Schulfreie Zeit in Bayern:Ferien auf dem Bauernhof

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Sie sollen bei der Kartoffelernte mithelfen undHeu schaufeln: In Bayern haben Schulkinder auch heute noch bis Mitte September frei, weil sie als Erntehelfer vorgesehen sind. Doch längst müssen nur die wenigsten der 1,75 Millionen Schüler tatsächlich aufs Feld. Warum beginnen die Ferien dann nicht früher?

Hans Kratzer

Wenn Bayern und Baden-Württemberg in zwei Wochen in ihre Sommerferien starten, bilden sie wie jedes Jahr die Schlusslichter im Reigen der 16 Bundesländer. Allerdings stößt diese traditionelle Ferienregelung ständig auf Kritik. Zuletzt hat der niedersächsische Wirtschafts- und Verkehrsminister Jörg Bode (FDP) daran Anstoß genommen, dass die süddeutschen Länder sich dem üblichen Rotationsverfahren verweigern. Eines der regelmäßig angeführten Argumente des Südens für einen späten Ferienbeginn, nämlich dass Jugendliche bei der Ernte helfen sollen, wies Bode als "aus der Zeit gefallen" zurück.

Kartoffelernte bei Augsburg: Doch längst ist Bayern kein klassisches Agrarland mehr. (Foto: dapd)

Tatsächlich klingt die Erntehelfer-Begründung so, als sei sie ein Relikt aus den Tagen des alten Montgelas. Ludwig Unger, der Sprecher des Kultusministeriums, hält die Erntehilfe in agrarisch geprägten Landesteilen wie etwa Niederbayern aber nach wie vor für relevant, wenn sie auch nicht mehr die überragende Bedeutung wie in früheren Tagen besitze.

Zumindest bis in die 1980er Jahre hinein mussten noch viele Ferienkinder bei der Heu-, Getreide- und Kartoffelernte mithelfen. Die Familienbetriebe waren entweder noch nicht bereit zur Hofaufgabe oder sie waren erst auf dem Weg zur Volltechnisierung des Betriebs. Die erst halbscharig technisierte Landwirtschaft verlangte noch jede Menge Handgriffe. Michael Ritter, der Brauchtumsexperte des Landesvereins für Heimatpflege, ist auf einem kleinen Bauernhof aufgewachsen und hat das volle Programm an Kinderarbeit absolviert. "Bei der Heuernte musste ich mit der Gabel Heuballen aufladen und nachrechen", erzählt er, "und auf dem Ladewagen musste ich undichte Stellen zustopfen, damit das Stroh nicht aus den Ritzen herausflog." Die Liste ließe sich beliebig fortschreiben: Buben mussten Heu ins Gebläse schaufeln, Getreide in Säcke umfüllen, Bulldog fahren und die viele Stall- und Waldarbeit verrichten, die den Kindern alles abverlangte, sie aber fürs spätere Leben lehrte, die Unlust und den inneren Schweinehund zu bezwingen.

Die Geschichte der Erntehilfe in Bayern ist zugleich eine Abfolge von Kinderleid und Ausbeutung. Auch in der Literatur gibt es nachdenklich stimmende Zeugnisse in Hülle und Fülle. Die in den 1980er Jahren zum Bestseller avancierten Erinnerungen der Bäuerin Anna Wimschneider zeichnen die Ferienarbeit in ihren dunkelsten Farben. Der frühe Tod der Mutter hatte die Familie in allergrößte Not gestürzt, die Kinder mussten fortan die Kühe füttern und melken, den Stall misten, kochen und flicken, sogar die Achtjährigen mussten schon um vier Uhr morgens aufstehen und mit Sensen, Rechen und Schubkarren aufs Feld hinauseilen, um das Futter für die Tiere zu holen.

Maria Hartl, die Mutter der Kinderbuchautorin Marlene Reidel, beschreibt in ihren Erinnerungen, wie sehr sie sich als Schulmädchen bei der Heuernte plagen musste mit den viel zu schweren Rechen. "Dabei haben uns die Bremsen oft so zerstochen, dass wir uns keinen Rat mehr wussten. Das Distelstechen mussten wir mit dem Messer tun, damit wir ja kein Getreide ausstechen. Da tat uns der Buckel schon richtig weh, aber da hat's geheißen: Ihr mögt ja essen auch."

Solche Torturen bleiben heute den meisten Schülern erspart, denn der Freistaat Bayern ist kein klassisches Agrarland mehr. Allein in den vergangenen vier Jahren haben 20 000 Betriebe aufgegeben, nun sind es nur noch 98 000. Die Bauernhöfe schwinden in Bayern ähnlich rasant wie die Euros in Griechenland. Den wenigen Höfen stehen aber immerhin 1,75 Millionen bayerische Schüler, also potentielle Erntehelfer gegenüber, von denen schätzungsweise weit mehr als die Hälfte noch nie das Flair eines Bauernhofs erlebt hat.

Gleichwohl ist der Bedarf an Erntehelfern nach wie vor riesig, vor allem im Gemüse- und im Obstanbau. Nur kann die schwere Saisonarbeit auf Gurkenäckern, Spargelfeldern, Weinbergen und Hopfengärten nicht mehr von Kindern geleistet werden. Dafür werden körperlich belastbare Erwachsene benötigt, die freilich auf dem deutschen Arbeitsmarkt zurzeit Mangelware sind. Deshalb wurden im Jahr 2010 in Deutschland allein 160 000 Polen als Erntehelfer engagiert. Seit dem 1. Mai 2011 herrscht nun berufliche Freizügigkeit in den EU-Ländern, weshalb die Zahl der von der Arbeitserlaubnispflicht befreiten Erntehelfer nicht mehr erfasst wird.

Für Schüler mit Wirtschaftskenntnissen böte sich als mögliches Einsatzfeld in der Erntezeit die Büroarbeit an. Selbst kleine Bauernhöfe werden von den bürokratischen Auflagen fast erdrückt, hier bläht sich ein Monster auf, das vermutlich bald nur noch mit Abiturkenntnissen bekämpft werden kann. Und sei es nur, um für nicht-buchführungspflichtige kleinere Betriebe mit weniger als 20 Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche und weniger als 50 Vieheinheiten nach Paragraf 13a Einkommensteuergesetz den Gewinn nach Durchschnittssätzen zu ermitteln.

Unger führt indessen für ihn wichtigere Gründe für den späten Ferienbeginn in Bayern auf: Die bisherige Regelung habe sich aus organisatorischen Gründen bewährt, auch weil die Prüfungstermine vorausschaubar seien. Würden die Sommerferien vorverlegt, so argumentiert Unger, gefährde dies die etablierten Pfingstferien. Die Ferienregelung sei außerdem einvernehmlich in der Kultusministerkonferenz getroffen worden, also mit Zustimmung Niedersachsens. Wenn der dortige Verkehrsminister ein neues Vergabeverfahren fordere, verfolge er damit allein wirtschaftliche und touristische Interessen.

© SZ vom 18.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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