Schwandorf:"Titan von Wackersdorf" feiert 85. Geburtstag

Krawalle an der Baustelle in Wackersdorf, 1985

Der Kampfplatz der Achtzigerjahre: Hunderte Menschen wurden bei den Auseinandersetzungen um die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf verletzt.

(Foto: ap)

Hans Schuierer hat als SPD-Landrat gegen die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf gekämpft und Franz Josef Strauß besiegt.

Von Heribert Prantl

Die Oberpfalz ist eine karge Gegend, der Aufklärer Johann Christoph Gottsched hat sie vor 250 Jahren in seiner "Zornigen Ode" als das "wüste, raue Land" beschimpft. Das gilt immer noch ein wenig. Und rau ist auch die Sprache, die dort gesprochen wird.

Der frühere SPD-Politiker Ludwig Stiegler, aus dem kleinen Dorf Vilshofen gebürtig, das zwischen Amberg und Kallmünz liegt, sagt gerne: "Ich liebe Homer, weil der so oberpfälzisch ist." Stiegler, ein gelernter Jurist und ein leidenschaftlicher Altphilologe, meint, dass die lautmalerische Sprache Homers etwas Ländlich-bäuerliches hat. Aber diese Dinge hört man wohl nur dann, wenn man selber ein Oberpfälzer ist.

In der Oberpfalz wachsen jedenfalls Menschen, die nicht schwadronieren und schwätzen, sondern zupacken und arbeiten, die sich nicht schnell einschüchtern lassen - Leute wie der Sozialdemokrat Hans Schuierer. Er ist bodenständig und aufgeklärt, heimatverbunden und weltläufig. Sturheit sagt man diesen Oberpfälzern nach. Das ist nicht ganz richtig. Sie sind nicht stur; sie sind nachhaltig. Sie lassen sich nicht so leicht abschütteln und abschrecken, nicht von staatlichen Autoritäten, nicht von widrigen Umständen; auch nicht von der eigenen Partei, mit der er nicht immer eins war.

Schuierer ließ sich nicht einschüchtern

Hans Schuierer war SPD-Landrat von Schwandorf, als zehn Kilometer von seinem Amtssitz entfernt, nahe der Gemeinde Wackersdorf, Ende 1985 mit dem Bau einer atomaren Wiederaufarbeitungsanlage begonnen wurde. 20 Jahre später nannte ihn die Süddeutsche Zeitung den "Titan von Wackersdorf" - weil er sich nicht einschüchtern und nicht unterkriegen ließ.

Die WAA Wackersdorf war das politisch umstrittenste Bauprojekt der 1980er Jahre in der Bundesrepublik, das Vorzeigeprojekt der CSU, Symbol für die Atompolitik der bayerischen Staatsregierung. Wackersdorf zu verhindern, war ein Projekt und ein Erfolg der kleinen Leute, die sich auflehnten, als die CSU ihre Heimat zur strahlenden Heimat machen wollte.

Hans Schuierer, der Landrat, war die Speerspitze der kleinen Leute. Er war das Gesicht des Widerstandes, er war der Gegner des CSU-Chefs und Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, der den Leuten weismachen wollte, so eine Wiederaufarbeitungsanlage sei "nicht gefährlicher als eine Fahrradspeichen-Fabrik".

Schuierer ist Sohn kleiner Leute, der Vater in der Nazi-Zeit im Gefängnis; der gelernte Mauerer war erst Kommunalpolitiker in Klardorf, dann Nachfolger von Walter Haschke als Landrat von Burglengenfeld. Das war 1970. Zwei Jahre später gelangte Schuierer an die Spitze des durch die Gebietsreform gebildeten Großlandkreises Schwandorf. Bis 1996, ein Vierteljahrhundert, blieb er im Amt, er war ein Kümmerer, immer wiedergewählt mit fantastischen Wahlergebnissen.

Wie Schuierer gegen die WAA kämpfte

Hans Schuierer, 2011

Hans Schuierer war von 1972 bis 1996 SPD Landrat im Landkreis Schwandorf in der Oberpfalz.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Hans Schuierer hatte zunächst, als die WAA-Planungen begannen, keine Ahnung von Atomenergie, er ließ sich erst einmal beeindrucken von den versprochenen 3600 sauberen Arbeitsplätzen - wurde aber misstrauisch, als er merkte, "dass die uns nicht die Wahrheit erzählen". Auf den Plänen für die "saubere Fabrik" entdeckte er einen fast 200 Meter hohen Kamin. Als er die Vertreter der Betreiberfirma DWK fragte, wozu der denn gebraucht werde, sagte man ihm, "dass durch den hohen Kamin die radioaktiven Schadstoffe gleichmäßiger verteilt werden sollen".

Da nahm Schuierer den Kampf gegen die WAA auf - und wie! Mit oberpfälzischer Kraft. Er unterstützte die Bürgerinitiativen, trat als Gegner bei Protestveranstaltungen auf, stellte sich als Chef der Genehmigungsbehörde quer, legte sich mit der atombegeisterten Staatsregierung an, die gegen die Demonstranten von Hubschraubern aus sogar CS-Reizgas einsetzen ließ. Der Landrat verweigerte die Baugenehmigung für die WAA, demonstrierte gemeinsam mit seiner Frau Lilo gegen das Projekt und unterstützte die Demonstranten beim Bau eines Hüttendorfes. Das kam für die Regierungspartei CSU einem Landesverrat gleich.

Für die bayerische Staatsregierung galt der Bau der WAA in Wackerdorf als Teil der bayerischen Staatsräson. Und wer gegen die Staatsräson agierte, musste zur Räson gebracht werden, mit allen Mitteln, auch mit denen der Justiz. Aber Landrat Schuierer war ein mutiger Mann.

Die CSU wollte ihn disziplinieren

Die Landtags-CSU verabschiedete ein Gesetz, das dem Staat über den Kopf des Landrats hinweg bei Genehmigungsverfahren ein "Selbsteintrittsrecht" sicherte. Man versuchte also, den Landrat politisch zu entmündigen. Und man versuchte auch, ihn mit Klagen vor dem Gericht zu disziplinieren, weil Schuierer kein Blatt vor den Mund genommen und von der "Ein-Mann-Demokratie Strauß'scher Prägung" geredet hatte und von der "Großmannssucht der CSU-Demokratur".

Das Gericht hielt das zwar für ehrverletzend, sah jedoch von einer Bestrafung ab wegen der sonst "untadeligen Amtsführung" Schuierers. Der kündigte daraufhin an, und das zeigt, welch feiner Mensch er ist, dass er zwar auch in Zukunft klar gegen die Atompolitik in Bayern Stellung beziehen wolle, dabei aber "gewählter formulieren" werde. Solch trockenen Spott beherrscht der Oberpfälzer Schuierer wunderbar. Er beherrschte die diversen kleinen und großen Formen des Widerstands - so wurde er zu einem Pionier des Ausstiegs aus der Atomkraft.

Schuierer ist ein passionierter Radlfahrer, ein Waldspaziergänger und begnadeter Schwammerlsucher - ein Schwammerlfinder, muss man bei ihm sagen. Seine persönliche Rückschau auf ein bewegtes kommunalpolitisches Leben hält er auf Mallorca, wo ihm eine Ferienwohnung gehört. Viele Male ist er, zumal im Winter, mit seiner vor einiger Zeit verstorbenen Ehefrau Lilo dorthin gereist. Er mag die Insel - nicht einmal halb so groß ist sie wie die Oberpfalz - fast so gern wie diese; aber nur fast. An diesem Samstag feiert Schuierer dort seinen 85. Geburtstag.

In der Bergpredigt stehen neun Seligpreisungen. Anlässlich des 85. Geburtstags von Hans Schuierer darf man, ohne als blasphemisch zu gelten, eine zehnte Lobpreisung hinzufügen: eine Lobpreisung des wackeren Demokraten: Selig sind die Unruhegeister und Widerständler, denn sie erhalten uns die Heimat.

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