Wiese nebenan aber Reifenabdrücke. Familie Sommer hat das erste Haus neben der B 12, die Täter sind wohl von der regionalen Verkehrsader gekommen, um schnell wieder zu fliehen. Nicht nur bei diesem Haus war das so, eine ganze Serie an Einbrüchen in der Siedlung. Ein klassisches Ziel: ein Dorf mit Kirche und Maibaum in der Mitte, viele Einfamilienhäuser, direkt an der Bundesstraße.

15,9 Prozent

Aufklärungsquote bei Wohnungseinbrüchen registrierte das LKA zuletzt. Das ist nur marginal besser als der deutschlandweite Schnitt. Kriminologischen Untersuchungen zufolge wird bundesweit nur in 2,6 Prozent der Fälle der Täter auch verurteilt. Ein zur Rechenschaft gezogener Täter kann laut Experten Einbruchsopfern helfen, das Verbrechen besser zu verarbeiten.

Vor ein paar Wochen haben Polizei und der Verein "Kuratorium Sicheres Allgäu" zu einer Info-Veranstaltung in Marktoberdorf geladen. Am Andrang "ließ sich erahnen, wie das Thema die Menschen beschäftigt", notierte die Lokalzeitung. Tipps gab es zuhauf: Absperren, nie Fenster gekippt lassen, bessere Fenster, womöglich Alarmanlagen, Schockbeleuchtung! Im Foyer konnten die Bürger an einem Stand probieren, wie schnell mit dem Schraubenzieher ein Fenster aufzuhebeln ist, in Sekunden. Ein Mann fragte, ob er sich mit dem Baseballschläger auf die Lauer legen dürfe. Auch Sommer war anwesend. Und aufgerüstet hat der Lehrer, mit einer Alarmanlage.

Die Polizei berät zum besseren Schutz, sie hat eigene Beamte dafür. Bei der Kripo Rosenheim ist Hauptkommissar Wolfgang Moritz zuständig. Mit ihm können Bürger einen Termin vereinbaren, er inspiziert dann Fenster, macht Vorschläge. Dieses Jahr hatte er schon 400 Termine, Rekord. Sein Credo: "Einbrecher brechen ein, wenn es leicht geht. Länger als drei Minuten hält sich keiner auf." Beamte wie Moritz haben auch eine pädagogische Aufgabe. Er macht Rollenspiele, wie man sich verhält bei Einbrechern im Haus. "Nicht Maus spielen, sondern die Polizei rufen und Lärm machen! Normale Einbrecher wollen keinen Kontakt." Moritz kann auch vom Leid der Opfer berichten, von panischer Angst. Beim Weißen Ring, der Opfer-Organisation, heißt es: Bis zu 20 Prozent litten langfristig unter Belastungen. Bei jedem Achten stehe ein Umzug zur Debatte.

Familie Sommer hat den Einbruch halbwegs gut verarbeitet, im Dorf ist man nun wachsam: Nachbarn schreiben sich schon mal Autokennzeichen auf; fremde Männer auf den Straßen, ein Zeitungsreporter aus München zum Beispiel, werden skeptisch beäugt. Und bei den Sommers piept es jetzt eben, machte sich einer am Fenster zu schaffen. Die Alarmanlage hat das Fünffache der gestohlenen Sachen gekostet, der Familienvater sagt: "100 Prozent Schutz gibt es nie. Aber das Gefühl von mehr Sicherheit ist kaum zu bezahlen."

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