Security beim Volksfest:Der Rausschmeißer

Security beim Volksfest: Franz Peiß hat eine Art Frühwarn-Radar entwickelt, er scannt die Szenerie nach ungewöhnlichen Bewegungen und Leuten, die blöd dreinschauen.

Franz Peiß hat eine Art Frühwarn-Radar entwickelt, er scannt die Szenerie nach ungewöhnlichen Bewegungen und Leuten, die blöd dreinschauen.

(Foto: Sebastian Beck)

Franz Peiß arbeitet bei einem Sicherheitsdienst, ist Fitnesstrainer und beherrscht eine israelische Kampfsportart. Doch brachiale Methoden helfen ihm im Getümmel der Bierseligen bei einem Volksfest nicht weiter. Da ist eine andere Taktik gefragt.

Von Sebastian Beck

Eine Stunde vor Mitternacht auf dem Penzberger Volksfest. Die Stimmung ist jetzt so gut, dass sie fast schon wieder schlecht ist. Es ist jene Phase, in der die Gaudi ihren Höhepunkt erreicht und bald in Übellaune umschlagen wird. Musik, Lichter, alles wummert und dreht sich.

Ein paar lederbehoste Burschen haben schon schlapp gemacht, sie steuern mehr oder weniger koordiniert den Büschen neben dem Obi-Parkplatz zu. Einer erbricht sich auf den Rasen, und zwar mit scheinbar meditativer Gelassenheit, wie sie nur der Vollrausch vorzutäuschen vermag. Geisterbahn und Autoscooter warten vergeblich auf Kundschaft, denn um diese Uhrzeit drängen alle ins Festzelt, wo die Dornenvögel gerade den Schlachtruf anstimmen: "Zicke zacke zicke zacke hoi hoi hoi."

Für Franz Peiß beginnt nun der wirklich anstrengende Teil des Abends, er muss sich weiter seinen Weg durch die Reihen bahnen. Ausweise kontrollieren, Besoffene von den Biertischen verscheuchen - und die Bar im Auge behalten. Denn die Bar, das lehrt die Erfahrung, ist immer ein Krisenherd.

Früher hätte man Peiß landläufig als Rausschmeißer bezeichnet. Der 28-Jährige arbeitet aber möglichst ohne Körperkontakt, und der Rauswurf ist das letzte Mittel: "Man kann viel machen, wenn man normal redet", sagt er.

Peiß ist mittelgroß, untersetzt, akkurater Bürstenschnitt. Aus seiner Hose baumeln zwei Lederhandschuhe. Das rechte Ohr ist verkabelt. Der Händedruck wirkt verbindlich und signalisiert: Er kann auch anders. Im Hauptberuf arbeitet Peiß als Fitnesstrainer; er beherrscht eine israelische Kampfsportart mit gefährlich klingendem Namen: Krav Maga. Auf Patrouille durchs Zelt geht er trotzdem immer zusammen mit einem Kollegen, sicher ist sicher.

Kurz nach 23 Uhr wird Peiß in die Bar gerufen. Die erste Mini-Krise des Abends unter dem Ramazzotti-Plakat ist schon vorbei, als er ankommt. "Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit zwischen zwei Gruppen", sagt Peiß. "Die haben wir voneinander getrennt." Aus einer Ecke heraus beäugt er zusammen mit zwei Kollegen das Treiben am Tresen. Unterm Rotlicht lallen sich junge Männer ins Ohr, eine Gruppe von Störern ist kampflos abgezogen.

Peiß setzt eine professionell unbeteiligte Miene auf. Nach sieben Jahren beim Sicherheitsdienst hat er eine Art Frühwarn-Radar entwickelt. Er scannt die Szenerie nach ungewöhnlichen Bewegungen und verwunderten Blicken. Denn schaut einer überrascht, man könnte auch sagen: irgendwie blöd, dann weiß Peiß: Achtung, Warnzeichen, da ist was passiert.

Professionell unbeteiligt

An der Bar haben sich Mimik und Bewegungen wieder im gefahrlosen Bereich eingepegelt, weshalb Peiß weiterzieht. Im Zelt stimmen die Dornenvögel "Ich bin solo, scheißegal" und ein "Prosit der Gemütlichkeit" an. Einige verstehen das als Aufforderung, auf die Tische zu steigen - der Gipfel der Glückseligkeit. Peiß greift ohne Krav Maga ein, wenn einer nicht hört, dann leuchtet er ihm mit der LED-Taschenlampe ins Gesicht.

Die Besucher des Penzberger Festzelts haben sich jetzt in eine wogende Masse aus Lederhosen und Dirndln verwandelt. Wer nicht auf der Bank steht, der kann nicht mehr stehen. Es geht ein bisschen drunter und drüber jetzt um 23.30 Uhr, johlende Gesichter, Wadlstrümpf und Bierspritzer vermengen sich zu einem Gesamtkunstwerk. Ab und an löst sich einer mit einem Maßkrug aus der Menge und torkelt einem unbekannten Ziel zu.

Peiß aber schiebt sich weiter durchs Getümmel wie ein Eisbrecher durchs Packeis des Polarmeers. Um 23.35 Uhr stimmen die Dornenvögel "Narcotic" von Liquido an. Das ist ganz schlecht fürs Zeltmobiliar. "Bei keinem Lied gehen so viele Tische kaputt wie bei diesem", sagt Peiß. "Ruhiger!", brüllt er in Richtung eines Tänzers, der mit seiner Wampe ekstatisch auf der Bank hüpft. Das Sitzbrett biegt sich trampolinartig unter ihm. "And I called your name, my cocaine", singt der gemischte Penzberger Festzeltchor.

Wer nüchtern ist, der wünscht sich einen Stromausfall herbei, aber nüchtern sind außer den fünf Mann des Sicherheitsdienstes nur die Allerwenigsten. Zumal Penzberg den Ruf hat, dass auf dem Volksfest noch mehr gesoffen wird als anderswo. 20 Minuten vor Mitternacht beginnt die Band mit den Zugaben. "Auch der schönste Abend hat mal ein Ende", sagt der Frontmann der Dornenvögel.

Peiß und sein Kollege rennen plötzlich zum Zeltausgang und quer über den Festplatz. Vor dem Autoscooter stoppen sie. Ein Funkspruch bringt die Entwarnung: "Irgendwas Angehendes", sagt Peiß, andere haben sich schon drum gekümmert. Pünktlich um Mitternacht macht die Band Schluss. "Purple Rain" von Prince noch, das war's. Unter den Tischen liegen Krüge und Glassplitter, die Bänke sind schlammverschmiert. Die Stimmung tendiert stark in Richtung Aspirin.

Zwei Betrunkene wackeln auf die Bühne. Peiß zieht sie herunter und blockiert den Aufgang. Hemd und Frisur wirken immer noch makellos. Er hat den Abend ohne Kratzer überstanden, aber das Volksfest ist noch nicht vorbei. "Jetzt schauen wir, dass wir sie von den Bänken runterbringen", sagt Peiß, "und dann konzentrieren wir uns auf die Bar."

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