Schulpolitik in Bayern:Gebrauchsanweisung für Lehrer

Bundesländer-Schulleistungsvergleich

Wie bringt man Grundschülern Rechtschreibregeln bei und wie das schriftliche Subtrahieren? Ein neuer Lehrplan soll diese Fragen klären.

(Foto: dpa)

Schluss mit überfrachteten Schulstunden oder der Verwirrung beim Schreiben lernen. Vom kommenden Schuljahr an sollen in Bayern neue Lehrpläne für Erst- und Zweitklässler gelten. Die Idee: weg von unnützen Details, hin zu einheitlichen Standards.

Von Tina Baier

Wie lernen Kinder am besten lesen und schreiben? Wie bringt man Grundschülern Rechtschreibregeln bei und wie das schriftliche Subtrahieren? Das sind Fragen, mit denen sich verschiedene Kommissionen im Kultusministerium und am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) in München seit Jahren beschäftigt haben.

Herausgekommen ist ein neuer Lehrplan für die bayerischen Grundschulen, genannt LehrplanPlus. Er soll vom nächsten Schuljahr an für die ersten und zweiten Klassen gelten. Von Herbst 2015 an werden dann die dritten Klassen nach den neuen Vorschriften unterrichtet, ein Jahr später die vierten. Nach und nach sollen auch die Lehrpläne für Gymnasium, Real- und Mittelschule überarbeitet werden.

Den Anlass für die Änderungen liefern die Pisa-Studien. Deutsche Schüler hätten darin "nicht so gut abgeschnitten, wie wir uns das gewünscht haben, obwohl im Lehrplan genau geregelt war, welche Themen durchgenommen werden sollen", wie Eva Lang sagt, die Leiterin des Referats Grundschule am ISB. Der neue Lehrplan für Grundschulen sei "kompetenzorientiert": "Er formuliert nicht mehr im Detail, was die Lehrer alles tun sollen, sondern das, was die Kinder am Ende können sollen."

Unter diesem Aspekt haben Experten jedes einzelne Fach unter die Lupe genommen. Was sich alles ändert, ist noch geheim. Das Kultusministerium muss den Entwurf erst noch absegnen. Einiges zeichnet sich jedoch schon ab. Klar ist zum Beispiel, dass Zweitklässler weiterhin die sogenannte Vereinfachte Ausgangsschrift (VA) als Schreibschrift lernen sollen. In der Diskussion war zeitweise auch die "Grundschrift", die der Druckschrift sehr ähnlich ist. Das ist vom Tisch, allerdings soll es Veränderungen an der VA geben, bei der etwa das kleine "l" oft wie ein kleines "b" aussieht, was zu Missverständnissen führt.

Neu ist nach Informationen der Süddeutschen Zeitung auch, dass das Schönschreiben wieder einen höheren Stellenwert bekommen soll. Auch die vor allem von Gymnasiallehrern vorgebrachte Kritik an mangelnden Rechtschreibkenntnissen der Schüler wurde offenbar berücksichtigt. Jedenfalls ist der Punkt "Richtigschreiben" im neuen Grundschul-Lehrplan ausführlicher behandelt als im alten.

In Mathematik gab es heiße Diskussionen um das "Abziehverfahren", mit dessen Hilfe Grundschüler seit etwa zehn Jahren lernen, Zahlen schriftlich voneinander zu subtrahieren. Kritiker halten die Methode für umständlich und unübersichtlich. Eltern, die noch das Ergänzungsverfahren gelernt haben ("2 an 1 gemerkt"), erklären ihren Kindern zu Hause oft die Methode, mit der sie selbst rechnen, was die Kinder zusätzlich verwirrt. Außerdem kam es zu der absurden Situation, dass Kinder, die in der Grundschule das Abziehverfahren gelernt haben, an weiterführenden Schulen plötzlich mit dem alten Ergänzungsverfahren rechnen müssen, weil die dortigen Mathelehrer die neue Methode ablehnen. Wie dieses Problem gelöst wird, ist im neuen Entwurf noch offen. Letztlich muss das Kultusministerium entscheiden.

Das größte Problem im Heimat- und Sachunterricht (HSU) ist nach einer Onlineumfrage des Ministeriums unter Grundschullehrern die Überfrachtung des Lehrplans mit zu vielen Themen. Diesen Eindruck hinterlässt auch ein Leserbrief einer aufgebrachten Großmutter, die mit ihrer Enkelin für eine HSU-Probe in der dritten Klasse üben wollte. Das Mädchen sollte beim Thema "ein Waschtag um 1930" wissen, wie oft die Wäsche zu spülen und auszuwringen sei. Außerdem sollte sie "die Geschichte des Fahrrads" anhand eines Textes lernen, in dem es von Fremdwörtern wie "Drais, Draisine, Micheaux, Starley usw." nur so wimmelt. "Sind die alle total durchgeknallt?", fragt die Großmutter in ihrem Brief und schlussfolgert: "Arme, arme Kinder."

Viele Lehrer glaubten offenbar, sie müssten alle Beispiele, die eigentlich nur als Anregung für den Unterricht gedacht waren, verbindlich bearbeiten, sagt ISB-Referentin Lang: "Dieses Missverständnis ist mit dem neuen Lehrplan jetzt hoffentlich ausgeräumt." Im Entwurf heißt es beispielsweise, dass die Kinder Wettererscheinungen beobachten, etwa indem sie Niederschlag und Temperatur messen. "Es steht nicht darin, dass die Schüler sämtliche Teile von Regenmesser, Thermometer und Windmesser benennen sollen und wissen müssen, wie sich diese Instrumente historisch entwickelt haben", sagt Lang.

Englisch, das Grundschüler von der dritten Klasse an lernen, wird weiter nicht benotet werden. Allerdings sollen die Kinder am Ende der vierten Klasse einen "verlässlichen Mindestwortschatz" beherrschen, "der verständlich ausgesprochen und intoniert wird". Bislang gibt es eine solche verbindliche Wortschatzliste nicht. Das hat zur Folge, dass in den fünften Klassen der weiterführenden Schulen Kinder mit extrem unterschiedlichen Englischkenntnissen sitzen. Auch bei der Rechtschreibung englischer Begriffe knirscht es. Fünftklasslehrer setzen die richtige Rechtschreibung oft voraus, obwohl die Kinder das in der Grundschule nie gelernt haben, weil es derzeit gar nicht vorgesehen ist. Im Entwurf für den neuen Lehrplan steht jetzt: "Die Schüler schreiben Wörter und kurze Mustersätze fehlerfrei von Vorlagen ab."

"Der neue Lehrplan ist gut gelungen", findet Joachim Kahlert, Professor für Grundschulpädagogik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Einerseits werde klar, dass es im Unterricht nicht um "Stoffhuberei" geht, andererseits verzichte man aber nicht auf Inhalte: "In anderen Bundesländern sind kompetenzorientierte Lehrpläne oft skandalös inhaltsfrei." Simone Fleischmann vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) ist skeptischer: "Die hypermoderne Lernkultur des neuen Lehrplans trifft im Schulalltag auf die alte Leistungskultur mit ihrem Noten- und Zeitdruck", sagt sie: "Das passt nicht zusammen. Die hohen Ansprüche werden deshalb im Klassenzimmer schwierig umzusetzen sein."

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