CSU:Schleierfahndung statt "Schengen-Auszeit"

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Wie in längst vergangenen Zeiten: Polizisten kontrollieren vor dem G-7-Gipfel Autos an der deutsch-österreichischen Grenze nahe Mittenwald. (Foto: REUTERS)
  • Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer will nicht am Schengen-System rütteln und widerspricht damit seinem Finanzminister Markus Söder.
  • Söder hatte in einem Interview gefordert, das gesamte Schengen-System "auf den Prüfstand" zu stellen.
  • Statt einer "Auszeit" von Schengen will Seehofer die Schleierfahndung ausweiten, bei der verdachtsunabhängig Personen kontrolliert werden können.
  • Die Staatsregierung spricht sich außerdem dafür aus, härter gegen Flüchtlinge vom Balkan vorzugehen.

Von Daniela Kuhr und Wolfgang Wittl, München

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hat sich klar von der Forderung seines Finanzministers Markus Söder (beide CSU) nach einer "Schengen-Auszeit" distanziert. "Ich möchte keine Lösungsansätze vertreten, die schwierig und nicht zu realisieren sind", sagte Seehofer am Montag in München. Auch die Bundesregierung sprach sich dagegen aus. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, man strebe "keine Veränderungen des Schengen-Grenzkodex" an. Söder hatte am Wochenende in der Bild am Sonntag gefordert, das gesamte Schengen-System "auf den Prüfstand" zu stellen.

Freizügigkeit sei ein hohes Gut, sie dürfe aber den Schutz der Bürger nicht gefährden, hatte Söder geschrieben. "Ein Staat oder ein Staatenbund, der seine Grenzen und damit seine Bürger nicht mehr ausreichend schützen kann, verliert deren Akzeptanz." Hintergrund ist die hohe Zahl von Flüchtlingen, aber auch einigen gesuchten Kriminellen, die die Polizei bei den rund um den G-7-Gipfel vorübergehend wieder eingeführten Grenzkontrollen aufgegriffen hat. Wenn sich in Europa nichts ändere, meinte Söder, müsse in Deutschland eine "Schengen-Auszeit" geprüft werden.

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Weil zum G-7-Gipfel das Schengen-Abkommen ausgesetzt wurde, konnte die Bundespolizei hunderttausende Menschen überprüfen. Die CSU fordert daraufhin mehr Grenzkontrollen in Europa.

Seehofer stellte am Montag klar, dass er "entschieden gegen Polarisierung und Zuspitzung" sei. Die Erfahrung zeige, dass ein Teil der Bevölkerung sonst sage: "Dann gehe ich lieber gleich zum Schmidt und nicht zum Schmidtchen" - womit der CSU-Chef seine Sorge ausdrückte, dass allzu rechtsgerichtete Äußerungen die Wähler womöglich zur NPD treiben könnten. Auch das durfte man als klaren Seitenhieb gegen Söder werten, der schon lang keinen Hehl daraus macht, dass er Seehofers Nachfolge sowohl als Ministerpräsident als auch als CSU-Chef antreten will. Er sei "entschieden gegen eine Politik von dumpfen Parolen", sagte Seehofer. Stattdessen sei er "für Problemlösungen". Die seien "der beste Schutz vor Radikalismus".

Über Ausnahmen beim Schengen-Abkommen nachdenken

Seehofer betonte, dass die "Asyl-Herausforderungen" nur in einer "Verantwortungsgemeinschaft von EU, Bund und Ländern gemeistert werden" könnten. Vor dem Spitzentreffen der Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an diesem Donnerstag in Berlin hat Bayern daher einen 16 Punkte umfassenden Forderungskatalog erarbeitet. Darin spricht sich die Staatsregierung unter anderem dafür aus, härter gegen Flüchtlinge vom Balkan vorzugehen. Seehofer betonte, dass die Solidarität in der Bevölkerung für schutzbedürftige Flüchtlinge hoch sei. "Doch wenn wir diese Solidarität erhalten wollen, müssen wir das Problem der Zuwanderung aus dem Balkan lösen, wo es eben fast immer keine Gründe für Asyl gibt."

Albanien, Kosovo und Montenegro müssten daher in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten aufgenommen werden, heißt es in dem Forderungskatalog, den Seehofer gemeinsam mit Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) vorstellte. Zudem müssten mehr Möglichkeiten geschaffen werden, Leistungen für Personen zu kürzen, die aus sicheren Herkunftsländern stammen oder deren Asylanträge offensichtlich unbegründet seien.

Statt wie von Söder gefordert, wieder mehr Grenzkontrollen einzuführen, will Bayern die Schleierfahndung intensivieren, kündigte Herrmann an. Diese Form der Fahndung ermöglicht Bayern, in einem Bereich von 30 Kilometern entlang der Grenze verdachtsunabhängig Personen zu kontrollieren. Bayern steht mit seinen Überlegungen nicht allein. Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) sagte der Leipziger Volkszeitung, nach den Erfahrungen beim G-7-Gipfel könne man "nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen". Man müsse über Ausnahmen beim Schengen-Abkommen nachdenken.

Seehofer spricht sich für europäische Asylzentren in Nordafrika aus

Seehofer betonte, ihm sei wichtig, dass Bund und Länder bis zum frühen Herbst auch strukturelle Änderungen erarbeiteten. "Wenn wir nur Geld verteilen wollen, sitzen wir im vierteljährlichen Rhythmus zusammen und sagen der Kanzlerin: Das Geld reicht nicht." Der Ministerpräsident unterstützt explizit den Vorschlag von CSU-Landtagsfraktionschef Thomas Kreuzer, der sich für europäische Asylzentren in Nordafrika aussprach. Solche Überlegungen müssten auf jeden Fall weiterverfolgt werden. Ob in solche Zentren auch Flüchtlinge aus Booten im Mittelmeer zurückgeschickt werden könnten, wollte der Ministerpräsident nicht sagen. Es gebe noch kein ausgearbeitetes Konzept.

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Massive Kritik kommt von den Grünen: Die CSU trete bewusst als Scharfmacher auf und vergifte durch ihre schrillen Töne das gesellschaftliche Klima, sagte die bayerische Fraktionsvorsitzende Margarete Bause. Söder habe sich Forderungen zu eigen gemacht, wie sie die NPD in Sachsen vertrete. Den Vorstoß von CSU-Fraktionschef Kreuzer, Auffangzentren in Nordafrika zu schaffen, bezeichnete Bause als untauglichen Versuch, "vor dem Elend der Flüchtlinge die Augen zu verschließen".

Selbst in der CSU gab es bislang abweichende Auffassungen zu Kreuzers Plänen. Die Frage sei, unter welchem Mandat solche Unterkünfte überhaupt errichtet werden könnten. Zudem würden sie wegen ihrer Infrastruktur noch viel mehr Menschen zum Verlassen ihrer Heimat veranlassen als bisher schon. Die Kosten pro Camp seien mit einem dreistelligen Millionenbetrag zu veranschlagen.

© SZ vom 16.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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