Satirischer Stadtführer:Lehm un lehm loun

Der Nürnberger Kabarettist Bernd Regenauer hat eine eigenwillige Liebeserklärung an seine Heimat verfasst

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Der Kabarettist Bernd Regenauer hat ein Buch über Nürnberg geschrieben, ein "satirisches Handgepäck". Wichtig daran ist die Einführung, in der sich Regenauer als Ur-Nürnberger zu erkennen gibt, als Überzeugungsfranke, sogar als Anhänger, jawohl, des örtlichen Fußballklubs. Regenauer isst pflichtbewusst Bratwürste und legt morgens sein Gesicht vorsorglich in Falten, "um dem herannahenden Desaster die zerfurchte Stirn zu bieten". Zwar ist er in München geboren, hat es dort aber nur ein paar Monate aushalten müssen. Seit bald 60 Jahren ist er Zentralfranke, lebt mitunter vor, meistens mitten in Nürnberg. Und das ist, wie gesagt, wichtig. Denn einem Nürnberger gestatten die Nürnberger Schmähreden auf ihre Stadt. Vielmehr: Sie erwarten es sogar.

Regenauer kann damit gut dienen, seine gerade erschienene Handreichung für eine Halbmillionenstadt könnte man als 160-Seiten-Verriss lesen. Aber, je nach Perspektive, auch als radikal-subjektive Liebeserklärung an jemanden, der mit Liebeserklärungen grundsätzlich unterversorgt ist. Das macht das Buch so lesenswert. Wer als Nicht-Nürnberger wissen will, wie diese Stadt tickt, der kann das bei Regenauer lernen. Zumindest als Versuch.

Regenauer ist auch der Erste, der einem verbreiteten Schild auf fränkischen Dixi-Klos endlich den Rang einräumt, den es verdient. Wobei Regenauer angibt, dieses Schild "östlich von Nürnberg an einer Baustelle" entdeckt zu haben. Was sich anhört wie eine seltene Orchidee, die er beiläufig am Wegesrand aufgetan hat. In Wahrheit steht das Klo der Toilettenwagen-GmbH "Franken WC" mit der Aufschrift "Ihr Geschäft ist unser täglich Brot" nicht allein im Osten der Stadt, es steht auch im Westen, Norden und Süden und vor allem mitten in der Stadt. Man kommt daran ständig vorbei, zumeist nach dem Frühstück, frühmorgens auch gerne mal davor. Und noch nie, so weit zu sehen ist, hat irgendjemand wissen wollen, was dahinter steckt. Subversiver Humor? Oder unfreiwilliges Fäkal-Dada? Auch Regenauer weiß das nicht, es ist aber auch wurscht, findet er: "So oder so gibt der Spruch ein Stück fränkischer Seele preis: die Bereitschaft, sich mit dem Unausweichlichen zu arrangieren."

Das ist tief gedacht. Regenauer erklärt die Stadt aber auch für Hektische: "Ein Staatstheater, zwei Volksfeste jährlich nebst einer Volksfestkönigin, ein Altstadtfest, drittgrößter Fernsehturm Deutschlands, sechstgrößtes Museum der Welt, alle zwei Jahre ein Menschenrechtspreis, ein Rassengesetz und derzeit zwei Neonazis im Stadtrat." Und weiter für historisch Interessierte: "Nürnberg war nach Köln die zweitgrößte Stadt im Heiligen Römischen Reich. Die erste deutschsprachige Oper kommt dank Harsdörffer von hier, auch wenn sie heute keine Sau mehr hören möchte. Wir hatten hier die erste Buchhandlung Europas. Wir lieferten bis China Instrumente, versorgten ganz England mit Posaunen. Wir waren im Zentrum des Notendrucks, Johann Sebastian Bach war oft zu Gast bei uns und Pachelbel komponierte sich den Wolf. Wir hatten im Rathaus den größten Saal nördlich der Alpen, da wurde die Goldene Bulle verabschiedet, das Grundgesetz des Heiligen Römischen Reichs. Später dann, 1835, rumpelte die erste deutsche Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth. Ein Missverständnis, da bis heute kein Nürnberger ohne zwingenden Grund nach Fürth möchte."

Tempi passati, und so wird es mitunter schonungslos bei Regenauer. Dass Nürnberg vor nicht allzu langer Zeit "in einem Meer aus Antriebsschwäche, Zauderei und Stillstand" versunken lag und "komplexbeladene Neurosen" auslebte, das darf wirklich ausschließlich ein Ur-Nürnberger attestieren. Das hier sowieso: "München mit seiner Staatsregierung, mit seinem Pomp und Glamour war an allem schuld."

Aber die Dinge, findet Regenauer, haben sich inzwischen geändert, selbst aus satirischer Perspektive. Und so lassen sich vor allem Regenauers Rundgänge durch die Quartiere der Stadt empfehlen, der Besuch etwa im geliebten Glasscherbenviertel Gostenhof (das Motto dort: "lehm un lehm loun") und in Johannis ("old school, aber nicht altmodisch, cool"). Oder einen Besuch auf dem Altstadt-Kettensteg, "dessen Schwankungen Sie sich nicht einbilden". Insgesamt ist das alles doch eher Liebeserklärung als Verriss. Bis auf eine Ausnahme: das Bayerische Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat. Da wird es richtig sarkastisch.

Bernd Regenauer, Nürnberg - satirisches Handgepäck. Michael Müller Verlag. Erlangen 2016

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