Schülerzeitungswettbewerb:Schlagzeile: Tod

Mit einer Ausgabe über ein schwieriges Thema hat die Redaktion der Regensburger Schülerzeitung "Blickkontakt" den Blattmacher-Wettbewerb gewonnen. Erwachsene waren skeptisch, sie fanden es zu heikel für junge Leute

Von Julia Huber, Regensburg

Der Tod ist gemeinhin kein Teenie-Thema. Das merkt Dorothée Nowotny, 19, schnell. Es ist Januar 2017, sie ist Chefredakteurin der Schülerzeitung Blickkontakt am Regensburger Von-Müller-Gymnasium. Der Titel des neuen Hefts besteht aus nur einem Wort: Tod. Der Vater eines Schülers kommt vorbei und stutzt. "Was, ihr schreibt über den Tod?", fragt er. "Ihr seid so jung, damit müsst ihr euch doch nicht beschäftigen."

Eine kleine Begegnung, eigentlich nicht der Rede wert. Und doch hat sie sich im vergangenen Jahr oft wiederholt. Das Heft ist inzwischen vielfach ausgezeichnet worden. Es gewann den ersten Platz im Blattmacher-Wettbewerb der Süddeutschen Zeitung und des bayerischen Kultusministeriums. Im bundesweiten Schülerzeitungswettbewerb am 23. Februar wurde es Dritter. Die Wettbewerbsjury besteht aus Schülern und Erwachsenen. Die Schüler gaben dem Blickkontakt Bestnoten. Die erwachsenen Jurymitglieder fanden das Titelthema zu heikel. Nicht angemessen für junge Menschen, so erzählt es einer, der dabei war.

Jedes Jahr sterben mehr als 900 000 Menschen in Deutschland. Der Tod bricht über Familien herein und nimmt ihnen Großeltern, Eltern, Geschwister. Ihr Alltag gerät aus den Fugen, viele sind überwältigt von Trauer und Verzweiflung. Trotzdem spricht kaum jemand darüber - erst recht nicht mit Kindern. Eltern und Lehrer halten das Thema fern. Schüler sollen unbeschwert ihre Jugend genießen und nicht ans Sterben denken. Geht der Plan auf?

Nowotny findet nicht. "Ich habe mich viel mit Freunden darüber unterhalten und alle haben gesagt, dass sie regelmäßig über den Tod nachdenken", erzählt sie. Die 19-Jährige hat sich schon immer für die Gedankenwelt der Menschen interessiert. Vergangenes Jahr hat sie Abitur gemacht, vom nächsten Semester an studiert sie Psychologie in Magdeburg. In ihrem Essay in der Schülerzeitung schreibt sie: "Natürlich haben wir Angst, offen über den Tod zu sprechen, so als ob wir ihn durch das Gespräch näher an uns heranließen, zuließen. Doch nicht zu reden, heißt: Jeder bleibt mit dem Tod alleine."

Schülerzeitungswettbewerb: Mit der Ausgabe ihres "Blickkontakts" über den Tod irritierten die Schüler des Von-Müller-Gymnasiums. Und begeisterten ihre Leser.

Mit der Ausgabe ihres "Blickkontakts" über den Tod irritierten die Schüler des Von-Müller-Gymnasiums. Und begeisterten ihre Leser.

(Foto: David-Pierce Brill)

Wie schwierig Gespräche über den Tod sein können, merken die Regensburger Schüler schon ganz am Anfang, in der Themenkonferenz. Mit Kreide schreiben sie alle Ideen für das neue Heft an die Tafel, einer schlägt "Tod" vor - und gewinnt in der Abstimmung. Trotzdem stemmen sich ein paar Schüler dagegen. Sie sagen "Das Thema ist mir unangenehm" und "Ob das überhaupt wer kauft?". Es kommt zu einer langen Diskussion. Nowotny erzählt: "Irgendwann waren wir an einem Punkt, wo wir gesagt haben: Wenn das Thema schon unter uns so heiß diskutiert wird, ist es genau richtig, um es in die Schule zu bringen."

In ihrem Heft setzen die Jungredakteure sich mit vielen Facetten des Todes auseinander. Sie berichten über Friedhöfe und die Fernsehreihe "Tatort". Sie erklären die Debatte um Sterbehilfe und unterhalten sich mit dem jüngsten Bestatter Münchens.

Oft bewegt sich ihre Arbeit auf einem schmalen Grat - zwischen Neugier und Anteilnahme, zwischen Klartext und Hemmung. Nowotny und ihre Mitschülerin Hannah Friedrich führen ein Interview mit einem Lehrer, der wegen eines Herzfehlers fast gestorben wäre. Erst haben die Schülerinnen Bammel, "wir haben ziemlich vorsichtig gefragt", erzählt Nowotny. Doch der Lehrer unterhält sich ganz offen mit ihnen. Es wird ein berührendes Gespräch darüber, wie die Nahtoderfahrung seine Wahrnehmung verändert hat. Den Schülern gibt er mit, sich ihr Leben nicht unnötig schwer zu machen: "Zum Beispiel in der Schule ist es doch egal, ob man in der 8. Klasse in Mathe einen Zweier, Dreier oder einen Vierer in irgendeiner Schulaufgabe hat. Es ist nicht wirklich wichtig." Am Ende des Interviews sind sowohl der Lehrer, als auch die Schülerinnen stolz, dass sie ihre Hemmungen überwunden haben. Nowotny sagt: "Ich hatte das Gefühl, dass ich viel lebendiger aus dem Gespräch rausgegangen bin."

Schülerzeitungswettbewerb: Dorothée Nowotny verantwortete die Siegerausgabe des Regensburger "Blickkontakt". Inzwischen hat sie ihr Abitur gemacht und will bald Psychologie in Magdeburg studieren.

Dorothée Nowotny verantwortete die Siegerausgabe des Regensburger "Blickkontakt". Inzwischen hat sie ihr Abitur gemacht und will bald Psychologie in Magdeburg studieren.

(Foto: David-Pierce Brill)

Eine Zerreißprobe ist auch die Wahl des Titelbildes. Um vier Uhr nachmittags, einen Tag, bevor die Zeitung in Druck gehen soll, treffen sie sich im Schülerzeitungs-Zimmer. Die Layouterin stellt ihre Titel-Entwürfe vor. "Dann war erst mal Stille, niemand hat was gesagt", erinnert sich Nowotny. Der Tod gehört wohl zu den Themen, die am schwierigsten darzustellen sind, jeder verbindet etwas anderes damit. Die Schüler sitzen bis ein Uhr nachts in der Schule und diskutieren. Zu langweilig, zu bunt, zu geschmacklos. Es gibt Tränen und Streit, doch am Ende steht eine Entscheidung: für das kohlrabenschwarze Cover mit dem Wort "Tod.". "Wir wussten, dass man normalerweise kein schwarzes Titelblatt druckt", sagt Chefredakteurin Nowotny. "Es braucht Mut, das durchzuziehen."

Doch am Ende lohnt es sich. Im Von-Müller-Gymnasium ist das Heft Gesprächsthema Nummer eins. "Sogar Fünftklässler sind zu mir gekommen und haben gesagt: Eure Schülerzeitung ist cool", erzählt Nowotny. Auch ältere Mitschüler, von denen sie nicht gedacht hätte, dass sie die Schülerzeitung lesen, hätten gesagt, wie sehr das Heft sie berührt habe. Und selbst die Skeptiker unter den Schülerzeitungsredakteuren, die sich anfangs noch gegen das Thema Tod gestellt hatten, waren letztlich zufrieden. Nowotny sagt: "Manche haben festgestellt, dass es wichtig für sie war, sich mal mit dem Tod zu beschäftigen."

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