Sanierungsarbeiten:Die Nussknacker

Ganze vier Monate haben die Augsburger Theatermacher um Intendantin Juliane Votteler Zeit, um eine Ersatzspielstätte für das kurzfristig zugesperrte Große Haus aufzutreiben. Ist das zu schaffen? Wenn ja, unter welchen Bedingungen? Die meisten Fragen sind noch offen

Von Stefan Mayr, Augsburg

"Nur noch 9 Vorstellungen." Die Ziffer leuchtet blutrot auf der großen Anzeigetafel über dem Portal des Augsburger Theaters. Der Countdown läuft. Am 19. Juni - also in elf Tagen - wird das Große Haus wegen akuter Mängel im Brandschutz bis auf weiteres zugesperrt. Als Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU) dies in einer sehr kurzfristig anberaumten Pressekonferenz verkündete, saß Intendantin Juliane Votteler neben ihm und schlug ihre Hände vors Gesicht. Verständlicherweise. Ihr blieben von diesem Tag an ganze vier Monate, um die kommende und bereits komplett durchgetaktete Spielzeit 2016/17 neu zu planen. Ohne eine Ersatzspielstätte zur Hand zu haben.

Ursprünglich sollte im Großen Haus am 23. September die erste Premiere stattfinden. Mit dem Ballett "Der Nussknacker". Man muss diese Aufgabe an dieser Stelle so nennen: Eine sehr, sehr harte Nuss. Können Votteler und ihr Ensemble diese knacken? Ist das zu schaffen? Wenn ja, unter welchen Einschränkungen? Frei nach Bert Brecht lässt sich heute feststellen: Bald fällt der letzte Vorhang, und es sind noch fast alle Fragen offen.

Wie ist die Stimmung beim Personal?

Patrick Wengenroth

Probesitzen im ehemaligen Soldaten-Kino der US-Kaserne. Brechtfestivalleiter Patrick Wengenroth sucht trotz aller Widrigkeiten in bester Laune eine neue Spielstätte.

(Foto: Stefan Puchner)

Juliane Votteler sitzt in ihrem Büro und versucht erst gar nicht, ihre Gemütslage zu überspielen. Auf die Frage, wie es ihr gehe, sagt sie: "Bitte die nächste Frage." Sie schickt ihr markantes Lachen hinterher und antwortet dann doch ausführlich. Sie spricht von "Schockstarre". "Wir können all das in der ganzen Konsequenz immer noch nicht fassen." Dann greift sie - wiederholt - zur Mutter aller Durchhalteparolen: "Aber wir schaffen das."

Stehen die Mitarbeiter auf der Straße?

Das nicht. Kein Arbeitsplatz am Theater ist durch die Schließung gefährdet. Das Vierspartenhaus (Schauspiel, Musiktheater, Ballett, Konzert) hat 386 Mitarbeiter. Davon sind 22 Schauspieler, 18 Balletttänzer, 33 Chorsänger und 90 Orchester-Mitglieder. 60 Künstler haben sogenannte Soloverträge, die an die Intendanz gebunden sind. Ihre Verträge laufen aus, wenn Votteler nach der Spielzeit 2017 das Haus verlässt. Das alles ist Usus - und unabhängig von der Schließung des Großen Hauses.

Sanierungsarbeiten: Rauchtest im Augsburger Stadttheater. Das Gebäude wurde im vergangenen Jahr geschlossen und soll nun generalsaniert werden.

Rauchtest im Augsburger Stadttheater. Das Gebäude wurde im vergangenen Jahr geschlossen und soll nun generalsaniert werden.

(Foto: Stadt Augsburg)

Wohin zieht das Theater?

"Am liebsten wäre uns eine einzige Spielstätte", sagt Theater-Sprecher Philipp Peters. Aber das wird ein Traum bleiben. Zumindest am Anfang der Spielzeit 2016/17 wird das Ensemble über diverse Bühnen vagabundieren müssen. Mindestens die ersten zwei Premieren, die im Großen Haus geplant waren, werden an zwei verschiedenen Orten stattfinden und "en suite" durchgespielt, wie Votteler sagt. "Der Nussknacker" und "Der Jüngste Tag" blockweise im Schnelldurchlauf. Immerhin will Votteler keine geplante Produktion komplett streichen - allenfalls abspecken. Von Januar an will sie alle Produktionen wie angesetzt durchziehen. Bis dahin will sie auch ein dauerhaftes Domizil bezogen haben. Als Favorit hierfür zeichnet sich das Messegelände ab. Dort stimmt die Infrastruktur (Parkplätze, Nahverkehr, Catering), und dort ist vor allem genug Platz für die Zuschauer wie auch für Orchester und Chor, Technik und Bühnenbild. Und dort hat man - im Gegensatz zu anderen Gewerbehallen - Erfahrung mit einem Wortungetüm, dem man nichts hinzufügen muss: Versammlungsstättenverordnung. Ob "Tosca" und "Faust" in der Messehalle aufschlagen werden? Die ersten Besichtigungen und Gespräche haben stattgefunden. Noch gibt sich Votteler bedeckt: "Wir sagen nichts, bis alles in trockenen Tüchern ist." Im Juli wolle sie verkünden, wie die neue Spielzeit aussehen wird.

Die Kongresshalle und das ehemalige Gaswerk können erst 2017 respektive 2018 bespielt werden. Denn der Kongress ist zunächst weitgehend ausgebucht, und das alte und lange Zeit leer stehende Gaswerk muss erst hergerichtet werden.

Muss das Personal auch umziehen?

Nein, das bleibt den Mitarbeitern erspart. Das Große Haus wird lediglich für den Publikumsverkehr geschlossen. Ansonsten können alle Büros, Werkstätten und Proberäume weiter benützt werden. Diese befinden sich zwar in miserablem Zustand, aber besser eine schäbige Heimat als gar keine. "Das entkrampft die Situation etwas", sagt Kulturreferent Thomas Weitzel.

Intendantengespräch Augsburg

Sehr zum Verdruss von Intendantin Votteler.

(Foto: Stefan Puchner)

Gibt es finanzielle Auswirkungen?

Juliane Votteler redet Klartext: "Unser Wirtschaftsplan ist so nicht haltbar." Die Einnahmen werden sinken, die Ausgaben steigen. Genaue zahlen kann sie aber noch nicht nennen. Derzeit liegen 45 Kündigungen von Abonnenten vor. Ein zusätzlicher Kostenfaktor werden die Mieten sein: Auch die Stadttochter Messe muss von ihrer Schwester Theater Miete verlangen.

Was wird aus dem Brecht-Festival?

Das Festival zu Ehren des Augsburgers Dramatikers wird wie geplant Anfang März stattfinden. Immerhin. Allerdings muss der neue Festivalleiter Patrick Wengenroth ebenfalls kräftig improvisieren. Ursprünglich hatte er zwei aufwendige Gastspiele von namhaften Theatern im Großen Haus vorgesehen. In seinem Konzept vom März war die Rede von "Großproduktionen", erstens "aus dem europäischen Ausland" und zweitens "von einem relevanten Theater" aus Deutschland. Das steht jetzt auf der Kippe. Oder rettet auch ihn die Messe? Allerdings ist das Areal draußen vor der Stadt als Festivalzentrale denkbar ungeeignet. Zuletzt trafen sich Mitwirkende und Gäste im Theaterfoyer, das hatte Flair. Wird Wengenroths Premiere von der Theaterschließung überschattet? Oder macht er aus der Not ein Tugend? Wengenroth gibt sich optimistisch und offen für alles: "Es ist immer gut, nicht alles zu früh festzuzurren." Jüngst besichtigte er das Reese-Theater auf dem Areal der ehemaligen US-Kaserne. Das Soldaten-Kino hat immerhin 500 Sitzplätze. Aber sonst fehlt vieles, was ein Theater braucht. Das Ambiente ist sachlich bis schäbig. Wengenroth sagt: "Ein toller Raum, ich mag so was ja." Solche Räume brächten ihn "auch auf schöne Ideen". Es bleibt spannend bis März.

Wann ist Wiedereröffnung?

2022 - wenn die 189-Millionen-Euro-Generalsanierung klappt wie geplant. Und wenn was schief läuft? Gar nicht mehr. Das prophezeien jedenfalls einige skeptische Augsburger. Grund ihrer Skepsis: Das Bürgerbegehren, das sich gegen die Neuverschuldung der Stadt durch die Sanierung wendet. Allerdings wurde es zuletzt um die Initiatoren sehr ruhig. Viele werten das als Indiz dafür, dass sie von den nötigen 11 000 Unterschriften weit entfernt sind. OB Kurt Gribl sagt: "Wir bringen das Haus in Ordnung. Wenn man uns nur lässt."

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