Oberfranken:Selb wehrt sich gegen die Teilzeit-Polizei

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Hans-Joachim Goller führt den Protest gegen die Schließung an. (Foto: Katja Auer)
  • In Selb soll die Polizeiwache künftig nur noch tagsüber besetzt sein.
  • Die Polizeiinspektion soll geschlossen und in die im 25 Kilometer entfernten Marktredwitz integriert werden.
  • Die Bürger in der kleinen Gemeinde wehren sich mit allen Mitteln gegen die Pläne.

Von Katja Auer, Selb

Beim zweiten Mal hat Elli Netzsch schon so was geahnt. Die Tür, das Schloss, irgendwie kam ihr das komisch vor an jenem Morgen im März. "Da hab ich gleich die Polizei gerufen", sagt sie. Tatsächlich waren in der Nacht Einbrecher in ihrer Drogerie in Selb im Landkreis Wunsiedel. Schon wieder, erst drei Monate vorher hatten ihr Diebe den Laden leergeräumt. "Nur die teuren Sachen", sagt Elli Netzsch, "das waren Profis." Jetzt stehen Parfüm und Cremes wieder in den Regalen und zwischendrin die Chefin, die nicht besonders ängstlich wirkt.

Trotzdem fürchtet sie um die Sicherheit in der kleinen Stadt im Fichtelgebirge. Denn im September soll die Polizeiinspektion geschlossen und in jene im 25 Kilometer entfernten Marktredwitz integriert werden. In Selb bleibt eine Wache, die an Wochentagen von 6 bis 22 Uhr und am Wochenende von 8 bis 18 Uhr mit zwölf Beamten besetzt sein soll. Danach kann man sich per Videoschaltung an der Tür an die Kollegen in Marktredwitz wenden. Außerdem wird in Selb eine zivile PI Fahndung installiert, die sich um die grenzüberschreitende Kriminalität kümmern soll. Eine Neuorganisation, die die Polizei deutlich leistungsfähiger mache, sagt Innenstaatssekretär Gerhard Eck (CSU). "Effektiver, effizienter und bürgernäher."

Eine Sparmaßnahme, bei der die Selber um ihre Sicherheit fürchten, sagt Hans-Joachim Goller, der den Widerstand gegen die Schließung organisiert. "Dass sie uns das als Verbesserung verkaufen wollen, ist einfache dreist." Deswegen protestieren sie.

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Im Frühjahr haben 1000 Menschen demonstriert, das passiert in Selb nicht oft. 6000 Unterschriften wurden gesammelt, Petitionen an den Landtag verfasst, Briefe geschrieben. Politiker, Hoteliers, Kirchenvertreter protestierten. Ein Aufstand, wie es ihn in Bayern noch nie für die Polizei gegeben hat. Vergebens. Die Schließung ist beschlossen. Jetzt schicken die Leute Postkarten an Ministerpräsident Horst Seehofer, vorgedruckt, mit der Bitte um den Erhalt der Polizeiinspektion. 750 sind nach Angaben der Staatskanzlei bisher angekommen. Goller hofft sehr auf Seehofer, der habe schließlich schon öfter einen Beschluss einkassiert, wenn die Bürger dagegen waren. Und in Selb sind viele dagegen.

Das Städtchen im Nordosten von Oberfranken hat mit der Porzellanindustrie einen Aufschwung und Jahrzehnte später einen harten Niedergang erlebt. Selb hat heute 10 000 Einwohner weniger als zu seinen besten Wirtschaftswunderzeiten und nur noch einen Bruchteil der Arbeitsplätze, auch wenn neue in anderen Branchen wie der Kunststoffindustrie und bei Autozulieferern entstanden sind. Auch als Touristenziel versucht sich Selb zu etablieren, das wunderbare Porzellanikon, das Museum in einer historischen Porzellanfabrik, zieht immer mehr Besucher an.

Dennoch schrumpft und altert die Stadt unaufhaltsam. Mehr als die Hälfte der 15 000 Einwohner ist älter als 50 Jahre, ein Drittel älter als 65. Gerade jene hätten Angst, dass die uniformierten Polizisten aus dem Stadtbild verschwänden, sagt Hans-Joachim Goller. Er nennt die Polizei einen Standortfaktor.

Nun ist Selb nicht gefährlicher als vergleichbare Städte, ohnehin passiert in Oberfranken der Kriminalstatik zufolge deutlich weniger als im bayerischen Durchschnitt. 3938 Straftaten verzeichnete die Polizei im Landkreis Wunsiedel im vergangenen Jahr, ohne die Verstöße gegen das Ausländerrecht. Im Landkreis München sind es dreimal so viele. Und wer durch Selb läuft, muss nicht fürchten, gleich die Handtasche entrissen zu bekommen.

Aber darum geht es Goller auch gar nicht. Es ist diese gefühlte Sicherheit, die dadurch bestätigt werde, dass Polizisten da sind. Sichtbar. Das sollen sie auch bleiben, das beteuern sowohl das Innenministerium wie auch das Polizeipräsidium Oberfranken, sogar mehr als vorher. 57 Beamte, inklusive der Fahnder, sollen dann ihren Dienstsitz in Selb haben, 65 in Marktredwitz. Indes, man glaubt es nicht in Selb, schon jetzt seien schließlich nicht alle Stellen besetzt. "Ich fürchte, dass es sich herum spricht, wenn die Polizei ganz weg ist", sagt Elli Netzsch und dann werde Selb zum attraktiven Ziel für Einbrecher.

Die Stadtgrenze ist auf zwölf Kilometern Länge identisch mit der Landesgrenze zu Tschechien und auch wenn man sich in dieser Gegend um eine gute Nachbarschaft bemüht, so sind die Grenzen doch nicht nur für all das Gute, sondern auch für das Böse offen. Aus den Crystal-Küchen in Tschechien schwappt das Gift nur so herüber nach Oberfranken und mit den Drogen steigt die Beschaffungskriminalität. "Deswegen macht eine PI Fahndung Sinn", sagt Winfried Neubauer, der Kreisvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei.

Die Drogerie von Elli Netzsch ist schon zweimal von Einbrechern heimgesucht worden. Ohne Polizei, fürchtet sie um ihre Sicherheit. (Foto: Katja Auer)

So eine in Selb einzurichten, sei eine gute Sache, diese aber mit der altbewährten Polizeiinspektion quasi zu verrechnen, "das ist nicht in Ordnung". Viele Kollegen seien ebenfalls skeptisch, sie dürften es nur nicht sagen. Auch er vermutet Augenwischerei. "Da geht es nicht um ein optimiertes Sicherheitskonzept", sagt er, "da geht es um knallharte Personaleinsparung."

Zwar würde die Wache in Selb anfangs bestimmt ausreichend besetzt sein, aber irgendwann, wenn die Aufmerksamkeit etwas nachlässt, werde mal eine Stunde früher zugesperrt. Und dann noch eine. Spätestens dann, wenn die Beamten fehlen. Neubauer, selbst Polizist in Marktredwitz, versteht die Bedenken der Leute in Selb. "Die fühlen sich zurückgesetzt", sagt er.

Genau das will Hans-Joachim Goller nicht akzeptieren. Er schreibt regelmäßig an den Innenminister und an den Ministerpräsidenten und weil er selbst ein Sozi ist, wie er das nennt, und lange in der Kommunalpolitik aktiv war, gibt er so schnell nicht auf. Er erinnert an die gleichwertigen Lebensbedingungen, die die Staatsregierung im gesamten Freistaat schaffen will und dazu passe ja wohl nicht, dass ausgerechnet Selb im strukturschwachen Grenzgebiet die einzige Große Kreisstadt Bayerns ohne eigene Polizeiinspektion sein werde.

Marktredwitz ist zwar Nachbarstadt, aber nicht eng verbunden, geschweige denn richtig nah dran. Bis zur Drogerie von Elli Netzsch bräuchten die Polizisten aus Marktredwitz eine halbe Stunde, vielleicht ein paar Minuten weniger über die Autobahn. Da ist man schneller in Tschechien.

© SZ vom 08.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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