Sankt-Josef-Stift Eisingen:Züchtigung für einen Lehrfilm

In einer Behinderteneinrichtung in Eisingen ist eine Frau möglicherweise für Filmaufnahmen drangsaliert worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Eine Führungskraft wurde fristlos gekündigt.

O. Przybilla

Wegen Dienstvergehen ist eine Führungskraft der größten Einrichtung für Menschen mit Behinderung in Unterfranken entlassen worden. Der Geschäftsführer des Sankt-Josef-Stifts in Eisingen, Bernhard Götz, bestätigte am Montag entsprechende Informationen der Süddeutschen Zeitung.

Der bisherigen Leiterin der Förderstätte wird vorgeworfen, in einer Gruppe für Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten "offenkundiges pädagogisches Fehlverhalten" des Personals zumindest geduldet zu haben. Gegen eine ehemalige Fachkraft der Gruppe erstattete die Geschäftsführung außerdem Anzeige wegen des Verdachts auf Nötigung, Misshandlung von Schutzbefohlenen und Körperverletzung.

Das Einschreiten ist der Aufmerksamkeit einer Hilfskraft zu verdanken. Der neue Mitarbeiter hatte beobachtet, wie Bewohner des Stiftes lange und ohne hinreichenden Grund in einen sogenannten Time-Out-Raum gesperrt wurden, bestätigt Stiftsleiter Götz.

Eine halbe Stunde lang drangsaliert

Mitarbeiter berichten von "Wegsperren aus nichtigem Grund". Die Führungskraft wird beschuldigt, sogar geduldet zu haben, dass Bewohner "präventiv" eingesperrt wurden - noch bevor es zu etwaigen aggressiven Handlungen gekommen sei. Außerdem seien die Sanktionen gegen Bewohner unzureichend dokumentiert worden. Überdies soll in der Gruppe ein völlig inakzeptabler Umgangston geherrscht haben, von dem Hilfskräfte betroffen waren - und Menschen mit Behinderung.

Ein Videofilm, der erst nach der Entlassung der Führungskraft entdeckt wurde, scheint die Vorwürfe zu erhärten. In dem Film ist nach Angaben der Stiftsleitung zu sehen, wie eine behinderte Erwachsene nahezu eine halbe Stunde lang drangsaliert worden ist. Das Video war offenkundig als eine Art Lehrfilm für neue Mitarbeiter gedacht, wie mit der betreffenden Bewohnerin im Falle von auffälligem Verhalten umgegangen werden soll.

Unter anderem soll zu sehen sein, wie die Bewohnerin von einer Mitarbeiterin "auf den Boden gelegt und ohne Einsatz von Hilfsmitteln fixiert" wird, bestätigt eine Sprecherin des Stifts. Ob sich die Frau mit Behinderung zuvor auffällig verhalten hatte - oder den Film lediglich zu Lehrzwecken über sich ergehen lassen musste, geht aus den Bildern nicht hervor. Nach Angaben der Stiftsleitung gibt die Erwachsene während der Tortur mehrfach zu verstehen, dass sie die Züchtigung nicht über sich ergehen lassen will. Trotzdem sei der Lehrfilm weitergedreht worden.

Die Fachkraft hat die Einrichtung verlassen. Eine Mitarbeiterin, die den Videoapparat nahezu 30 Minuten lang auf die Frau mit Behinderung richtete, arbeitet dagegen weiterhin in der Einrichtung. Gegen sie hat die Stiftsleitung ebenfalls Strafanzeige erstattet, wegen des Verdachts der Duldung einer Nötigung. Die Mitarbeiterin wurde in einen anderen Stiftsbereich versetzt, entlassen soll sie nicht werden. Die Frau neige dazu, "Aufträge von Vorgesetzten kritiklos auszuführen", begründet das der Stiftsleiter.

Das Video wurde erst durch einen Zufall entdeckt. Die Förderstätte wird derzeit renoviert, während des Umbaus waren Mitarbeiter auf den Film gestoßen. Als Begründung für die Kündigung der Führungskraft konnte das Video nicht mehr verwendet werden - es fand sich erst nach deren Entlassung. Die bisherige Leiterin der Förderstätte, die am Montag nicht für eine Stellungnahme zu erreichen war, bestreitet nach Angaben einer Stiftssprecherin die Vorwürfe. Sie klagt vor dem Arbeitsgericht Würzburg gegen ihre Kündigung.

Führungskräfte der Einrichtung stehen nicht zum ersten Mal in der Kritik. Vor zehn Jahren war die Einrichtung bundesweit in die Schlagzeilen geraten, weil Humangenetiker an Bewohnern Blut für Forschungszwecke entnehmen durften. Wegen Misshandlung Schutzbefohlener und Körperverletzung waren zwei Jahre zuvor mehrere Gruppenbetreuer und ein Bereichsleiter zu Geldstrafen verurteilt worden.

In der Einrichtung, in deren Obhut momentan 380 Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung leben, waren damals über Jahre hinweg Bewohner vom Pflegepersonal körperlich gezüchtigt und gedemütigt worden. Die damalige Stiftsleitung stand in der Kritik, die Vorfälle vertuscht zu haben. Diesem Vorwurf werde man sich diesmal nicht aussetzen, sagt der Stiftsleiter. Trotzdem hatte die Einrichtung die Öffentlichkeit bislang nicht über das Video informiert. Auf SZ-Anfrage bestätigte am Montag der Würzburger Oberstaatsanwalt Erik Ohlenschlager die Aufnahme von zwei Ermittlungsverfahren gegen eine aktuelle und eine ehemalige Mitarbeiterin der Einrichtung.

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