Jugend in den Sechzigerjahren:"Hauptsache, der Nervenkitzel war da"

Jugend in den Sechzigerjahren: Halbstarke: Rupert Forster (Mitte), flankiert von Freunden.

Halbstarke: Rupert Forster (Mitte), flankiert von Freunden.

(Foto: Archiv Rupert Forster)

Saufen, rasen, feiern, schlägern: Rupert Forster zeichnet ein faszinierendes Bild der Landjugend in Bayern. Die Halbstarken lebten in den Sechzigerjahren unpolitisch - und gefährlich.

Von Hans Kratzer, Kelheim

"Wir hatten so viel Kraft, wir waren einfach nicht zu bändigen", sagt Rupert Forster, den seine Jugendzeit immer noch schwer beschäftigt, obwohl sie schon mehr als 50 Jahre zurückliegt. Es war ja auch eine röhrende Ära: "Wir suchten ständig nach Abenteuern, wir ließen uns treiben, es war ein Hin und Her zwischen Rausch und Ernüchterung." Motorrad-Touren, Tanznächte, Saufgelage und Grenzüberschreitungen jeglicher Art prägten die Wochenenden, in die sich Forster und seine Freunde mit einer ungezähmten Lebensgier stürzten.

Sie waren Halbstarke wie aus dem Bilderbuch und sie führten sich entsprechend auf. Etwa an jenem Samstagabend im August 1967, der in ihrem Stammlokal beinahe ein tödliches Ende genommen hätte. Der Tanzboden war gesteckt voll, die Kapelle heizte das Partyvolk mit dem Kracher "Balla Balla" auf. In der Runde wurde haltlos gesoffen, manche leerten in Biergläsern einen halben Liter Whiskey auf Ex, die Masse geriet außer Rand und Band, erinnert sich Forster.

In dem Gewoge torkelte einer seiner Freunde zur Toilette, riss dort das Waschbecken aus der Verankerung und zertrümmerte mit der Faust den großen Wandspiegel. In der Gaststube drehte er dann komplett durch, zog blutend eine geladene Pistole aus der Hosentasche und ballerte zwei Kugeln in die Decke. Es folgte eine wüste Rangelei, in deren Verlauf ihm die Pistole aus der Hand gerissen wurde. Ein Teil der Raufenden sprang dann auf die Motorräder und suchte mit heißen Reifen das Weite, da hörbar die Polizei im Anmarsch war.

Derlei Exzesse waren in den späten Sechzigerjahren nicht ungewöhnlich. Selbst in gefestigten ländlichen Gegenden herrschte in der Jugendszene mitunter eine groteske Wildheit. Diese raue und ungezügelte Welt der Halbstarken ruft Forster nun in seinen sehr persönlich gehaltenen und in einfacher Sprache verfassten Memoiren in Erinnerung. Er zeichnet Zustände nach, die eines zeigen: Die heile Welt der Nachkriegszeit, die so gerne beschworen wird, hat es in diesen Jugendcliquen nicht gegeben.

"Wir Arbeiterjungs wollten rebellische Außenseiter spielen und den Spießern zeigen, wo es langgeht", sagt Forster. "Zielrichtung hatten wir keine. Wenn wir unterwegs waren mit unseren lärmenden Boxer-BMWs, die unser ganzer Wohlstand waren, dann war für uns alles gut." An Politik und Zeitgeschehen waren diese Jugendlichen nur mäßig interessiert, lieber ließen sie sich treiben von Abenteuern und einem ungezügelten Lebensstil.

Die Arbeiterjungs gaben die rebellischen Außenseiter

In der Regel wird die Ära der 68er mit Studentenunruhen, Uni-Protesten und Hippie-Kommunen in Verbindung gebracht. In der Rückschau wird diesbezüglich vor allem ein städtisch-studentisches Milieu gezeichnet. Nur selten wird geschildert, was sich in jener Zeit in der Provinz abseits der Metropolen getan hat. Dabei zeigte die Generation der 68er dort ein anderes Gesicht, das von den Idealen der verträumten Landkommunen unberührt blieb. Wer heute verklärt auf jene Epoche blickt, den treffen die Erinnerungen von Rupert Forster wie ein Hieb. Die Rohheit, die Lebensgier, die Rauschhaftigkeit der sich unpolitisch gebenden Arbeiterjugend von damals wirkt durchaus verstörender als so mancher Studentenprotest.

Die frühe Lebensgeschichte des 1947 in Kelheim geborenen Rupert Forster steht weitgehend exemplarisch für jene Jugendlichen, die sich in der wirtschaftlichen Aufbruchszeit vor allem für schwere Motorräder begeisterten. Diese "Halbstarken", die sich ausschließlich ihren Träumen verpflichtet fühlten, rebellierten auf oft haarsträubende Weise. Tödliche Unfälle, Schießereien, Brandstiftungen und Gefängnisaufenthalte prägten ihre Sozialisation.

"Wir überschritten gern Gesetze", sagt Forster. "Hauptsache, der Nervenkitzel war da." Das Risiko, sein Leben zu beschädigen, war schon in der Kindheit weitaus größer als heute. Auf dem Heuboden viele Meter in die Tiefe zu springen oder zu rutschen, war auf dem Land für fast jedes Kind Programm. Forster erlebte die schmerzhaften Folgen: Beim Rutschen fuhr ihm ein stechender Schmerz in den Unterschenkel, er hatte sich am Zinken einer Heugabel aufgespießt.

Die Studenten von damals tun Forster leid

Zu den frühen Grenzüberschreitungen gehörten auch das Schwarzfahren mit dem Motorrad, das Verfolgungsjagden der Polizei provozierte. Die war allerdings schwer im Nachteil, weil deren Gefährte hoffnungslos untermotorisiert waren. Ein alter Polizist, dem sie damals so viel Ärger bereitet hatten, sagte erst kürzlich zu Forster: "Mei, des war so a wilde Zeit!" "Wir waren schon unverschämt", das gibt Forster gerne zu, "aber wir haben auch viel Lehrgeld bezahlt." Etwa dafür, dass sie mit Gewehren und Colts wahllos in den Wäldern herumballerten oder gar eine Laterne auf der Maxbrücke herunterschossen. "Ein Freund bekam einmal einen Streifschuss am Oberarm ab", erinnert sich Forster, dem die Studenten von damals heute noch leid tun: "Die haben ja nichts erlebt."

Vor zehn Jahren verspürte Forster den Drang, diese kuriosen Jahre zu dokumentieren. "Das jahrelange Schreiben war eine Quälerei", sagt er. Einmal musste er sogar einen Psychiater aufsuchen, denn die nicht so schönen Erinnerungen machten ihm zu schaffen. Mancher seiner Freunde hatte seinen Übermut mit dem Leben bezahlt. Bei der Lektüre staunt man, wie wenig ausgeprägt damals das Sicherheitsbewusstsein war. Schwerste Unfälle waren an der Tagesordnung, sie wurden auch akzeptiert.

So betrachtet, war es eine brutale Zeit, mit einer Elterngeneration, die noch von Kriegserlebnissen geprägt war. "Ein wildes Leben ohne den entsprechenden Preis gibt es nicht", sagt Forster, der mit seiner Frau immer noch in Kelheim lebt. Das Paar zog drei Kinder groß. Ein langweiliges Leben habe er jedenfalls nicht gelebt, sagt Forster, ganz im Gegenteil. "Letztlich war es doch eine verdammt schöne Zeit."

Rupert Forster, Denn wir wussten, was wir tun. Die wilden Jahre 1960-1980. Dr. Peter Morsbach Verlag, 2017, 20 Euro.

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