Sanierungsprogramm:Wie Bäume unsere Straßen schützen

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In Bayern werden seit Jahrzehnten reine Nadelwälder nach und nach mit Laubbäumen zu Mischwäldern umgewandelt. (Foto: imago)
  • In Bayern gibt es insgesamt 250 000 Hektar Bergwald. Davon sind 150 000 Hektar oder 60 Prozent als Schutzwald eingestuft.
  • Seit 30 Jahren investiert der Freistaat enorm in die natürliche Methode, Straßen vor Lawinen und Steinschlag zu schützen.
  • Weil es zu viel Rotwild gibt, brauchen die Bäume mehr Pflege.

Von Christian Sebald, München

Der Ettaler Berg ist berüchtigt - vor allem in der Urlaubszeit: Tagein, tagaus quälen sich hier Autos, Motorräder, Lkw und Busse von Oberau aus die B 23 hinauf nach Kloster Ettal. Die Straße zählt zu den meist befahrenen in den bayerischen Bergen. So stark ist hier der Verkehr, dass die Fahrer keinen Blick für den prächtigen Mischwald haben, der sich links und rechts der Bundesstraße über die gesamte 1700 Meter hohe Bergflanke erstreckt. Dicht an dicht wachsen hier junge Buchen. Wer nur wenige Meter abseits der Straße in dem Baumgewirr steht, sieht nichts mehr von den Autoschlangen. Er hört nur den Motorenlärm. Den meist keine 30 Jahre alten Buchenbäumchen macht er nichts aus. Sie stehen bestens da.

Der Bergwald am Ettaler Berg ist ein ganz besonderer Wald. Er ist ein Schutzwald. Das heißt: Sein oberster Zweck ist die Sicherheit des Verkehrs auf der B 23. Kein Steinschlag, der sich irgendwo oben am Berg löst, soll ihm etwas anhaben können. Der Bergwald soll kleine und große Felsbrocken stoppen, lange bevor sie die Bundesstraße erreichen. Das gleiche gilt für Muren und im Winter für Lawinen. Zwar gehen am Ettaler Berg meist nur kleine Lawinen ab, mit einer Abrisskante von vielleicht zwei Baumlängen. Aber auch das sind schnell Hunderte Tonnen Schnee. Der dichte Schutzwald soll sie schon nach wenigen Metern aufhalten.

Wie wichtig Schutzwälder wie am Ettaler Berg für die Sicherheit auf den Straßen und anderen Verkehrswegen, aber auch für die vielen Dörfer in den bayerischen Alpen sind, zeigen zwei Zahlen: In Bayern gibt es insgesamt 250 000 Hektar Bergwald. Davon sind 150 000 Hektar oder 60 Prozent als Schutzwald eingestuft. Das Credo von Forstminister Helmut Brunner (CSU) lautet denn auch: "Intakte Schutzwälder sind die beste Vorsorge gegen Naturgefahren in den Bergen." Und weil das so ist, lässt sich der Freistaat ihre Pflege sehr viel Geld und Mühe kosten - seit exakt 30 Jahren.

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Von Christian Sebald

Es war im Jahr 1986, als die Staatsregierung beschloss, sich besonders intensiv um die Schutzwälder zu kümmern. Damals legte sie das erste Schutzwald-Sanierungsprogramm auf. Der Bergwald am Ettaler Berg stand schon zu dieser Zeit besonders im Fokus. Vor allem in seinen höheren Lagen war er licht und kahl. Zudem bestand er fast nur aus älteren Fichten. Zwischen ihnen erstreckten sich weitläufige Grasflächen - auf denen im Winter Schneebretter und Lawinen schnell Fahrt aufnehmen konnten. Um den Bergwald wiederherzustellen, pflanzten die Förster in den Neunzigerjahren viele Tausend Buchen. Seither hegen und pflegen sie die Bäumchen, damit sie bald einen dichten Schild bilden und die Funktion der alten Schneerechen und anderer technischer Schutzvorrichtungen übernehmen können.

So wie am Ettaler Berg mühten sich die Förster vielerorts ab. Am Hagnberg hinter Schliersee zum Beispiel, am Fahrenberg am Walchensee sowie an der Weißwand und am Antoniberg im Berchtesgadener Land. "Alles in allem haben sie seit 1986 mehr als 13 Millionen Bäumchen gepflanzt", rechnet Brunner anlässlich des Jubiläums vor. Allein der Freistaat hat sich das 85 Millionen Euro kosten lassen. Die Staatsforsten, welche seit zehn Jahren die Staatswälder bewirtschaften, haben weitere 20 Millionen Euro in die Schutzwälder hineingesteckt. Für Brunner ist das Programm ein großer Erfolg. "Auf 1000 Hektar ist der neue Schutzwald schon so herangewachsen, dass nur noch gelegentliche Pflegemaßnahmen anfallen", sagt er. "Weitere 2000 Hektar sind bald so weit." Staatsforsten-Chef Martin Neumeyer verkündet stolz: "Die enormen Anstrengungen der letzten Jahrzehnte tragen nun Früchte."

Stürme und der Klimawandel spielen den Bergwäldern besonders übel mit

Tatsächlich fällt die Bilanz aber nicht so rosig aus. Zum einen haben die Förster lernen müssen, dass ihre jungen Bäumchen in den Bergen sehr viel langsamer gedeihen als im Flachland. Denn dort herrscht ein sehr viel raueres Klima. Zum anderen spielen Stürme und der Klimawandel den Bergwäldern besonders übel mit. So sind die Sanierungsflächen im Lauf der Zeit deutlich mehr statt weniger geworden. 1986 waren 9000 Hektar in dem Programm. Inzwischen sind es 14 000 Hektar. Und das einst auf 20 Jahre angelegte Programm ist längst Daueraufgabe geworden.

Ein zentraler Apsekt dafür ist die Jagd. Für die vielen Rehe, Hirsche und Gämse in den Bergen sind die Triebe der jungen Buchen in den Schutzwäldern Leckerbissen - sie würden die Bäumchen am liebsten zusammenfressen. Zwar gehen die Förster und die Jäger der Staatsforsten in den Schutzwäldern sehr scharf auf die Jagd. Aber Experten sagen, dass dennoch immer mehr Wild in den Bergwäldern lebt.

Im Werdenfelser Land, an dessen Rand der Ettaler Berg liegt, tummeln sich Schätzungen zufolge auf 100 Hektar Wald bis zu sechs Stück Rotwild. Wenn die jungen Buchen von alleine gedeihen sollen, dürften es höchstens 1,5 Stück auf 100 Hektar sein, sagen Fachleute. Forstminister Brunner betont deshalb: "In den Schutzwäldern gibt es keine Alternative zu einer scharfen Jagd." Auch am Ettaler Berg, damit die Bäumchen dort weiter gedeihen.

© SZ vom 10.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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