Seilbahnunglück im Allgäu:Der Gondelführer wird zum Held der Nacht

17 Stunden mussten die 20 Insassen in der havarierten Seilbahn am Tegelberg ausharren, bis sie gerettet wurden. Gondelführer Jörg Mähr sorgte dafür, dass keine Panik ausbrach. Schilderungen einer dramatischen Nacht.

Ralf Tögel

Das Panorama könnte malerischer kaum sein: Links der Tegelberg mit seiner schroffen Gipfelwand, rechts der Säuling mit seinem mächtigen Felsrücken. Dazwischen eingebettet in dichten Bergwald Schloss Neuschwanstein, weiter rechts Schloss Hohenschwangau. Der Sonnenaufgang in dieser Kulisse ist ein ganz besonderes Erlebnis.

Bergung der Gondel-Insassen im Allgäu erfolgreich beendet

Die Bergung der Gondel-Insassen im Allgäu: Nach 17 Stunden hatten die 20 Insassen wieder festen Boden unter den Füßen.

(Foto: dapd)

Am Samstagmorgen allerdings dürften die 20 Menschen, die etwa hundert Meter über dem Erdboden trotz ihres exponierten Aussichtsplatzes dafür keinen Blick gehabt haben. Sie saßen seit fast 17 Stunden in einer zwölf Quadratmeter kleinen Gondeln der Tegelbergbahn fest, die knapp unterhalb der letzten Stütze vor der Bergstation etwa einhundert Meter über dem Erdboden hängengeblieben war.

Am Freitag kurz nach 13 Uhr hatte sich ein Tandem-Gleitschirm im Tragseil und dem darüber verlaufenden Rettungsseil der Tegelbergbahn verheddert. Der Pilot, 54, und sein Passagier, ein 35-jähriger Reporter des Bayerischen Rundfunks, konnten kurz darauf mit einem Rettungshubschrauber geborgen werden. Aber bei der Seilbahn lief nichts mehr. "Wenn das Rettungsseil das Tragseil berührt, schaltet die Bahn automatisch ab", sagt Franz Bucher, der Geschäftsführer der Tegelbergbahn. Aus der zweiten Gondel, die weiter unten in Talnähe zum Stillstand gekommen war, konnten 30 Passagiere über 70 Meter abgeseilt werden.

Die Bergung der 20 Menschen in der oberen Gondel gestaltete sich sehr viel schwieriger. 80 Bergretter bereiteten sich auf das Abseilen der Personen aus der Gondel vor, was in dem steilen Gelände aber nur eine Notlösung gewesen wäre. Die Bergungsversuche der Hubschraubern mussten wegen der Dunkelheit und der schlechten Windverhältnisse eingestellt werden. Nun war klar, dass die Passagiere - der jüngste vier, der älteste 75 Jahre alt - die Nacht in ihrem engen Gefängnis verbringen müssten.

Zum Pinkeln eine kleine Luke

In dieser Situation wurde der Polizeibeamte Jörg Mähr, 37, zum Helden der Nacht. Er hilft seit 17 Jahren bei der Tegelbergbahn als Gondelführer aus. Er beruhigte die Passagiere, machte ihnen klar, dass sie nicht in Gefahr seien, und organisierte die praktischen Notwendigkeiten des Zwangsaufenthalts. "Die Leute haben sich im Kreis an der Außenwand hingesetzt", berichtete Mähr. Zum Glück war die 44 Personen fassende Godel nur zur Hälfte besetzt.

Wer pinkeln musste, konnte eine kleine Luke in der Bodenfläche benutzen, während sich alle anderen Fahrgäste abwandten. Ein Bergwachtmann, der sich mit einem Seilfahrgerät von der Bergstation abseilte, brachte Getränke, Müsliriegel, Decken und Malbücher für die sechs Kinder an Bord. "Die Kinder sind aber schnell eingeschlafen", berichtete Mähr. Auf einer Plattform auf dem Stützpfeiler der Bergbahn harrte die ganze Nacht ein Notarzt aus, um im Notfall schnell Hilfe leisten zu können.

Um sechs Uhr morgens konnte endlich die Bergung beginnen. Abwechselnd brachten sich die Polizeihubschrauber Edelweiß 1 und Edelweiß 7 in eine Position genau überhalb der Gondel und holten über eine Seilwinde die Fahrgäste an Bord. Kein einfaches Manöver - "man steht in solchen Situationen immer unter mentalem Druck", sagte Maximilian Kolbeck, 33, Pilot der Hubschrauberstaffel Bayern. Der Flugtechniker müsse die Winde bedienen und gleichzeitig den Piloten mit kurzen, prägnanten Anweisungen richtig positionieren.

Aber es ging alles glatt. Um 7.56 Uhr landete der Hubschrauber mit dem Gondelführer Jörg Mähr an Bord, der die Gondel als Letzter verlassen hatte. Noch während die letzten Touristen mit dem Hubschrauber ins Tal geflogen wurden, trat Roland Ampenberger, Sprecher der Allgäuer Bergwacht, vor die Kameras: "Alle Passiere sind wohlauf, es war ein sehr ruhiges und besonnenes Arbeiten." Mit dem Satz "Tee für alle" beendete Ampenberger die spektakuläre Rettungsaktion.

Ermittlungen gegen den Piloten

Nachdem alle Touristen in Sicherheit waren, richtete sich das Interesse schnell auf die Ursachenforschung. Für Franz Bucher, den Geschäftsführer der Tegelbergbahn, gab es keinen Zweifel daran, dass der Pilot des Gleitschirms die Verantwortung trägt. "Jeder Pilot weiß, dass er von der Seilbahn weg oder parallel losfliegen muss", sagte Bucher. "Wir sind der beste Berg für solche Flüge, aber das war grob fahrlässig." Dass niemand zu Schaden gekommen sei, war nach Buchers Ansicht keineswegs selbstverständlich. "Die haben ein Riesenmassel, dass sie noch leben", sagte er über die Gleitschirmflieger.

Gegen den Piloten ermittelt die Polizei in Füssen wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung und des gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr. Nach den allgemeinen Vorschriften für den Luftverkehr müssen Gleitschirme und Drachenflieger horizontal und vertikal mindestens 50 Meter Abstand zu Seilbahnkabeln einhalten. Am Tegelberg gelten lokale Sondervorschriften - hier werden mindestens hundert Meter Abstand gefordert, weil die Zugseile weit durchhängen.

Der Pilot sei noch am Freitagnachmittag vernommen worden, teilte die Polizei mit; ob er Angaben machte, ließ sie offen. Mit einem Ermittlungsergebnis sei erst in mehreren Wochen zu rechnen. Der Gesamtschaden beläuft sich nach Polizeiangaben auf rund 80 000 Euro. Um die verhedderten Gleitschirmseile aus den Seilbahnkabeln zu lösen, musste am Samstag ein Spezialist der Herstellerfirma aus Italien anreisen. Es gelang ihm, die Kabel wieder freizumachen. Am Montag gab der TÜV den Seilbahnbetrieb wieder frei. Ralf Tögel, dpa, dapd

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