Sexberaterin für Senioren:Liebe rostet nicht

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Erotik im Alter ist ein häufig tabuisiertes Thema. Hedy Fuchs-Waldherr ist 65, Sexberaterin für Senioren, und spricht auf Messen ohne Hemmungen über ein Thema, über das viele Menschen lieber schweigen.

Laura Bohlmann

Es ist ein ungewöhnliches Bild, das sich an diesem Nachmittag in einem Geschäft in der Münchner Innenstadt bietet. Zwei nicht mehr ganz junge Damen nehmen unter der Anleitung einer dritten, Hedy Fuchs-Waldherr heißt sie, Produkt für Produkt sorgfältig in Augenschein. Das Ungewöhnliche daran: Es handelt sich bei dem Geschäft um einen Sexshop.

"Es gibt so viele Hemmschwellen", klagt Hedy Fuchs-Waldherr. Sie möchte dazu beitragen, dass sich das ändert. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Gerade betrachtet Fuchs-Waldherr zwei kleine lilafarbene Kugeln in ihrer Hand, die den relativ eindeutigen Namen "Loveballs" tragen. Ohne Hemmungen und als ob es sich um einen Alltagsartikel aus dem Drogeriemarkt handeln würde, erklärt sie ihren zwei Begleiterinnen, wie sich Frauen mit den Liebesbällen Lust verschaffen können.

Für Hedy Fuchs-Waldherr ist es ein ganz normaler Arbeitsnachmittag. Die 65-Jährige ist Sexberaterin für Senioren. Sie möchte Mut machen und aufklären über ein Thema, das häufig tabuisiert wird. Sie tut das gerne auch auf ungewöhnliche Art und Weise. Wie hier, wo sie ihren Klientinnen Heidi und Renate - beide möchten ihren Nachnamen lieber nicht nennen, und fotografiert werden möchten sie auch nicht - unverblümt jedes Spielzeug erklärt, welches in den Regalen auf einen neuen Besitzer wartet.

Die lilafarbenen Kugeln etwa seien für die Dame. An der richtigen Stelle getragen, könnten Frauen sich damit stimulieren. "Es gibt sie auch mit Fernbedienung, die könnt ihr eurem Partner geben", sagt Hedy und schmückt das noch phantasievoll aus. Ganz direkt spricht die Beraterin über das Liebesspiel und entsprechende Spielzeuge, deren bloßer Anblick viele Menschen bereits erröten lässt.

Renate und Heidi schauen dementsprechend skeptisch bei dieser Erklärung. "Verrückt", raunt Renate. Die Frauen sind sichtlich schüchtern. Sie trauen sich nur zaghaft, von den Dingen zu sprechen, um die es hier geht. Zögernd nähern sie sich den Objekten in den Regalen.

"Locker und glaubwürdig"

"Sehen Sie, das meine ich. Es gibt so viele Hemmschwellen, dabei ist Sex doch etwas ganz Natürliches", sagt dagegen Hedy Fuchs-Waldherr. Sie schüttelt den Kopf über diese Zurückhaltung. Dann schreitet sie an den Regalen entlang und nimmt einen Dildo in die Hand. Er ist weiß, mit Rosen bedruckt und sieht nicht so erschreckend aus wie die unnatürlich großen Teile aus der Hardcore-Abteilung.

Die Sexberaterin hält den rosenverzierten Dildo in der Hand und erklärt in gut vernehmbarer Lautstärke, was die Damen damit anstellen könnten. Die zwei verstecken verschämt ihre Köpfe hinter den Regalen mit den Porno-Heften.

Renate und Heidi sind 55 und 59 Jahre alt, beide kennen die Sexberaterin schon länger. Heidi hat sie auf der Messe "Die 66" kennengelernt. Auf der Seniorenmesse hielt Hedy Fuchs-Waldherr einen Vortrag. Sie sprach von Problemen im Schlafzimmer der älteren Menschen, was sie gegen knackende Hüftgelenke machen können. Und eben auch darüber, was zu tun ist, damit beide Partner sich wohl fühlen im Bett.

"Sie war so locker und glaubwürdig, es hat Spaß gemacht, ihr zuzuhören", erzählt Heidi. Das habe sie gleich fasziniert an der 65-Jährigen. Heidi selbst ist eine attraktive Frau, groß und schlank, wache Augen. Aber sie ist ein völlig anderer Typ, zurückhaltend, sie drängt sich nicht vor oder prescht mit einem Anliegen los, wie es die Beraterin tut.

Das gehört für Hedy Fuchs-Waldherr nun einmal dazu. Ihr geht es darum, Hemmschwellen abzubauen. "Wir tun immer so aufgeklärt, aber wenn ich mit Menschen spreche, merke ich, dass die meisten wenig über ihre eigene Sexualität wissen und sich scheuen, mit jemandem offen über ihre Bedürfnisse und Probleme zu sprechen", sagt sie. Fuchs-Waldherr hat eine Internetseite eingerichtet, auf der Kunden sie als Beraterin buchen können. Sie bietet Paar- und Einzelgespräche, Seminare oder Touren durch den Sex-Shop an.

Der Sexualforscher Götz Kockott findet es gut, dass Hedy Fuchs-Waldherr ihren Klienten Mut machen möchte, offen über Sexualität zu sprechen. Kockott ist Facharzt für Sexualmedizin und Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung. In seiner Praxis in München erlebt er häufig ältere Patienten mit den immer gleichen Problemen. "Frauen wissen oft nicht, wie sie ihrem Partner sagen können, was sie mögen und was nicht", sagt er, "und bei Männern gibt es im Alter meist Schwierigkeiten mit der Erektion."

Wichtig ist es, so Kockott, dass entsprechende Beratungen im richtigen Kontext stattfinden. "In großen gemischten Gruppen bleibt das Thema an der Oberfläche, in Einzel- oder Paargesprächen kann viel mehr gelöst werden", meint er.

Fuchs-Waldherr macht ihre Führung durch den Sex-Shop in der Regel mit fünf bis sechs Frauen. "Ladys" - wie sie sie nennt, auch wenn vielleicht nicht jede diese Ansprache schätzt. An diesem Nachmittag sind nur Heidi und Renate gekommen. Das könnte die Runde intimer machen.

Trotzdem spricht die Beraterin so laut bei ihren Erläuterungen, dass andere Kunden im Laden aufmerksam werden. Ein junger Mann stellt sich neugierig neben Renate, als Fuchs-Waldherr Vor- und Nachteile verschiedener Gleitgels erklärt. "Lasst euch beim Liebesspiel Zeit, kuschelt, lest euch vor, Sex ist kein Leistungssport", sagt sie. Das betont sie immer wieder während der zweistündigen Tour durch den Laden.

Rote Lippen, enges Shirt

Die Beraterin fällt nicht nur auf mit dem, was sie sagt, sondern auch durch ihr Aussehen. Andere Frauen mögen sich in dem Alter lieber in dezenten Farben kleiden und sich zurückhaltend schminken, das macht sie nicht: Die Haare sind blond gelockt, Lippen und Fingernägel knallrot lackiert, an diesem Tag ist sie schwarz gekleidet, trägt ein enges T-Shirt zum langen Spitzenrock und eine baumelnde Kette im braun gebrannten Dekolleté.

In der rechten Hand hält sie eine schwarze Ledertasche, die wie ein Aktenkoffer aussieht. Wie sie so vor den Regalen steht und mal Dessous, Dildos oder Kondome in der Hand hält, könnte sie auch eine Verkäuferin sein.

Ich spreche so laut, weil ich möchte, dass mich jeder versteht", erklärt Fuchs-Waldherr, als sie nach ihrer Tour in einem Café mit Renate und Heidi etwas trinkt. Dabei erzählt sie auch, wie sie zu ihrer selbst gewählten Aufgabe kam. Zuvor sei sie lange als Unternehmensberaterin in der ganzen Welt unterwegs gewesen. "In meinem Job habe ich früh gelernt, wie wichtig ein funktionierendes Privatleben auch für den Beruf ist", sagt sie.

Irgendwann landete sie in München, und in der Stadt sei ihr aufgefallen, dass einige Menschen ganz schön grantig gewesen seien. "So habe ich mein erstes Seminar angeboten: Lachen Sie sich glücklich."

Zunehmend habe sie gemerkt, welch wichtige Rolle die Partnerschaft beim Thema Glück spiele. Und wenn sie genau nachgefragt habe, sei es eben oft auch auf das nächste Thema, Sex, hinausgelaufen. "Aber viele wagen nicht auszusprechen, was ihnen fehlt oder welche Bedürfnisse sie haben", ist die Beraterin sicher.

Renate und Heidi nicken zustimmend bei diesen Worten. "Mit meinem Ehemann war das nie ein Thema. Inzwischen sind wir geschieden", erzählt Renate. Sie spricht leise und ernst. Eine Freundin hat sie einst zu einem Vortrag von Fuchs-Waldherr mitgenommen. "Sie hat mir Mut gemacht", sagt Renate. Inzwischen hat die 55-Jährige wieder einen Freund. "Mit ihm rede ich über meine Bedürfnisse." Hedy Fuchs-Waldherr lächelt, als sie das hört.

© SZ vom 07.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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