Schloss Syburg in Franken:Ein Mann kämpft gegen die Welt

Eingaben, Beschwerden, Steuerboykott: Seit 35 Jahren mühen sich Behörden mit einem renitenten Schlossherrn ab. Die Geschichte eines wahnwitzigen Privatkriegs in der fränkischen Provinz.

Von Jan Stephan

Werner Röttenbacher ist eigentlich ein ruhiger Mann. Jetzt aber hat er sich in Rage geredet. Seine Stimme klingt heiser. "Ich lass mir doch nicht auf der Nase rumtanzen", sagt Röttenbacher. "Wir fechten das aus bis zum Schluss." Der Bürgermeister der kleinen mittelfränkischen Gemeinde Bergen will dem Rechtsstaat Beine machen. Das zehrt an seinen Nerven, denn er weiß: Sein Gegner ist ein harter Brocken, einer der sich seit 35 Jahren allem und jedem widersetzt hat - bis jetzt mit Erfolg. Röttenbachers Widersacher heißt Heinz K. (Name geändert). Ein mehr als 80 Jahre alter, dürrer Mann mit wirrer Frisur, der hinter den dicken Mauern eines Schlosses residiert. Er ist der Hauptdarsteller in einer bizarren Geschichte aus der fränkischen Provinz; einer, der auszog, die Welt das Fürchten zu lehren.

Dabei sieht K. nicht sonderlich einschüchternd aus. Mühsam schleppt er sich in Gerichtssäle und Amtsstuben. Sein Geist aber ist hellwach. K. verfasst unentwegt Eingaben, Beschwerden, Einsprüche, Widersprüche. Einen doppelten "Dipl.-Ing." trägt er im Briefkopf; gelegentlich taucht dort auch ein "Mathematik-Studienrat im Ruhestand" oder gar "Amtl. Sachverständiger NRW für zivile und militärische Atomwaffen-Schutzbauten" auf. Viel mehr weiß man nicht über sein Leben.

1977 erscheint er auf der Bildfläche, im Weiler Syburg, Gemeinde Bergen, Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen, ländliches Mittelfranken. Er ersteigert dort ein Schloss - einen der ältesten Adelssitze Mittelfrankens. Zur Rokoko-Anlage am Ufer des Erlenbaches gehören Park, Orangerie und Pavillon. Der Ingenieur zieht mit Frau und Sohn ein. Dann geht es los.

Seit drei Jahrzehnten wird prozessiert

1978 beschwert er sich erstmals bei der Gemeinde. Aus der Kläranlage des Dorfes würden "illegal unbehandelte und behandelte Abwässer" in den Schlossweiher und das Grundwasser fließen. Im Februar 1980 landet die Sache vor Gericht. Und da ist sie irgendwie noch immer. Seit mehr als drei Jahrzehnten prozessiert das Ehepaar nun schon gegen die Gemeinde und den Landkreis. Die Kommune soll für die angebliche Verschmutzung verantwortlich sein, die Kreisverwaltung nichts dagegen unternehmen. Deshalb, so K., setzen sich pro Jahr zwei Tonnen Kochsalze und Nitrate an den Schlossmauern ab und zerfressen Stein für Stein.

Dass über Jahre hinweg keine einzige behördliche Prüfung illegale Abwassereinleitungen ergab, ficht den Herrn von Syburg nicht weiter an. Denkvorgänge in Bürokratenhirnen seien nicht erschließbar, lässt er auf Nachfrage wissen. Das Wasserwirtschaftsamt Ansbach habe "nur auf die vorgeschriebenen Ablaufwerte laut der Betriebserlaubnis gesehen". Doch seien "auch noch Menschenrechte, Denkmalschutzrechte, Gesundheitsschutz und EU-Umwelt-Naturschutzrecht strikt zu beachten".

Wohnen im Seuchengebiet

Weil sich die Familie K. "in einem Seuchengebiet" wähnt, zahlt sie weder Grundsteuer, Müllgebühren, Gerichtskosten, noch erfüllt sie behördliche Bescheide. Stattdessen machen die Schlossbewohner eine seltsam anmutende Gegenrechnungen auf: "Wir verweigern nicht seit Jahren Zahlungen für Kommunalabgaben, sondern rechnen diese mit gesetzlich festgelegten Gegenforderungen auf", schreibt Heinz K. Der Ingenieur schickt nämlich seinerseits regelmäßig Rechnungen in Millionenhöhe an die Gemeinde Bergen - zum Beispiel für Einleitungsentgelte, die ihm angeblich zustünden.

Nach seiner Rechnung schulden ihm die Bundesrepublik Deutschland inzwischen 44 und die Gemeinde Bergen neun Millionen Euro. 140.000 Euro hat er der Kommune außerdem für den Ankauf von Mineralwasser in Rechnung gestellt. Fünf Liter pro Person und Tag, rückwirkend seit 1986. Begründung: Ihr habt uns den Schlossbrunnen versaut, jetzt müsst ihr unser Trinkwasser zahlen. Knapp 15.000 Euro pro Jahr fordert der Schlossherr als Entschädigung für ein Hotel, das er wegen der Verschmutzungen erst gar nicht habe bauen können.

Keines der Gerichte, die er anrief, hat ihm je Recht gegeben

Behörden und Gerichte haben zigfach entschieden, dass die Familie K. im Unrecht ist. Doch der alte Mann schlägt den Rechtsstaat mit dessen Waffen. Gegen jeden Behördenschrieb, gegen jeden amtlichen Bescheid geht er vor. Er schreibt zurück, legt Einsprüche, Widersprüche und Beschwerden ein, lehnt Fachgutachter ab, ficht angebliche Formfehler an, reiht Prozess an Prozess. So geht Jahr um Jahr ins Land.

Keines der Gerichte, die er anrief, hat ihm je Recht gegeben. Und er hat viele behelligt. Folgen hat das nicht. Genauso wenig wie Absagen der Europäischen Kommission für Menschenrechte und des Petitionsausschusses des Europäischen Parlaments, die seine Ansprüche für ungerechtfertigt halten. In der Gemeindeverwaltung, im Landrats- und im Wasserwirtschaftsamt, in der Denkmalbehörde, ja sogar in Justiz- und Steuerbehörden - überall sitzen Beamte, die kapituliert haben vor dem renitenten Alten.

Ratlosigkeit und Frust in den Amtsstuben

In den Amtsstuben herrscht Ratlosigkeit und Frust. "Das Problem ist, dass sich alle staatlichen Stellen inhaltlich mit dem auseinandersetzen müssen, was dieser Mann schreibt", sagt Anwältin Silvia Meyerhuber. "So unsinnig das auch ist." Die Juristin vertritt die Gemeinde Bergen. Es ist ein zeitaufwendiges Mandat. Jeder Schrieb des Herrn bedeutet: dicke Schriftsätze lesen, Paragrafen wälzen, Erwiderungen formulieren. Und alles wieder von vorn - wenn der nächste Einwand kommt. Und der kommt. Beharren die Behörden darauf, dass auch für den Schlossherren von Syburg Recht ist, was für alle Bürger billig ist, bedeutet dies jahrelange Rechtsstreitigkeiten.

"Pathologische Querulanz gegen Alles und Jedermann"

"Es gibt keine Behörde in der Kreisverwaltung, die nicht mindestens einen halben Meter Akten hat, die sich mit diesem Mann beschäftigen", sagt einer aus dem Landratsamt. Im Ansbacher Wasserwirtschaftsamt füllten die Vorgänge um den Mann "drei große Regale", wie ein ehemaliger, entnervter Behördenleiter einem Gericht schrieb: Es ist die Rede von "pathologischer Querulanz gegen Alles und Jedermann", von absurden Strafanzeigen gegen Gott und die Welt, von gezielter Rechtsverdrehung und von vielen anderen unfreundlichen Dingen. Das Schreiben schließt mit einem flehenden Appell: "Wir ersuchen darum, künftig in diesen Verfahren nicht mehr gehört zu werden, da wir wirklich wichtigere Aufgaben zu erfüllen haben, als uns ständig mit Herrn K. zu beschäftigen."

So ist der Staat in Ohnmacht erstarrt. Ein Beispiel: 2005 verpflichteten die Behörden den Schlossbesitzer, eine Kleinkläranlage für sein Areal zu errichten. Über Jahre hinweg sah vorsichtshalber niemand nach, ob die Kläranlage tatsächlich gebaut wurde. Nachdem im August 2012 die Lokalzeitung über den Fall berichtet, gibt es einen Ortstermin. Das Ergebnis: Es gibt auf Schloss Syburg auch nach sieben Jahren keine Kläranlage, nicht einmal einen Bautermin. Das Landratsamt lässt auf Nachfrage offen, wie man den gültigen Bescheid in die Tat umsetzen will.

Soweit Gläubiger wie der Staat ihre Forderungen überhaupt geltend machen, verpuffen ihre Versuche, sie einzutreiben. Der Schlossbesitzer wehrt sich gegen die Zahlung seiner Schulden, indem er neue Schulden ansammelt. Er verliert Prozess um Prozess, zahlt die entstandenen Gerichtskosten aber nicht. Gläubiger, zu denen auch der Freistaat Bayern gehört, haben Sicherungshypotheken auf das Schloss eintragen lassen, insgesamt mehr als 200.000 Euro - und das ist längst nicht alles: Kenner des Falles glauben, dass die Summe den Wert des arg ramponierten Schlosses übersteigt.

Was bleibt, ist die harte Tour

Was bleibt, ist die harte Tour: Pfändung, Zwangsversteigerung und Durchsetzung der Ansprüche mit Polizeigewalt - wer sich weigert, dem droht Gefängnis. Zumindest in der Theorie. Schuldner könnten Zwangsvollstreckungsverfahren durch wiederholte umfangreiche Eingaben bei Gericht teils erheblich verzögern, sagt Dieter Hubel, der Direktor des Amtsgerichts in der Kreisstadt Weißenburg.

In Sachen "wiederholte umfangreiche Eingaben" ist der Syburger Schlossbesitzer ein Virtuose. Nun aber hat ihm Werner Röttenbacher, der Bürgermeister von Bergen, den juristischen Krieg erklärt. Beruflich war Röttenbacher mal staatlicher Lebensmittelkontrolleur. Es geht ihm gegen die Ehre und seinen Gerechtigkeitssinn, dass in seiner Gemeinde jemand seit Jahrzehnten sich die Regeln selbst macht. Nun soll Gemeinde-Anwältin Meyerhuber alle gemeindlichen Forderungen eintreiben und bei den übergeordneten Behörden Druck machen, dasselbe zu tun. "Muss das denn sein?", hat ihn ein Justiz-Mitarbeiter gefragt.

Nun steht die Zwangsvollstreckung im Raum. Der Schlossbesitzer hat den zuständigen Gutachter bereits abgelehnt. Weil er kaum jemanden ins Schloss lässt, wurde die Anlage von außerhalb der Mauern grob geschätzt. Der Schlossherr geht nun gegen dieses Gutachten vor. Und wieder fliegen die Briefe hin und her. Allein die Entscheidung, ob das Gutachten rechtlich zulässig ist, wird nach Lage der Dinge Monate brauchen. Dann kommt der nächste Einwand - und so weiter, und so weiter. Das ist das Prinzip Syburg, seit 35 Jahren.

Wer es sich vom Schlossherrn persönlich erklären lassen will, kommt nicht weit. Ein schmaler Schotterweg endet am Schlosstor - sofern man sich am Verbotsschild und der Warnung vor dem "bissigen Hund" überhaupt vorbeitraut. Eine Klingel ist nicht zu sehen, auf Klopfen und Hupen antworten nur die Vögel im verwilderten Schlosspark. Nirgendwo könnte man das Märchen Dornröschen besser verfilmen als auf Schloss Syburg. Undurchdringlich sind Wald, Wasser und Gestrüpp rings um das Gemäuer. Der schmiedeeiserne Zaun rostet pittoresk vor sich hin - und hält die Welt vom Schloss fern.

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